Ungeachtet des Umstands, dass angesichts der Unternehmenseinheit das unternehmerische Risiko das Gesamtunternehmen als Ganzes trifft, muss auf der Grundlage der Funktionsanalyse eine Risikozuordnung an die Betriebsstätte vorgenommen werden (AOA Report 2008 Z I/97). Die Risikoverteilung im international tätigen Unternehmen muss aus dem Verhalten der Parteien und aus den für die Beziehungen zwischen unabhängigen Unternehmen üblicherweise geltenden ökonomischen Prinzipien hergeleitet werden (AOA Report 2008 Z I/98).
Art und Umfang der von der Betriebsstätte als hypothetisch selbständiges Unternehmen getragenen Risiken haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Zuordnung des Dotationskapitals. Denn ein Unternehmen, das substantielle zusätzliche Risiken eingeht, wird genötigt sein, das Eigenkapital entsprechend zu erhöhen, um seine Bonität aufrechtzuerhalten (AOA Report 2008 Z I/100).
Alle unternehmerischen Risiken müssen bewertet werden, wenn sie wesentlich sind ("significant risks") (AOA Report 2008 Z I/145). Risiken sind wesentlich, wenn sie nach den Marktgegebenheiten des Landes, in dem die Betriebsstätte tätig ist, nach Kapitalunterlegung verlangen (AOA Report 2008 Z I/146); es ist unerheblich, ob sie bilanzmäßig ausgewiesenen Positionen zuzuordnen sind. Auch ein nicht bilanzmäßig ausgewiesener originärer Firmenwert ist risikobehaftet, weil er das Risiko eines Wertverlustes in sich birgt.
Sobald im Rahmen der Funktionsanalyse feststeht, welche Wirtschaftsgüter und welche Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen sind, ist als nächster Schritt zu ermitteln, welches freie Kapital ("free capital") der Betriebsstätte zuzuführen ist, um die Wirtschaftsgüter und die übernommenen Risiken abzudecken (OECD-MK Art. 7 Z 45 idF vor 2010, AOA Report 2008 Z I/141). Freies Kapital, auch Dotationskapital genannt, ist nicht nur ein Anteil am Eigenkapital (Grundkapital) und an den thesaurierten Gewinnen, sondern auch an jeglichem Ergänzungskapital, wenn das daraus dem jeweiligen Investor zu leistende Entgelt - so wie eine Dividendenausschüttung an die das Eigenkapital aufbringenden Aktionäre - steuerlich nicht abzugsfähig ist (AOA Report 2008 Z I/136). Auf österreichischer Seite würde damit in die Dotationsberechnungen auch Kapital aus der Emission von Substanzgenussrechten einzuschließen sein.
Das in der Betriebsstättenbuchhaltung ausgewiesene Eigenkapital kann nur dann für steuerliche Belange maßgebend sein, wenn bei seiner Ermittlung eine der von der OECD zugelassenen Kapitalverteilungsmethoden angewendet worden ist:
- die Kapitalaufteilungsmethode (Capital Allocation Approach);
- die wirtschaftliche Kapitalaufteilungsmethode (Economic Capital Allocation Approach),
- die Mindestkapitalisierungsmethode (Thin Capitalisation Approach),
- die aufsichtsrechtliche Mindestkapitalisierungsmethode (Quasi Thin Capitalisation/Regulatory Minimum Capital Approach).
Bei der Kapitalaufteilungsmethode (Capital Allocation Approach) wird der Betriebsstätte jener Anteil am tatsächlich vorhandenen Eigenkapital des Gesamtunternehmens zugewiesen, der dem tatsächlichen Anteil an den bei der Funktionsanalyse festgestellten Werten des Aktivvermögens und der Risiken (Risikoaktiva) des Gesamtunternehmens entspricht. Beträgt daher der Betriebsstättenanteil an den Risikoaktiva 10%, dann ist die Betriebsstätte mit 10% des Eigenkapitals des Gesamtunternehmens zu dotieren.
Für die Wertermittlung des Aktivvermögens sind keine verbindlichen Anordnungen getroffen. Nach dem AOA ist es möglich, für die Ermittlung des Betriebsstättenanteils am Aktivvermögen auf die Buchwerte oder auf die Verkehrswerte abzustellen oder auf die historischen Anschaffungskosten zurückzugreifen. Wesentlich ist nur, dass für das Gesamtunternehmen stets nur eine Bewertungsmethodik einheitlich zur Anwendung gelangt (AOA Report 2008 Z I/144).
Für die Bewertung der wesentlichen Unternehmensrisiken enthält der AOA light keine Vorgaben. Unternehmen sind daher berechtigt, wenn sie unternehmensintern keine Risikogewichtung erstellen, die Kapitalaufteilung nur auf der Grundlage der aktiven Vermögenswerte vorzunehmen (AOA Report 2008 Z I/143). Diese Vereinfachung führt im Ergebnis zur Anerkennung der Kapitalspiegeltheorie, der zufolge die Eigenkapitalquote (Verhältnis des Eigenkapitals zum Gesamtkapital) des Gesamtunternehmens den Maßstab für die Kapitalzuordnung an die Betriebsstätte darstellt. Allerdings ist diese vereinfachte und nur auf das Betriebsvermögen allein abstellende Kapitalspiegelung in der Betriebsstätte nur dann zulässig, wenn das Stammhaus und die Betriebsstätte die gleichen Funktionen ausüben und daher auch vergleichbare Risiken tragen (siehe auch AOA Report 2008 Z I/145, I/146).
Für Bankunternehmen sieht Teil II des AOA die Möglichkeit einer risikogewichteten Kapitalzuteilung nach den jeweils gültigen bankaufsichtsrechtlichen Grundsätzen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ("BIZ") vor. Diese Methode wird auch als BIZ-Methode (BIS-ratio Approach) bezeichnet (AOA Report 2008 Z II/99 ff).
Die wirtschaftliche Kapitalaufteilungsmethode (Economic Capital Allocation Approach) will nicht auf das nach regulatorischen Gesichtspunkten risikogewichtete Kapital, sondern auf das nach bankinternen Risikomodellen bestimmte wirtschaftliche Eigenkapital abstellen. Dabei werden auch Aspekte und Faktoren berücksichtigt, die bei aufsichtsrechtlichen Regelungen derzeit unbeachtet bleiben. Da solche Methoden aber derzeit noch nicht ausgereift sind, kommen sie für Unternehmen des Nichtbankensektors nicht in Frage (AOA Report 2008 Z I/162).
Die Mindestkapitalisierungsmethode (Thin Capitalisation Approach) fordert eine Eigenkapitalausstattung der Betriebsstätte, welche auf Grund eines Fremdvergleiches mit vergleichbaren Unternehmen im Gastland der Betriebsstätte ermittelt wird (AOA Report 2008 Z I/163). Liegt die Eigenkapitaldotierung unter diesem Fremdvergleichsergebnis, führt eine solche Unterkapitalisierung dazu, dass die den Fehlbetrag betreffenden Zinsen ihre steuerliche Abzugsfähigkeit verlieren. Diese Methode entspricht der Methode des äußeren Fremdvergleiches (BFH 27.7.1965, I 110/63 S, BStBl III 1966, 24 und
BFH 25.6.1986, II R 213/83, BStBl II 1986, 785). Dies bedeutet, dass im Rahmen des Fremdvergleiches auf unabhängige Unternehmen abzustellen ist, die vergleichbare Marktchancen haben bzw. vergleichbaren Marktrisiken unterliegen. Unter Umständen sind wegen betriebsspezifischer Unterschiede Anpassungsrechnungen vorzunehmen.
Die aufsichtsrechtliche Mindestkapitalisierungsmethode (Quasi Thin Capitalisation/Regulatory Minimum Capital Approach) kommt nur für den Bankensektor in Frage. Diese Methode orientiert sich an dem erforderlichen aufsichtsrechtlichen Mindestkapital im Betriebsstättenstaat (AOA Report 2008 Z I/169). Eine Betriebsstätte hat dabei mindestens das Dotationskapital zu halten, das auch eine rechtlich selbständige Bank nach den bankrechtlichen Vorschriften in diesem Land zu halten hat.
Im Nichtbankenbereich kann nur zwischen der Kapitalaufteilungsmethode und der Mindestkapitalisierungsmethode gewählt werden. Die Auswahl der für die Kapitalzuordnung zugelassenen Methode obliegt dem grenzüberschreitend tätigen Unternehmen, vorausgesetzt, dass diese Methode in allen Betriebsstättenstaaten und im Staat des Stammhauses einheitlich angewendet wird.