Zusatzinformationen | |
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Materie: | Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 48a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Akteneinsicht, Partei, Geheimhaltungspflicht, Beratungsprotokoll, Finanzprokuratur, Datenträger, Ablichtung, Abschrift, Anbringen, Aktenvermerk, Niederschrift |
1. Partei
Nach § 90 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten erforderlich ist.
Den Rechtsanspruch auf Akteneinsicht haben somit nur Parteien. Parteien sind solche gemäß § 78 BAO (zB Abgabepflichtiger) und gemäß § 276 Abs. 7 BAO (Parteistellung der "Amtspartei" im Berufungsverfahren vor der Abgabenbehörde zweiter Instanz).
Zu den Parteien im Sinn des § 78 BAO gehören auch diejenigen, an die Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften (§ 188 BAO) ergehen (§ 78 Abs. 2 lit. a BAO). Daher steht beispielsweise das Recht auf Akteneinsicht in die Feststellung betreffende Akten (Aktenteile) jedem Beteiligten (zB auch den Kommanditisten einer KG) zu.
Partei im Sinn des § 78 BAO ist auch der Haftungspflichtige. Daher steht ihm die Akteneinsicht auch in Abgabenakten des Primärschuldners zu (VwGH 27.2.1995, 94/16/0275, 0276, AW 94/16/0049; dieser Einsichtnahme steht die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht nach § 48a BAO nicht entgegen).
2. Abgabenrechtliche Interessen
Akteneinsichtsrelevante abgabenrechtliche Interessen liegen beispielsweise vor, wenn die Partei Daten ihres Abgabenkontos (zB Rückstände zu bestimmten Zeitpunkten) für die Abfassung ihrer Steuererklärungen benötigt. Dass diese Daten sich aus der Partei bereits zugeleiteten Unterlagen (zB Buchungsmitteilungen, Bescheiden) ergeben, rechtfertigt nicht die Verweigerung der diesbezüglichen Akteneinsicht.
Solche abgabenrechtliche Interessen können auch nach Beendigung eines Verfahrens bestehen (vgl. zB VwGH 30.3.1998, 97/16/0471; VwGH 27.11.2000, 99/17/0312); beispielsweise für
- einen Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 Abs. 1 BAO,
- einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 Abs. 1 BAO),
- eine Beschwerde an den VfGH oder VwGH (VwGH 27.11.2000, 99/17/0312),
- einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 308 BAO).
Der Geltendmachung abgabenrechtlicher Interessen dient auch die Stoffsammlung zur Vorbereitung eines Amtshaftungsverfahrens (VwGH 30.3.1998, 97/16/0471).
3. Antrag
Die Initiative zur Akteneinsicht hat von der Partei auszugehen (vgl. zB VwGH 21.10.1993, 91/15/0005).
Der Antrag auf Akteneinsicht ist ein Anbringen im Sinn des § 85 Abs. 2 BAO. Er ist daher nach § 85 Abs. 3 lit. b BAO mündlich (somit nicht fernmündlich) entgegenzunehmen, wenn dies für die Abwicklung des Abgabenverfahrens zweckmäßig ist. Dies wird im Allgemeinen bei Anträgen auf Gewährung der Akteneinsicht der Fall sein. Mündliche Anbringen sind nach § 87 Abs. 1 BAO ihrem wesentlichen Inhalt nach in einer Niederschrift festzuhalten. Dies ist insbesondere dann geboten, wenn dem Antrag nicht vollinhaltlich entsprochen wird.
4. Umfang und Gegenstand der Akteneinsicht
Der Rechtsanspruch der Partei auf Einsichtnahme und auf Abschriftnahme erstreckt sich auf alle (abgabenrechtlich bedeutsamen) Akten (Aktenteile). Dazu gehören auch
- Arbeitsbogen der Betriebsprüfung (zB auch über Ermittlungshandlungen und Kontrollrechnungen, die nicht zur Begründung eines "Mehrergebnisses" herangezogen werden),
- Aktenvermerke (§ 89 BAO),
- Schriftverkehr mit anderen Abgabenbehörden (zB Amtshilfeersuchen, die Zuständigkeit bzw. Unzuständigkeit betreffende Berichte),
- Niederschriften zB über die Einvernahme von Zeugen oder Auskunftspersonen (die Identität solcher Personen darf dem Abgabepflichtigen gegenüber nicht geheim gehalten werden),
- schriftliche Weisungen der Oberbehörde,
- Akten eines Finanzstrafverfahrens (vgl. VwGH 27.2.1995, 94/16/0275, 0276, AW 94/16/0049; soweit die Einsichtnahme im abgabenrechtlichen Interesse liegt).
Zu den Akten gehören nicht nur von der Abgabenbehörde verfasste Aktenteile, sondern auch vom Abgabepflichtigen übermittelte Schriftstücke (zB Abgabenerklärungen, Bilanzen, Verträge) und weiters von Dritten verfasste Schriftstücke (vgl. VwGH 28.9.2000, 99/16/0519, 0520).
Der Akteneinsicht unterliegen Akten (Aktenteile) unabhängig davon, ob diese Schriftstücke sind oder ob Aktenteile auf maschinell lesbaren Datenträgern gespeichert sind.
5. Ausschluss von der Akteneinsicht
Nach § 90 Abs. 2 BAO sind von der Akteneinsicht ausgenommen Beratungsprotokolle, Amtsvorträge, Erledigungsentwürfe und sonstige Schriftstücke (Mitteilungen anderer Behörden, Meldungen, Berichte und dgl.), deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen dritter Personen herbeiführen würde.
In verfassungskonformer Interpretation des § 90 Abs. 2 BAO (vgl. zB Ritz, BAO-Kommentar, 2. Auflage, Wien 1999, § 90 Tz 8) ist davon auszugehen, dass der Relativsatz (bezüglich berechtigter Interessen Dritter) sich auf alle im § 90 Abs. 2 BAO erwähnten Schriftstücke bezieht.
Daher sind Amtsvorträge und Erledigungsentwürfe nicht absolut, sondern nur dann, wenn deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen Dritter Personen herbeiführen würde, von der Akteneinsicht ausgeschlossen. Solche berechtigte Interessen können sich zB aus der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht (§ 48a BAO) sowie aus Betriebs-, Kunst- oder Geschäftsgeheimnissen ergeben.
Beispiel (zur Akteneinsicht in Erledigungsentwürfe): Ein Bescheid wird gemäß § 293 BAO wegen einer tatsächlichen Unrichtigkeit, die auf einem Versehen beruht, das einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, berichtigt. Der Partei ist auf Antrag auch Akteneinsicht in den Erledigungsentwurf, aus dem in Verbindung mit dem Bescheid ersichtlich ist, dass die Bescheidabsicht und die formelle Erklärung des Bescheidwillens auseinanderklaffen, zu gestatten.
Dass Vorlageberichte im Sinn des § 276 Abs. 6 BAO von der Akteneinsicht nicht auszunehmen sind, ergibt sich indirekt bereits aus dem zweiten Satz des § 276 Abs. 6 BAO.
"Dritte" Personen im Sinn des § 90 Abs. 2 BAO sind andere Personen als die Partei und die Abgabenbehörde bzw. ihre Organwalter (vgl. Ritz, Akteneinsicht im Abgabenverfahren, Wien 1990, 33). Daher wird im Regelfall eine Verweigerung der Akteneinsicht in Aktenvermerke, Niederschriften, Berichte an andere Behörden und in Weisungen unzulässig (bzw. nicht mit Interessen der Abgabenbehörde begründbar) sein. Die Einsicht in derartige Aktenteile wird beispielsweise wegen § 76 BAO (Befangenheit) für die Partei von abgabenrechtlichem Interesse sein. Nicht zuletzt wegen § 167 BAO (freie Beweiswürdigung) ist der Partei auch Einsicht in Beweismittel zu geben, die von der Abgabenbehörde nicht verwertet wurden. Ebenso ist die Einsicht in kein verwertbares "Ergebnis" bringende Ermittlungen von abgabenrechtlichem Interesse.
Eine Akteneinsicht in Beratungsprotokolle (zB Niederschrift über die Beratung und Abstimmung des Berufungssenates gemäß § 287 Abs. 3 BAO) wird - nicht zuletzt als Folge des Beratungsgeheimnisses (vgl. § 48a Abs. 2 lit. c BAO) - nicht in Betracht kommen, es sei denn, die Partei kann gewichtige Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass der Bescheid abweichend vom Abstimmungsergebnis erlassen wurde.
Aus § 3 Abs. 3 Prokuratursverordnung (BGBl. Nr. 183/1945) ist abzuleiten, dass Gutachten der Finanzprokuratur und der sonstige Schriftverkehr mit der Finanzprokuratur grundsätzlich von der Akteneinsicht auszunehmen sind.
6. Abschriften
Die Partei hat bei Vorliegen der im § 90 BAO genannten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Einsichtnahme und auf Abschriftnahme der in Betracht kommenden Akten oder Aktenteile.
Sind Aktenteile auf maschinell verarbeitbaren Datenträgern gespeichert, so wird die Behörde zwecks Einsichtnahme entsprechende Ausdrucke anzufertigen (bzw. allenfalls diese Aktenteile auf einem Bildschirm der Partei zu zeigen) haben.
Auch wenn die Partei keinen Rechtsanspruch darauf hat, dass ihr solche Ausdrucke oder Ablichtungen von Schriftstücken aus Akten ausgefolgt werden (vgl. zB VwGH 28.10.1997, 97/14/0121; VwGH 24.1.2001, 99/16/0081, 99/16/0239), ist die Ausfolgung (Übersendung mit der Post) solcher Ausdrucke (bzw. solcher Ablichtungen) als Form der Akteneinsichtsgewährung zulässig. Sie wird daher im Regelfall (unabhängig von der Anzahl der Ausdrucke bzw. Ablichtungen) zu erfolgen haben.
Solche Abschriften sind grundsätzlich nicht zu beglaubigen. Sind sie nicht amtlich beglaubigt, so unterliegen sie nicht der Gebührenpflicht nach § 14 TP 1 GebG.
Nach § 312 BAO sind die Kosten für die Tätigkeit der Abgabenbehörde von Amts wegen zu tragen, sofern sich nicht aus der BAO oder sonstigen gesetzlichen Vorschriften anderes ergibt. Solche Vorschriften bestehen für die Anfertigung von Ausdrucken bzw. von Ablichtungen aus Aktenteilen zwecks Gewährung der Akteneinsicht gemäß § 90 BAO nicht.
Daher besteht keine Rechtsgrundlage dafür, von der Partei den Ersatz von Kosten für die durch Behördenorgane vorgenommene Erstellung von Ablichtungen aus Aktenteilen zu verlangen.
7. Gewährung und Verweigerung der Akteneinsicht
Die Gestattung der Akteneinsicht ist ein Realakt, der nicht einer besonderen Genehmigung bedarf. Wird ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt, der nicht abgewiesen wird, dann liegt es an der Partei, diese Möglichkeit zu nutzen (VwGH 24.1.2001, 99/16/0081, 99/16/0239).
In einem Aktenvermerk (§ 89 BAO) ist festzuhalten, in welche Aktenteile Akteneinsicht gewährt wurde. In welche Aktenteile keine Akteneinsicht gestattet wurde, muss aktenkundig sein. Erfolgt die Verweigerung mit schriftlichem Bescheid, so hat sich aus dem Bescheid zu ergeben, hinsichtlich welcher Aktenteile dem Antrag auf Akteneinsicht nicht entsprochen wurde. Erfolgt die Ablehnung der Akteneinsicht nach § 94 BAO mit mündlichem Bescheid, so ist hierüber zumindest ein Aktenvermerk zu verfassen, aus dem ersichtlich sein muss, in welche Aktenteile die Akteneinsicht verweigert wurde.
Soweit die Akteneinsicht gewährt wird, ist über den darauf gerichteten Antrag nicht bescheidmäßig abzusprechen (vgl. VwGH 8.2.1989, 87/13/0141).
Wird die Akteneinsicht während eines Abgabenverfahrens (zB Betriebsprüfungsverfahren) gegenüber der Partei dieses Verfahrens verweigert, so ist der den Antrag abweisende Bescheid eine verfahrensleitende Verfügung im Sinn der §§ 94 und 244 BAO. Der Bescheid ist somit nicht abgesondert anfechtbar; er ist nach § 244 BAO erst in der Berufung gegen den die Angelegenheit abschließenden Bescheid anfechtbar.
Ist die Verweigerung der Akteneinsicht keine verfahrensleitende Verfügung, insbesondere weil sie wegen Nichtlegitimation des Antragstellers, nach Beendigung eines Abgabenverfahrens oder vor Einleitung eines solchen Verfahrens erfolgt, so ist der Bescheid abgesondert (mit Berufung bzw. mit Beschwerde beim VwGH und VfGH) anfechtbar (vgl. zB VwGH 22.6.2001, 2000/13/0037).
8. Hinweise
Die vorstehenden (lediglich einige die Akteneinsicht betreffende Rechtsfragen behandelnden) Ausführungen stellen die Rechtsansicht des Bundesministeriums für Finanzen dar, die im Interesse einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt wird. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten werden dadurch weder begründet noch können solche aus diesem Erlass abgeleitet werden.
Die Erlässe des BMF vom 17.12.1991, 05 0701/3-IV/5/91, und vom 26.1.1995, 05 0701/2-IV/5/94, werden aufgehoben.
5. November 2003 Für den Bundesminister: Dr. Bibus
Für die Richtigkeit der Ausfertigung:
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