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11. Geltendmachung persönlicher Haftungen (§ 224 BAO)

BMF2024-0.234.99426.3.2024

11.1. Haftungsbescheid (§ 224 Abs. 1 BAO)

Rz 1200
Eine Besicherung von Abgabenansprüchen kann gesetzlich in folgenden Formen vorgesehen sein:

Rz 1201
Ferner können Abgabenansprüche durch vertragliche Maßnahmen, insbesondere durch Bestellung eines Pfandes oder durch Übernahme einer Bürgschaft, gesichert werden.

Rz 1202
§ 224 BAO behandelt die persönliche abgabenrechtliche Haftung. Haften im Sinne der BAO bedeutet, dass der Haftungspflichtige mit seinem gesamten oder mit einem vorbestimmten Teil seines Vermögens für Abgabenschulden eines anderen in Anspruch genommen werden kann.

Rz 1203
Persönliche abgabenrechtliche Haftungen werden mit Haftungsbescheid geltend gemacht; für diesen gelten insbesondere auch die Bestimmungen der §§ 93 und 96 BAO. Ein Haftungspflichtiger darf nicht ohne Erlassung eines Haftungsbescheides in Anspruch genommen werden (VwGH 29.11.2001, 99/16/0139). Der Spruch des Bescheides hat anzuführen, für welche Abgaben die Haftung in Anspruch genommen wird und bis zu welchem Zeitpunkt die Haftungsschuld zu entrichten ist. Erforderlich ist ein Hinweis auf die die Haftungspflicht begründende Vorschrift (VwGH 28.2.2002, 97/13/0062; VwGH 19.12.2002, 2001/15/0029).

Rz 1204
Die Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung ist keine Maßnahme der Abgabenfestsetzung, sondern eine solche der Abgabeneinhebung (VwGH 19.12.1996, 95/16/0204; VwGH 24.1.2001, 99/16/0524 bis 0527). Es sind demnach nicht die Vorschriften über die Bemessungsverjährung, sondern die Bestimmungen über die Einhebungsverjährung maßgebend (VwGH 24.6.2010, 2010/16/0014). Im Haftungsbescheid ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Haftungsschuld binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten. Durch die vorgenannte Regelung wird für den Haftenden eine eigene Fälligkeit begründet. Ist in den Fällen einer Zahlungsschuld kraft Gesetzes (zB Kapitalertragsteuer) die Abgabe gegenüber dem Haftungspflichtigen vor Bescheiderteilung fällig gewesen, so ist gemäß § 210 Abs. 4 BAO vorzugehen.

Rz 1205
Ein Haftungsbescheid ist rechtswidrig, wenn die Forderung, für die gehaftet werden soll, nicht mehr dem Rechtsbestand angehört (VwGH 21.9.1990, 87/17/0223). Die Geltendmachung abgabenrechtlicher Haftungen setzt voraus, dass eine Abgabenschuld entstanden ist und noch nicht durch Entrichtung erloschen ist (VwGH 30.3.2000, 99/16/0141). Die Haftung ist nur insoweit akzessorisch, als sie das Bestehen eines Abgabenanspruches zur Zeit der Verwirklichung des die Haftung auslösenden Sachverhaltes voraussetzt. Ob ein Erlöschen der Schuld auch dem Haftungspflichtigen zu Gute kommt, ist hingegen nach dem Zweck der den Schulderlöschungsgrund beinhaltenden jeweiligen Vorschrift zu prüfen. Davon ausgehend stellt die gerichtliche Entscheidung über die Restschuldbefreiung (§ 213 IO) des Primärschuldners keinen Grund für die Befreiung des Haftungspflichtigen dar (vgl. VwGH 24.1.2000, 96/17/0404; VwGH 24.9.2002, 2002/16/0128). Eine solche Entscheidung steht der Geltendmachung der Haftung auch für die übersteigenden Abgabenschulden nicht entgegen (vgl. VwGH 25.11.2002, 99/14/0121; VwGH 14.1.2003, 97/14/0176).

Rz 1206
Haftungstatbestände, die sich auf mehrere Abgaben erstrecken, sind in der BAO umschrieben. Haftungstatbestände, die nur eine einzelne Abgabe zum Gegenstand haben, sind in jenen Gesetzen umschrieben, welche die betreffende Abgabe regeln (zB § 82 EStG 1988, § 95 Abs. 1 EStG 1988, § 27 Abs. 4 UStG 1994, § 30 GebG).

Rz 1207
Zivilrechtliche Haftungen (wie insbesondere gemäß § 1409 ABGB) können im Klageweg auch zugunsten von Abgabenforderungen geltend gemacht werden (VwGH 16.2.1988, 87/14/0059).

Um die Einbringung der Klage ist die Finanzprokuratur zu ersuchen.

11.2. Sondervorschriften (§ 224 Abs. 2 BAO)

Rz 1208
Abgabenvorschriften, die vom § 224 Abs. 1 zweiter Satz BAO abweichende Regelungen über die Fälligkeit von Haftungsschulden treffen, sind als speziellere Vorschriften in ihrem Anwendungsbereich stärker als die Regelungen des § 224 BAO. Wer Abgaben einzubehalten und abzuführen hat und hiefür haftet, ist verpflichtet, zu den gesetzlich festgelegten Terminen die Abgaben zu entrichten, ohne dass es eines Haftungsbescheides bedarf. Ergibt sich später, dass die vom Abfuhrpflichtigen abgeführten Abgaben zu gering waren, so ist im Haftungsbescheid keine neue Fälligkeit zu setzen (zB Abfuhrdifferenzen betreffend Lohnsteuer im Fall der Inanspruchnahme des Arbeitgebers mit Haftungsbescheid). Ergibt sich somit die Fälligkeit aus einer gesetzlichen Vorschrift, so löst ein Haftungsbescheid keine neue Fälligkeit aus (siehe auch Rz 40).

Beispiele:

Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, im Abzugsweg zu erhebende Einkommensteuer beschränkt Abgabepflichtiger gemäß § 99 EStG 1988.

11.3. Erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich Erlassung eines Haftungsbescheides (§ 224 Abs. 3 BAO)

Rz 1209
Die Geltendmachung der Haftung unterliegt als Einhebungsmaßnahme der Einhebungsverjährung, die vom Eintritt der Fälligkeit der Abgabe abhängig ist (siehe Rz 9 und Rz 28). In den Fällen einer von der Bekanntgabe eines Abgabenbescheides abhängigen Fälligkeit ist daher eine solche Bekanntgabe Voraussetzung für den Beginn des Laufes der Einhebungsverjährungsfrist. Mangels einer derartigen Bekanntgabe gegenüber dem Erstschuldner wäre somit eine zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme des Haftungspflichtigen möglich. Um dies zu verhindern, sieht § 224 Abs. 3 BAO vor, dass die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe (§§ 207 bis 209a BAO) nicht mehr zulässig ist (Bedachtnahme auf die Bemessungsverjährung im Einhebungsrecht).

Rz 1210
Aus § 224 Abs. 3 BAO ergibt sich, dass eine Haftung vor der Inanspruchnahme des Erstschuldners geltend gemacht werden darf (VwGH 19.9.2001, 2001/16/0171; VwGH 30.4.2003, 2002/16/0276). Abgabenrechtliche Haftungen haben insoweit keinen bescheidakzessorischen Charakter (VwGH 17.9.1996, 92/14/0138; VwGH 15.12.1999, 98/13/0060). Dies wird etwa dann der Fall sein, wenn eine Inanspruchnahme des Erstschuldners nicht möglich ist, zB weil es sich bei diesem um eine im Firmenbuch gelöschte und beendigte juristische Person gehandelt hat. Abgabenrechtliche Haftungen haben somit insoweit keinen subsidiären Charakter (VwGH 27.9.1990, 89/16/0225; VwGH 21.3.1995, 94/14/0156; siehe auch Rz 1236).

Rz 1211
Ob eine Inanspruchnahme des Haftenden vor dem Erstschuldner erfolgt, liegt im Ermessen der Behörde (siehe Rz 1236).

Rz 1212
Wenn auch dem Erstschuldner gegenüber der Anspruch noch nicht geltend gemacht wurde, so wird durch den Haftungsbescheid dennoch ein Gesamtschuldverhältnis begründet, das dem Erstschuldner gegenüber allerdings erst mit Erlassung des Abgabenbescheides wirksam wird (VwGH 28.6.1989, 88/16/0210; VwGH 27.6.1991, 90/16/0097).

Rz 1213
In den Fällen des § 224 Abs. 3 BAO tritt durch den Haftungsbescheid dem Erstschuldner gegenüber eine Fälligkeit nicht ein.

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