VwGH 2013/22/0115

VwGH2013/22/01153.10.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde 1. des V und 2. der N, beide in W und vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien jeweils vom 15. Februar 2010, Zl. E1/37.884/2010 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) und Zl. E1/37.874/2010 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien, die miteinander verheiratet und beide ukrainische Staatsangehörige sind, reisten im Oktober 2006 mit einem bis zum 7. Jänner 2007 gültigen Visum nach Österreich ein. Am 5. Jänner 2007 beantragten sie jeweils die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Angehöriger". Diese Anträge wurden mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Bundesministerin für Inneres vom 26. November 2009 gemäß § 21 Abs. 1 und 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig abgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mittlerweile vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. Februar 2010, Zlen. 2010/22/0007, 0008, als unbegründet abgewiesen.

Mit den nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wurden die beschwerdeführenden Parteien von der belangten Behörde gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ausgewiesen.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG hielt die belangte Behörde zunächst - insoweit inhaltlich gleichlautend - fest, dass gegen beide Ehepartner eine Ausweisung erlassen werde. Familiäre Bindungen im Inland bestünden noch zu einer (über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügenden) Tochter sowie zu deren Sohn. Angesichts dessen sei mit der Ausweisung ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Parteien verbunden. Allerdings sei dieser Eingriff zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse hätten die beschwerdeführenden Parteien, die ihren Aufenthalt in Österreich nach Ablauf ihres Visums jahrelang unrechtmäßig fortgesetzt hätten, gravierend verstoßen. Hinsichtlich der familiären Bindungen sei auch zu berücksichtigen, dass die beschwerdeführenden Parteien mit ihren Angehörigen nicht im gemeinsamen Haushalt lebten und dass diese bereits volljährig seien.

Zum Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, wonach er ein schwaches Herz habe und eine Ausreise für ihn lebensgefährlich sei, hielt die belangte Behörde fest, dass weder erkennbar noch behauptet worden sei, dass seine Erkrankung (eine Herzmuskelerkrankung mit Verengung der Herzkranzgefäße) nicht auch in seiner Heimat behandelt werden könnte. Auch die Zweitbeschwerdeführerin, die laut vorgelegtem Arztbrief an chronischer Pankreatis, einer Depression, Hypertonie und einer Fettstoffwechselstörung leide, habe nicht behauptet, die (zur Behandlung dieser Erkrankungen) erforderlichen Medikamente in der Ukraine nicht erhalten zu können. Die belangte Behörde berücksichtigte in diesem Zusammenhang auch, dass die beschwerdeführenden Parteien, die beide Ärzte gewesen seien, laut eigenen Angaben über hohe Geldmittel verfügten. Zudem hielt die belangte Behörde fest, dass mit den angefochtenen Bescheiden nicht über die Zulässigkeit der jeweiligen Abschiebung abgesprochen werde.

Im Ergebnis sei den persönlichen Interessen der beschwerdeführenden Parteien kein derartiges Gewicht zuzumessen, dass demgegenüber das öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund zu treten hätte. Mangels besonders zugunsten der beschwerdeführenden Parteien sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keinen Grund, im Rahmen des Ermessens von der Erlassung der Ausweisungen Abstand zu nehmen.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung jeweils einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof die angefochtenen Bescheide auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung der angefochtenen Bescheide am 16. Februar 2010 - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass sich die beschwerdeführenden Parteien ohne Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2012, Zl. 2011/23/0326, mwN).

Die beschwerdeführenden Parteien verweisen in diesem Zusammenhang zum einen auf ihre familiären Bindungen und bringen zum anderen vor, sie seien beide schwer krank. Der Erstbeschwerdeführer habe ein schwaches Herz, sodass ein Herzschrittmacher notwendig sei und die Ausreise für ihn lebensgefährlich wäre. Die Zweitbeschwerdeführerin sei auf Grund ihres Alters nicht mehr reisefähig und es bestünde für den Fall einer Abschiebung oder Ausreise eine erhebliche Gesundheitsgefährdung.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde die familiären Bindungen der beschwerdeführenden Parteien ihrer Interessenabwägung nach § 66 FPG zugrunde gelegt und auch entsprechend berücksichtigt hat. Ausgehend davon hat sie anerkannt, dass mit der Ausweisung in das Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Parteien eingegriffen werde. Sie durfte diesbezüglich aber auch in Anschlag bringen, dass Tochter und Enkelsohn der beschwerdeführenden Parteien bereits volljährig sind und dass die Angehörigen nicht im gemeinsamen Haushalt leben. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde im Ergebnis kein Überwiegen der persönlichen Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens annahm und die Ausweisungen somit als iSd § 66 FPG zulässig erachtete. Daran vermag - aus nachstehenden Gründen - auch das Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien im Hinblick auf ihre gesundheitlichen Probleme nichts zu ändern.

Nach der - vom Verwaltungsgerichtshof übernommenen - Rechtsprechung des EGMR hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon ausgesprochen, dass es einem Fremden obliegt, substanziiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zlen. 2010/21/0310 bis 0314, mwN).

Weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin bringen allerdings vor, dass die erforderliche Behandlung bzw. die notwendigen Medikamente in ihrer Heimat nicht verfügbar wären. Ein den dargestellten Anforderungen entsprechendes Vorbringen ist damit nicht erfolgt. Soweit das Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien auf ihre fehlende Reisefähigkeit auf Grund ihres jeweiligen Gesundheitszustandes abzielt, ist anzumerken, dass diese Frage nicht im Rahmen der Abwägung nach § 66 FPG zu prüfen ist.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 3. Oktober 2013

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