VwGH 2013/21/0101

VwGH2013/21/010112.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der B Pin G, vertreten durch Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 10. April 2013, Zl. UVS 26.9-18/2012-4, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
AVG §67d;
EURallg;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 idF 2011/I/038;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
AVG §67d;
EURallg;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 idF 2011/I/038;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine ungarische Staatsangehörige, wurde mehrfach wegen Begehung von (qualifizierten) Diebstahlsdelikten strafgerichtlich verurteilt. Im Hinblick darauf verhängte die Landespolizeidirektion Steiermark gegen die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 12. September 2012 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Dagegen erhob die (damals) unvertretene Beschwerdeführerin Berufung, in der sie vor allem geltend machte, im Hinblick auf ihre nunmehr geänderten persönlichen Verhältnisse gehe von ihr keine Gefahr iSd § 67 Abs. 1 FPG (mehr) aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark (der belangten Behörde) vom 10. April 2013 wurde diese Berufung abgewiesen. Eine Berufungsverhandlung führte die belangte Behörde nicht durch; diesbezüglich findet sich im angefochtenen Bescheid keine Begründung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

In der Beschwerde wird unter anderem geltend gemacht, die belangte Behörde hätte zur Beurteilung der der Beschwerdeführerin unterstellten Gefährlichkeit, insbesondere zur Prüfung der Glaubwürdigkeit der von ihr im Verfahren mehrfach dargelegten Reue, eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen.

Dieser Einwand ist berechtigt:

Die Verhängung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes ist als Maßnahme im Sinn der Richtlinie 2004/38/EG zu verstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. März 2013, Zl. 2012/18/0228; idS auch das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, Zl. 2012/21/0181). Damit hat die belangte Behörde in "Durchführung des Rechts der Union" im Sinn des Art. 51 Abs. 1 der Grundrechte-Charta (GRC) gehandelt. Von daher hätte die belangte Behörde aber im vorliegenden Fall eine Berufungsverhandlung durchführen müssen, und zwar ungeachtet dessen, dass sie von der - unvertretenen - Beschwerdeführerin nicht beantragt worden war. Dazu kann des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0267, verwiesen werden (vgl. daran anschließend auch das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2013, Zl. 2012/21/0134).

In der Gegenschrift vertritt die belangte Behörde in diesem Zusammenhang zwar noch die Auffassung, es seien von der Beschwerdeführerin in der Berufung keine neuen Tatsachen vorgebracht worden und auch unter Einbeziehung der von ihr vorgetragenen "Reuebeteuerungen" lediglich rechtliche Erwägungen für die Entscheidung ausschlaggebend gewesen. Es hätte daher "keinerlei Indizien" dafür gegeben, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen. Im Übrigen hätte sich auch bei deren Durchführung keine andere rechtliche Wertung ergeben können.

Dem ist zunächst zu entgegnen, dass eine Relevanzprüfung iSd § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG beim Unterbleiben einer - wie hier - nach Art. 47 GRC gebotenen mündlichen Verhandlung nicht vorzunehmen ist; vielmehr liegt diesfalls stets eine zur Bescheidaufhebung führende Rechtsverletzung vor (siehe zuletzt das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2013, Zl. 2012/21/0103, mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2013, Zl. 2010/15/0196, und das schon genannte hg. Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0267). Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits wiederholt klargestellt, dass sich die Frage einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung nicht auf eine reine Rechtsfrage reduzieren lasse (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. April 2013, Zl. 2012/18/0072, u. a. mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2011/21/0298).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Für das weitere Verfahren ist im Übrigen noch darauf hinzuwiesen, dass in Bezug auf die für ein Aufenthaltsverbot nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellende Gefährdungsprognose schon aus dem Gesetz klar hervorgeht, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können. Für diese Beurteilung ist nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit Hinweisen auf Vorjudikatur etwa das Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0152, Punkt 1.2. der Entscheidungsgründe; siehe dazu beispielweise auch das Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2008/21/0183). Diesbezügliche konkrete Feststellungen, die im angefochtenen Bescheid nicht getroffen wurden, werden im Ersatzbescheid vorzunehmen sein.

Wien, am 12. September 2013

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