vorheriges Dokument
nächstes Dokument

2.2.2.2. Wirtschaftsgüterzuordnung

BMF2021-0.586.6167.10.2021

Rz 288
Eine Betriebsstätte eines Unternehmens kann rechtlich kein Eigentum erwerben; für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen einer Betriebsstätte ist daher gemäß AOA light nicht das rechtliche, sondern das wirtschaftliche Eigentum im Sinne der OECD-Leitlinien maßgebend (AOA Report 2008 Z I/101). Das wirtschaftliche Eigentum kommt jenem Unternehmensteil zu, bei dem die Wirtschaftsgüter bei der Funktionsausübung aus wirtschaftlicher Sicht gesehen zum Einsatz gelangen (funktionaler Zusammenhang; AOA Report 2008 Z I/101). Nach dem AOA light kann es bei Wirtschaftsgütern auch wirtschaftliches Miteigentum der verschiedenen Unternehmensteile geben (AOA Report 2008 Z I/101, 114).

Da der Begriff der Unternehmensgewinne im Sinn von Art. 7 OECD-MA - und somit auch die Einordnung von Wirtschaftsgütern als Betriebs- oder Privatvermögen - unter Rückgriff auf Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nach innerstaatlichem Recht zu definieren ist, kann das im Rahmen des AOA light den einzelnen Unternehmensteilen zuzuordnende Betriebsvermögen aus notwendigem und gewillkürtem Betriebsvermögen bestehen. Gewillkürtes Betriebsvermögen wird jedoch - aufgrund des oftmals fehlenden funktionalen Zusammenhangs - einer Betriebsstätte regelmäßig nicht zurechenbar sein. Der buchmäßige Ausweis in der Betriebsstätte kann in allen Fällen nur Indiz, nicht aber Voraussetzung der Wirtschaftsgutzuordnung sein (BFH 29.7.1992, II R 39/89, BStBl II 1993, 63, EAS 3403). Die funktionalen Zurechnungskriterien gelten im Übrigen auch im Falle von Personengesellschaften, also wenn ein Mitunternehmer nur eine (Personengesellschafts-)Betriebsstätte hat (VwGH 18.10.2017, Ro 2016/13/0014).

Rz 289
Die Anwendung des AOA light in Bezug auf den Umfang des Betriebsstättenvermögens bewirkt eine Änderung der österreichischen Verwaltungspraxis und ist daher auf österreichischer Seite erst für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach erstmaliger Veröffentlichung (EAS 2931 vom 7.2.2008) beginnen. Die vorhergehende österreichische Verwaltungspraxis beruhte auf dem Umstand, dass sich aus den DBA bislang keine Definition des Begriffs "Betriebsvermögen" ableiten ließ, wodurch im Wege eines Rückgriffs auf innerstaatliches Recht bei einer nach § 5 EStG 1988 vorzunehmenden Gewinnermittlung die Führung von gewillkürtem Betriebsvermögen in der Betriebsstätte jedenfalls zugelassen wurde. Zinsen aus Anleihen wurden daher dem Gewinn der inländischen Betriebsstätte nicht nur dann zugerechnet, wenn dieses Finanzanlagevermögen dem Kreis des notwendigen Betriebsvermögens (der inländischen Personengesellschaft) zugehörte, sondern auch dann, wenn es noch als gewillkürtes Betriebsvermögen eingestuft werden konnte (EAS 399, EAS 436, EAS 503, EAS 554, EAS 585). Zur Zuordnung von Beteiligungen als gewillkürtes Betriebsvermögen einer inländischen Betriebsstätte vor dem 1.7.2019 siehe KStR 2013 Rz 1487.

Rz 290
Nach dem AOA light gehören Finanzierungsmittel grundsätzlich nur dann zum Betriebsstättenbetriebsvermögen, soweit sie zur Absicherung der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte erforderlich sind oder bei ihr zur Finanzierung von beschlossenen oder in absehbarer Zeit vorgesehenen Investitionen dienen. Darüberhinausgehende überschüssige Mittel sind dem Stammhaus zuzurechnen.

Rz 291
Auch Kapitalbeteiligungen können einer Betriebsstätte zugerechnet werden, wenn sie - im Sinne einer tatsächlichen Zugehörigkeit - funktional der Ausübung der operativen Tätigkeit der Betriebsstätte dienen. Sie müssen Grundlage von wesentlichen Mitarbeiterfunktionen sein, zu denen auch das gesamte Risikomanagement zählt (AOA Report 2008 Z I/125, EAS 3010, EAS 3317, EAS 3371). Ein funktionaler Zusammenhang besteht etwa dann, wenn die Kapitalbeteiligung den Betriebszweck der Betriebsstätte fördert oder zwischen Betriebsstätte und Kapitalgesellschaft enge wirtschaftliche Beziehungen bestehen (EAS 3403). Die Erfassung der Beteiligung in den Büchern einer ausländischen (Personengesellschafts-)Betriebsstätte ist per se nicht ausreichend für die Zurechnung zur Betriebsstätte (AOA Bericht 2008 Z I/111, EAS 3010, EAS 3018, EAS 3317, EAS 3371). Allein der Umstand, dass eine Beteiligung das Betriebsstättenvermögen mehrt bzw. "verstärkt", reicht ebenso wenig für die Annahme der tatsächlichen Zugehörigkeit zur Betriebsstätte aus. Auch die Einordnung als notwendiges Betriebsvermögen (der Personengesellschaftsbetriebsstätte) führt nicht zwingend zu einer Zurechnung, da es selbst hier an einem funktionalen Zusammenhang zwischen der Beteiligung und den Aktivitäten der Betriebsstätte fehlen kann (VwGH 18.10.2017, Ro 2016/13/0014; 15.10.2020, Ro 2019/13/0007; EAS 3403).

Rz 292
Im Allgemeinen wird bei körperlichen Wirtschaftsgütern das wirtschaftliche Eigentum jenem Unternehmensteil zugeordnet, der diese Wirtschaftsgüter nutzt (AOA Report 2008 Z I/104, vorletzter Satz). Der AOA light lässt Ausnahmen nur dann zu, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine abweichende Beurteilung verlangen. Besondere Umstände werden jedenfalls bei Baubetriebsstätten vorliegen; denn es wäre nicht zu rechtfertigen, bei kurzfristig in Baubetriebsstätten eingesetztem Baugerät von einer Überführung der Wirtschaftsgüter in das Betriebsvermögen der Baubetriebsstätte auszugehen (EAS 3251).

Rz 293
Bei unkörperlichen Wirtschaftsgütern (immateriellen Werten) löst die bloße Nutzung in der Betriebsstätte noch nicht - wie dies bei körperlichen Wirtschaftsgütern die Regel ist - die Zuordnung in das fiktive wirtschaftliche Eigentum der Betriebsstätte aus. Denn anders als bei körperlichen Wirtschaftsgütern werden immaterielle Werte oft gleichzeitig von Mehreren genutzt (AOA Report 2008 Z I/242; OECD-MK Art. 7 Z 34 idF vor 2010). Es kommt daher in erster Linie darauf an, in welchem Unternehmensteil die DEMPE-Funktionen (Rz 141) in Bezug auf den immateriellen Wert und die wesentlichen Mitarbeiterfunktionen in Bezug auf das Eingehen und das Management der einschlägigen Risiken eigenverantwortlich ausgeübt werden (EAS 3006). Dabei ist nicht maßgeblich, in welchem Unternehmensteil der formale Beschluss gefasst, sondern wo die qualitative Entscheidung getroffen und das operative Management ausgeübt wird. Üben beide Unternehmensteile Kontrollfunktionen aus, wird ein fiktives wirtschaftliches Miteigentum an dem immateriellen Wert begründet.

Beispiel:

Ein österreichisches Kunststoffunternehmen unterhält eine Betriebsstätte in der Slowakei, in der wesentliche Teile der Forschung und der Produktion erfolgen. Beide Unternehmensteile nehmen das operative Management hinsichtlich der Forschung und Entwicklung wahr und treffen aktiv Entscheidungen für das Risikomanagement des Entwicklungsprojekts (siehe dazu auch AOA Report 2008 Z I/116). Die entwickelten Rezepturen stehen somit im fiktiven wirtschaftlichen Miteigentum beider Unternehmensteile. Diese Zuordnung des immateriellen Werts hat in weiterer Folge eine Auswirkung auf die Gewinnzuordnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte: beiden Unternehmensteilen werden einerseits die Entwicklungskosten als Betriebsausgaben und andererseits die aus dem immateriellen Wert resultierenden Erträge als Betriebseinnahmen zugeordnet.

Rz 294
In der Regel genügt die Tragung der Forschungskosten allein nicht, um den wirtschaftlichen Eigentümer des unkörperlichen Wirtschaftsguts zu bestimmen. Es liegt auch nicht in allen Fällen, in denen Stammhaus und Betriebsstätte an der Entwicklung eines unkörperlichen Wirtschaftsguts beteiligt sind, wirtschaftliches Miteigentum vor. Denn selbst zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen kann im Rahmen der Auftragsforschung das auftraggebende Unternehmen es sein, das die Forschungsrisiken trägt und dem daher das Eigentum am Forschungsergebnis zuzurechnen ist (AOA Report 2008 Z I/115). Auch die bloße Nutzung eines vom Stammhaus entwickelten unkörperlichen Wirtschaftsguts in der Betriebsstätte löst nicht die Zuordnung in das wirtschaftliche Eigentum der Betriebsstätte aus (siehe auch Rz 329).

Beispiel:

Hat ein schweizerisches Unternehmen die Herstellung eines Kosmetikprodukts vollumfänglich in eine österreichische Betriebsstätte ausgelagert, werden die in der Schweiz entwickelten und für die Produktion in Österreich genutzten Rezepturen nicht in das wirtschaftliche Eigentum der österreichischen Betriebsstätte übergehen, da die wesentlichen Mitarbeiterfunktionen in Hinblick auf die Rezepturen in der Schweiz ausgeübt wurden und in Österreich die bloße Lohnfertigung der Produkte übernommen wird. Diese Dienstleistung ist fremdüblich zu vergüten, eine Lizenzzahlung an das Stammhaus kommt nicht in Betracht.

Rz 295
Besteht der Unternehmensgegenstand einer ausländischen Betriebsstätte eines österreichischen Unternehmens in Finanzdienstleistungen (insb. Investitionen in ausländische Gesellschaften und im Handel mit Anteilen an diesen ausländischen Gesellschaften) und werden diese Aktivitäten tatsächlich durch Mitarbeiter der ausländischen Niederlassung auf dem Gebiet des ausländischen Staats eigenständig ausgeübt, so werden die zum Funktionsbereich der Betriebsstätte gehörigen Wertpapiere auch dann zum Betriebsvermögen der ausländischen Betriebsstätte zu rechnen sein, wenn sie im Depot österreichischer Banken gehalten werden. Denn würde die ausländische Betriebsstätte von einem völlig unabhängigen Unternehmer geführt, könnte dieser auch frei darüber entscheiden, in welchem Staat er die zu seinem Betriebsvermögen zählenden Wertpapiere verwahrt haben möchte. Der Umstand, dass die Steuerverwaltung des Betriebsstättenstaats eine gleichlautende Sachverhaltsbeurteilung vornimmt und dementsprechend die erzielten Gewinnteile in ihre Besteuerungsgrundlage einbezieht, ist in solchen Fällen ein Indiz für die Richtigkeit der vorgenommenen Vermögens- und Einkünftezuordnung (EAS 446).

Rz 296
Für die Frage, welchem Betriebsvermögen ein Firmenwert oder Kundenstock zuzuordnen ist, wird es in erster Linie darauf ankommen, wem die Kundenakquisition und die laufende Kundenbearbeitung (und der gesamte damit verbundene Aufwand) zuzuordnen war. Der bloße Umstand, dass die österreichischen Kunden einer österreichischen Vermögensverwaltungs-AG auch von der schweizerischen Betriebsstätte Dienstleistungen empfangen haben, wird für sich alleine betrachtet nicht dazu führen können, dass der durch diese Kunden gebildete immaterielle Wert als Teil des Betriebsvermögens der schweizerischen Betriebsstätte zu sehen ist. Vielmehr wird zu analysieren sein, ob die in Bezug auf den Kundenstock wesentlichen Mitarbeiterfunktionen von der Betriebsstätte oder vom Stammhaus ausgeübt wurden. Der Kundenstock könnte demnach auch im wirtschaftlichen Miteigentum beider Unternehmensteile stehen. Veräußert die österreichische Vermögensverwaltungs-AG einen Teil ihres Klientenstocks an eine schweizerische Kapitalgesellschaft, ist der Ertrag entsprechend den wesentlichen Mitarbeiterfunktionen zuzuordnen.

Stichworte