Neben der Möglichkeit, den Haftungsbescheid mit Beschwerde (
§ 243 BAO) anzufechten, steht dem Haftungspflichtigen das Recht zu, innerhalb der Beschwerdefrist gegen den Haftungsbescheid den Bescheid über den Abgabenanspruch mit Beschwerde anzufechten (
§ 248 BAO), unabhängig davon, ob dieser Bescheid (Abgabenbescheid) vom Erstschuldner mit Beschwerde angefochten wurde oder ob der Haftungspflichtige einer solchen Beschwerde beigetreten (
§ 257 BAO) ist (VwGH 17.5.1988, 87/14/0106). Zur Beschwerdeerhebung gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch ist nach
§ 248 BAO nur der zur Haftung Herangezogene legitimiert (
VwGH 18.9.2003, 2000/16/0888). Wurde die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt, so sind Einwände gegen den Abgabenanspruch gemäß
§ 248 BAO im Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen (
VwGH 26.11.2002, 99/15/0189;
VwGH 16.9.2003, 2000/14/0106). Im Beschwerdeverfahren gegen den Haftungsbescheid können, wenn Bescheide über den Abgabenanspruch ergangen sind, Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung nicht mit Erfolg erhoben werden (
VwGH 19.6.2002, 2002/15/0018;
VwGH 24.2.2010, 2006/13/0112). Solche Einwendungen können nur gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch erhoben werden (
VwGH 16.9.2003, 2000/14/0106).
Spruch des Haftungsbescheides ist die Geltendmachung der Haftung für einen bestimmten Abgabenbetrag einer bestimmten Abgabe. Damit wird auch die Sache des konkreten Haftungsverfahrens und insoweit auch der Rahmen für die Abänderungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes im Beschwerdeverfahren iSd
§ 279 Abs. 1 BAO festgelegt. Würde der haftungsgegenständliche Betrag durch das Verwaltungsgericht erweitert, so würde sie damit eine Entscheidung treffen, die in die Zuständigkeit der Abgabenbehörde fällt (vgl.
VwGH 19.12.2002, 2001/15/0029).
Aus dem im
§ 248 BAO zum Schutz des herangezogenen Haftungspflichtigen vorgesehenen Beschwerderecht auch gegen den Abgabenanspruch ergibt sich, dass dem Haftenden über den Abgabenanspruch Kenntnis zu verschaffen ist (
VwGH 2.7.2002, 96/14/0076). Dies geschieht zweckmäßigerweise durch Zusendung einer Ausfertigung oder Ablichtung des an den Erstschuldner gerichteten Abgabenbescheides (gegebenenfalls einschließlich einer an den Erstschuldner gerichteten Beschwerdevorentscheidung) bzw. des Erkenntnisses.
Liegt bereits vor Inanspruchnahme des Haftungspflichtigen eine Beschwerdevorentscheidung (oder ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes) über den Abgabenanspruch vor, so kann der Haftungspflichtige dennoch erneut eine Bescheidbeschwerde einbringen; somit ist diesfalls eine Beschwerdevorentscheidung (bzw. das Erkenntnis) Gegenstand einer Beschwerde.
Einem Haftungspflichtigen, der vor dem Erstschuldner in Anspruch genommen wird, ist der Abgabenanspruch mittels eines an den Erstschuldner gerichteten, diesem aber nicht oder noch nicht bekanntgegebenen Abgabenbescheides mitzuteilen. Obliegt nach den Abgabenvorschriften die Selbstbemessung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen (zB bei Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer) und werden diesem gegenüber dem
§ 202 Abs. 1 BAO zufolge Nachforderungen betreffend eine solche Abgabe mit Haftungsbescheid geltend gemacht, so bedarf es keines gesonderten Bescheides über den Abgabenanspruch, weil in diesen Fällen dem Haftungsbescheid sowohl einhebungsrechtliche wie abgabenfestsetzende Wirkungen zukommen (siehe auch Rz 40).
Da dem
§ 97 Abs. 1 BAO zufolge das Wirksamwerden einer Erledigung die Bekanntgabe an denjenigen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt ist, zur Voraussetzung hat, ist in diesen Fällen zwar der Abgabenbescheid dem Erstschuldner gegenüber, für den er seinem Inhalt nach primär bestimmt ist, noch nicht wirksam geworden, doch ist angesichts der durch
§ 248 BAO dem Haftungspflichtigen eingeräumten Legitimation zur Einbringung eines Rechtsmittels gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch davon auszugehen, dass der Inhalt dieses Bescheides ab dem Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme auch für den Haftungspflichtigen bestimmt ist und daher ein an den Erstschuldner gerichteter, diesem aber noch nicht bekanntgegebener Abgabenbescheid mit seiner Bekanntgabe an den Haftungspflichtigen diesem gegenüber Wirksamkeit erlangt. Dies gilt auch in Fällen, in denen es sich bei dem Bescheid über den Abgabenanspruch nicht um einen Abgabenbescheid sondern um einen Haftungsbescheid handelt (zB Lohnsteuer).
Eine Heranziehung zur Haftung für Abgaben, hinsichtlich derer die Abgabenbescheide noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind, ist zulässig, da nach
§ 254 BAO durch Einbringung einer Bescheidbeschwerde die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten wird (
VwGH 13.9.1988, 86/14/0095). Solange jedoch eine Aussetzung der Einhebung (
§ 212a BAO) besteht, ist die Geltendmachung einer Haftung unzulässig. Nach Inanspruchnahme zur Haftung kann auch der Haftungspflichtige ein Ansuchen um Zahlungserleichterung (
§ 212 BAO) oder einen Antrag auf Aussetzung der Einhebung (
§ 212a BAO) stellen.
Aus der Wortfolge "... innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist ..." im
§ 248 BAO ergibt sich, dass in allen Fällen, in denen die Beschwerdefrist gegen den Haftungsbescheid noch nicht abgelaufen ist (zB bei einer Fristerstreckung gemäß
§ 245 Abs. 3 BAO), diese dem Haftungspflichtigen gegenüber auch betreffend den Bescheid über den Abgabenanspruch zur Verfügung steht.
Durch einen Antrag des Haftungspflichtigen auf Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches wird der Lauf der Beschwerdefrist hinsichtlich des Haftungsbescheides und damit auch hinsichtlich des Bescheides über den Abgabenanspruch gehemmt (
§ 248 zweiter Satz BAO). Die Bekanntgabe des Abgabenanspruches an einen Haftungspflichtigen hat anlässlich der Erlassung des Haftungsbescheides insbesondere durch Zusendung einer Ablichtung der Durch(Zweit)schrift des Abgabenbescheides oder des Haftungsbescheides, wenn der Abgabenanspruch durch Haftungsbescheid geltend gemacht wurde (zB Lohnsteuer), zu erfolgen.
Ist über den den Gegenstand der Haftung bildenden Abgabenanspruch mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen kein Bescheid ergangen, so hat erforderlichenfalls über die Höhe und die Zusammensetzung des Anspruches ein Bescheid gemäß
§ 92 Abs. 1 lit. b BAO zu ergehen (zB eine Feststellung über die Höhe der Umsatzsteuervorauszahlung für einen bestimmten Monat).
Beispiel:
Eine an einer GmbH wesentlich beteiligte Person wird gemäß § 16 BAO für Umsatzsteuerschuldigkeiten der Gesellschaft herangezogen, hinsichtlich derer vom Geschäftsführer Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht wurden, die bezüglich ihres Inhalts zu keinen Zweifeln Anlass gegeben haben, sodass eine Bescheiderteilung gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994 unterblieb. Anlässlich der Geltendmachung des Abgabenanspruches im Haftungsweg ist ein an den Haftungspflichtigen gerichteter Bescheid zu erteilen, mit welchem die Höhe des haftungsgegenständlichen Abgabenanspruches festgestellt wird.
Wenn einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid, der an den Abgabepflichtigen ergangen ist, vorangeht, ist die Behörde daran gebunden; die Behörde hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten. Durch
§ 248 BAO ist dem Haftenden ein Rechtszug gegen den Abgabenbescheid eingeräumt. Nur wenn der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung kein Abgabenbescheid vorangeht, gibt es eine solche Bindung nicht. Ob ein Abgabenanspruch gegeben ist, ist in diesem Fall als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung zuständigen Organ zu entscheiden. Diese Beurteilung kann mit Bescheidbeschwerde bekämpft werden, womit dem zur Haftung Herangezogenen der Rechtsschutz gewahrt bleibt (
VwGH 19.12.2002, 2000/15/0217;
VwGH 16.9.2003, 99/14/0276).
Ist ein Abgabenbescheid dem Primärschuldner gegenüber nicht ergangen, dann muss sichergestellt sein, dass dem in Anspruch genommenen Haftungspflichtigen, wenn schon nicht vom "Bescheid über den Abgabenanspruch", so doch von den Voraussetzungen, Inhalten und Gründen, die ein Bescheid über den Abgabenanspruch hätte, Kenntnis verschafft wird (
VwGH 28.6.2001, 2000/16/0561).
Zunächst ist nur über die Bescheidbeschwerde gegen die Geltendmachung der Haftung zu entscheiden, da sich erst aus dieser Entscheidung ergibt, ob eine Legitimation zur Bescheidbeschwerde gegen den Abgabenanspruch besteht (
VwGH 16.9.2003, 99/14/0276;
VwGH 18.3.2013, 2012/16/0049).
Die Entrichtung eines von einem Haftungsausspruch betroffenen Betrages durch den Haftungspflichtigen nach Erlassung des Haftungsbescheides hat nicht zu einem Erfolg einer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid zu führen. Die Bezahlung der Haftungsschuld durch den Haftungspflichtigen führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides (
VwGH 22.3.2000, 99/13/0181). Anderes (nämlich eine Stattgabe der Beschwerde) gilt insoweit, als eine haftungsgegenständliche Abgabenschuld nach Erlassung des Haftungsbescheides durch eine andere Person als den Haftungspflichtigen beglichen oder sonst auf andere Weise als durch Zahlung des Haftungspflichtigen iSd
§ 214 Abs. 7 erster Satz BAO getilgt wird. In einem solchen Fall kommt der Grundsatz der Akzessorietät von Haftungen zum Tragen, der es generell nicht zulässt, eine Haftung für eine nicht mehr bestehende Abgabenschuld konstitutiv auszusprechen. Die Bezahlung des Haftungsbetrages durch den Haftenden selbst aber steht in ihrer rechtlichen Qualität als Tilgung einer Abgabenschuld so unter der Bedingung des Verbleibens des Haftungsbescheides im Rechtsbestand, wie auch außerhalb eines Haftungsfalles ein Abgabenschuldner mit der Bezahlung einer Abgabenschuld einen (endgültigen) Tilgungstatbestand nur für den Fall (und in dem Umfang) setzt, dass (und in welchem) seine Beschwerde gegen den Abgabenbescheid erfolglos bleibt (
VwGH 22.3.2000, 99/13/0181).
Der herangezogene Haftungspflichtige ist jedenfalls als Partei anzusehen; daher steht der Einsichtnahme des Haftungspflichtigen in die Akten des Abgabenverfahrens (
§ 90 BAO) die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht des
§ 48a BAO keinesfalls entgegen (
VwGH 27.2.1995, 94/16/0275). Dem Haftungspflichtigen steht das Recht auf Akteneinsicht (
§ 90 BAO) unter anderem in das Abgabenkonto des Erstschuldners bzw. in Teile hievon zu, etwa wenn der Haftungspflichtige prüfen will, ob die gegenständliche Abgabenschuldigkeit bereits (teilweise) entrichtet wurde (VwGH 10.2.1989, 86/17/0114).
Darüber hinaus hat der Haftungspflichtige das Recht, einen Abrechnungsbescheid zu beantragen (
§ 216 BAO), sowie das Recht, gemäß
§ 214 Abs. 7 BAO auf dem Zahlungsbeleg ausdrücklich eine entsprechende Widmung zu verfügen.
Abgesehen von den Fällen, in denen die Zahlungsschuld für den Haftenden kraft Gesetzes entsteht (zB Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer), wirkt der Haftungsbescheid insoweit konstitutiv, als erst durch seine Erlassung dem
§ 7 Abs. 1 BAO zufolge der Haftende zum Gesamtschuldner wird (VwGH 15.4.1988, 85/17/0062). Einem potentiell Haftungspflichtigen gegenüber entsteht gemäß
§ 7 Abs. 1 BAO die Gesamtschuld erst mit der bescheidmäßigen Geltendmachung der Haftung (
VwGH 3.10.1990, 86/13/0103).
Dem
§ 281 Abs. 2 BAO zufolge wirkt ein auf Grund eines vom Haftungspflichtigen eingebrachten Rechtsmittels (
§ 248 BAO) ergehendes Erkenntnis über das Bestehen und die Höhe einer Abgabenschuld auch für und gegen den Abgabepflichtigen.
Wurde auf Grund eines vom Haftungspflichtigen eingebrachten Rechtsmittels die Höhe der Abgabenschuld gemindert, so wirkt diese Verminderung dem
§ 281 Abs. 2 BAO zufolge sowohl gegen den Erstschuldner (durch den Spruch der Beschwerdeerledigung) als auch gegen den Haftungspflichtigen (weil der Differenzbetrag nicht mehr eingehoben werden darf).
Wurde anlässlich der Erledigung einer vom Haftungspflichtigen erhobenen Bescheidbeschwerde eine "Verböserung" vorgenommen, so bedarf die Inanspruchnahme des Haftenden für den Mehrbetrag eines weiteren Haftungsbescheides; dem Erstschuldner gegenüber wirkt sich jedoch die Erhöhung in der Beschwerdevorentscheidung bzw. im Erkenntnis - unter der Voraussetzung einer wirksamen Bekanntgabe (
§ 97 BAO) an ihn - unmittelbar aus.
Ein noch nicht mit Bescheid in Anspruch genommener Haftungspflichtiger hat die Möglichkeit, einer Beschwerde des Erstschuldners gegen den Abgabenbescheid beizutreten (
§ 257 BAO). Im Fall einer Beschwerde des Haftungspflichtigen gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch steht dem noch nicht in Anspruch genommenen Erstschuldner ebenfalls das Recht des Beschwerdebeitritts zu.
Im Fall einer Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid steht dem Arbeitnehmer ein Beitrittsrecht zu (zB VwGH 4.6.2003, 99/13/0178).
Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen der Abgabenbehörde (
VwGH 14.1.2003, 97/14/0176;
VwGH 4.3.2009, 2007/15/0049).
Der Zweck der Haftungsnormen besteht in einer Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden für den Fall, dass die Erfüllung derselben beim Erstschuldner entweder bereits vereitelt oder doch wesentlich gefährdet erscheint. Aus dem Besicherungsgedanken leitet sich grundsätzlich eine Nachrangigkeit im Verhältnis zur Inanspruchnahme des Eigenschuldners ab. Auch wenn die Inanspruchnahme des Haftenden nicht zwingend die vorherige Inanspruchnahme des Eigenschuldners voraussetzt (siehe Rz 1210), ergibt sich aus dem Wesen der Haftung doch, dass sie in der Regel nur dann vor bzw. statt der Inanspruchnahme des Eigenschuldners geltend gemacht werden darf, wenn ansonsten die Einbringung der Abgabe gefährdet oder wesentlich erschwert wäre (VwGH 29.4.1988, 87/17/0313; VwGH 23.4.1992,
90/16/0196) bzw. wenn sie nicht mehr möglich oder nicht zulässig ist. Letzteres trifft für Abfuhrabgaben (zB Lohnsteuer) zu, für die der Eigenschuldner nur in Ausnahmefällen (zB gemäß § 83 Abs. 2 EStG 1988) in Anspruch genommen werden darf.
Die im Rahmen des
§ 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung iSd
§ 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" insbesondere die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einhebung der Abgaben" beizumessen (
VwGH 24.2.2011, 2009/15/0161). Von einer ermessenswidrigen Inanspruchnahme wird vor allem dann gesprochen werden können, wenn die Abgabenschuld vom Erstschuldner ohne Gefährdung und ohne Schwierigkeiten rasch eingebracht werden kann (
VwGH 25.6.1990, 89/15/0067). Eine Vermögenslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit des Haftungspflichtigen steht in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (
VwGH 16.10.2002, 99/13/0060).
Im Rahmen von Zweckmäßigkeitsüberlegungen wird jeweils die Einbringlichkeit der in Frage stehenden Abgaben beim Erstschuldner zu prüfen sein (
VwGH 23.1.1989, 87/15/0136).
Der Behörde unterläuft bei Inanspruchnahme des Haftungspflichtigen kein Ermessensfehler, wenn die Einhebung der haftungsgegenständlichen Abgaben beim Erstschuldner nach der Aktenlage zumindest gefährdet, wenn nicht unmöglich ist (VwGH 10.2.1989, 86/17/0114). Die Abgabenbehörde übt bei Heranziehung einer Person zur Haftung ihr Ermessen erkennbar im Sinn des Gesetzes, wenn die Abgaben vom Hauptschuldner ohne Gefährdung oder ohne Schwierigkeiten nicht rasch hätten eingebracht werden können (VwGH 16.2.1988, 87/14/0059).
Aus
§ 8 BAO ergibt sich aber, dass - von den Fällen einer Ausfallshaftung (zB
§ 9 BAO) abgesehen - die Geltendmachung der Haftung nicht die Uneinbringlichkeit der Abgaben beim Erstschuldner voraussetzt. Es liegt im Ermessen (
§ 20 BAO) der Abgabenbehörde, welchen von mehreren Haftenden sie zur Leistung heranzieht.
Im Rahmen der Ermessensübung kann die Abgabenbehörde auch nur hinsichtlich einer Teilschuld den Haftenden in Anspruch nehmen, wofür die Verweisung auf
§ 891 ABGB im
§ 6 BAO spricht.
Die Haftung für Abgaben erstreckt sich auch auf Nebenansprüche zu den Abgaben, für welche die Haftung geltend gemacht wird, und zwar ohne Unterschied, ob die Nebengebühren vor oder nach Geltendmachung der Haftung entstanden sind (VwGH 29.10.1965, 1604/64;
VwGH 21.9.1990, 87/17/0223). Auch die Haftung für Nebengebühren muss mit Haftungsbescheid geltend gemacht werden.
Soweit nicht anderes bestimmt ist, gelten die für die Abgabepflichtigen getroffenen Anordnungen gemäß
§ 77 Abs. 2 BAO sinngemäß auch für die kraft abgabenrechtlicher Vorschriften persönlich für eine Abgabe Haftenden. Da
§ 77 Abs. 1 BAO unter anderen alle jene umfasst, die eine Abgabe bereits kraft Gesetzes oder nach Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid schulden, bezieht sich
§ 77 Abs. 2 BAO nur auf jene potentiell Haftungspflichtigen, die einen abgabenrechtlichen Haftungstatbestand verwirklicht haben, jedoch zur persönlichen Haftung noch nicht in Anspruch genommen worden sind.
Im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren erübrigt sich eine gesonderte Geltendmachung von Haftungen nach
§ 224 BAO, weil diesfalls über den Bestand von Haftungen bereits im Straferkenntnis bzw. in der Strafverfügung oder in einem abgesonderten Verfahren gemäß
§ 149 FinStrG abgesprochen wird. Zur Erzwingung der Leistung des Haftungspflichtigen bedarf es sohin in der Folge keines Haftungsbescheides mehr; es können unter Bedachtnahme auf
§ 28 Abs. 7 FinStrG unmittelbar die erforderlichen Einhebungs- und Einbringungsschritte veranlasst werden.
Von der durch Haftungsinanspruchnahme entstandenen Gesamtschuld ist jene Gesamtschuld zu unterscheiden, die nicht erst durch bescheidmäßige Geltendmachung (
§ 7 BAO), sondern bereits kraft Gesetzes (
§ 6 BAO) entsteht (zB
§ 9 GrEStG 1987). In den Fällen eines Gesamtschuldverhältnisses kraft Gesetzes kommt die Erlassung eines Haftungsbescheides den Gesamtschuldnern gegenüber nicht in Betracht (
VfGH 17.10.1978, B 178/75).
Gegen den Erblasser bestehende Abgabenansprüche, die zu seinen Lebzeiten noch nicht festgesetzt waren, sind vor der Einantwortung gegen die Verlassenschaft, nach der Einantwortung gegen die Erben persönlich als Rechtsnachfolger geltend zu machen, wobei sich der Umfang ihrer Inanspruchnahme nach dem bürgerlichen Recht (
§§ 801 und
802 ABGB) richtet.
Bei Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere bei Erbfolge, ist hinsichtlich vom Rechtsvorgänger geschuldeter Abgaben die Erlassung eines Haftungsbescheides an die Rechtsnachfolger insoweit unzulässig, als gemäß
§ 19 BAO die Rechtsnachfolger für die auf sie übergegangene Abgabenschuld des Rechtsvorgängers in Anspruch genommen werden können. Die gegen den Erblasser bereits ergangenen Bescheide wirken demnach auch gegen die Erben und sind gegen diese nach Maßgabe der Einantwortung vollstreckbar.
Randzahlen 1248 bis 1299: derzeit frei