VwGH 2013/18/0030

VwGH2013/18/003025.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des C, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. Juli 2009, Zl. E1/368.761/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §19 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §49 Abs5;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §19 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §49 Abs5;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes, auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

In der Begründung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe am 3. März 2004 in Serbien die österreichische Staatsbürgerin E S. geheiratet und anschließend die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sowie am 8. März 2005 deren Verlängerung beantragt.

Nach Darstellung der von E S. bei ihrer am 29. Juni 2005 erfolgten Vernehmung getätigten Angaben nahm die belangte Behörde auf einen Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. Oktober 2005 Bezug. Aus diesem ergebe sich unter anderem, dass bei wiederholten Hauserhebungen an der ehelichen Wohnanschrift nicht geöffnet worden sei sowie dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau einer "Hauspartei in den oberen Stockwerken" nach Vorzeigen von Lichtbildern nicht bekannt gewesen seien. Überdies seien in dem Bericht die Aussagen der Eheleute bei deren Vernehmung am 11. Oktober 2005 dargestellt worden, die - hinsichtlich der gemeinsamen Wochenenden, des Ablaufes des Vortages, der Besorgungen häuslicher Einkäufe sowie der Gewohnheiten des Beschwerdeführers beim Frühstück - teilweise nicht übereinstimmend gewesen seien.

Nach Wiedergabe der Angaben des vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen V B. vom 27. September 2006 verwies die belangte Behörde ferner auf einen Erhebungsbericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 19. November 2007, demzufolge sämtliche Versuche, den Beschwerdeführer und seine Ehefrau an der ehelichen Wohnanschrift anzutreffen, negativ verlaufen seien. Die Hausbewohnerin J A. habe angegeben, eine gute Freundin der Familie zu sein. Bei den am 9. Oktober 2007 erfolgten Vernehmungen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau hätten sich weitere näher genannte Widersprüche im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt des Kennenlernens, des darauf folgenden Kontaktes der Eheleute, der Trauzeugen, der Wohnung und des letzten gemeinsamen Ausfluges ergeben.

Am 31. März 2008 - so die belangte Behörde weiter - habe der vom Beschwerdeführer beantragte N S. nicht bezeugen können, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau ein Eheleben führe. Alle weiteren vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen seien zum Ladungstermin unentschuldigt nicht erschienen.

In seiner Stellungnahme vom 18. Juli 2008 habe der Beschwerdeführer schließlich mitgeteilt, dass seine Ehe mit E S. am 17. Juli 2008 im Einvernehmen geschieden worden sei, und - ebenso wie in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. August 2008 - das Vorliegen einer Scheinehe bestritten.

Beweiswürdigend hielt die belangte Behörde fest, "unter Bedachtnahme auf sämtliche Aussagen und Erhebungen" sei davon auszugehen, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit E S. ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um ihm problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Die belangte Behörde übersehe nicht, dass die Eheleute bei ihren Vernehmungen durchaus (wenn auch wenige) gleichlautende Angaben gemacht hätten. Es liege jedoch "gerade im Wesen einer Scheinehe", durch gleichlautende Angaben ein gemeinsames Ehe- und Familienleben der Behörde "wahrheitswidrig glaubhaft zu machen". Letztlich hätten die vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen ein gemeinsames Ehe- und Familienleben nicht bestätigten können.

Angesichts der Widersprüche in den Angaben der Eheleute, der übrigen Aussagen und der Erhebungen stehe sohin fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Die Angaben des Beschwerdeführers seien als bloße Schutzbehauptung zu werten.

Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle - was auch in § 60 Abs. 2 Z 9 FPG zum Ausdruck komme - eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes lägen "im Grunde des § 87 iVm § 86 FPG leg.cit." vor.

Schließlich begründete die belangte Behörde, weshalb ihrer Ansicht nach die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer auch nach der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung dringend geboten sei und die vorgenommene Befristung des Aufenthaltsverbotes mit § 63 FPG in Einklang stehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (18. Juli 2009) nach dem FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 29/2009 richtet.

Die Beschwerde bekämpft unter anderem die Beweiswürdigung der belangten Behörde und wirft dieser wegen der nichterfolgten Vernehmung von beantragten Zeugen eine unzulässige, vorgreifende Beweiswürdigung vor. Darüber hinaus habe die belangte Behörde für den Beschwerdeführer sprechende Beweisergebnisse zu Unrecht außer Acht gelassen, insbesondere Aussagen vernommener Zeugen nur unvollständig berücksichtigt. Die im angefochtenen Bescheid erwähnten Hauserhebungen seien offenbar niemals am Wochenende bzw. jeweils zu Zeitpunkten vorgenommen worden, als der Beschwerdeführer bereits in der Arbeit gewesen sei. Dem Erhebungsbericht vom 12. Oktober 2005 sei nicht zu entnehmen, welche Nachbarn den Beschwerdeführer und seine Ehefrau auf Lichtbildern nicht erkannt hätten. Im Bericht vom 19. November 2007 habe zumindest eine Nachbarin bestätigt, die Eheleute zu kennen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe das Bestehen eines Ehe- und Familienlebens mit diesem immer wieder bestätigt und auch relevante Details über den Beschwerdeführer angeben können. Darüber hinaus habe die belangte Behörde näher genannte Übereinstimmungen in den Aussagen des Beschwerdeführers und seiner früheren Ehefrau nicht berücksichtigt. Die im angefochtenen Bescheid dargestellten Widersprüche in den Angaben der Eheleute lägen nicht vor, seien irrelevant, auf die Vergesslichkeit der genannten Personen oder auf mögliche Fehler bei der Übersetzung durch eine sprachkundige Vertrauensperson zurückzuführen.

Dieses Vorbringen zeigt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Vorliegen von - nach Meinung der Behörde - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Vernehmung der zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Die begründungslose Unterlassung der Vernehmung eines Zeugen stellt einen relevanten Verfahrensmangel dar, es sei denn, dass die Zeugenaussage von vornherein nicht geeignet wäre, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 2012, Zl. 2011/23/0323, mwN). Der Umstand, dass Zeugen den ihnen ordnungsgemäß zugestellten Ladungen unentschuldigt keine Folge geleistet haben, darf nicht zu Lasten der die Vernehmung von Zeugen beantragenden Partei gehen. Vielmehr ist die Behörde in diesem Fall gehalten, als Zeugen geladene Personen - erforderlichenfalls durch Verhängung von Zwangsstrafen oder durch Vorführung - zum Erscheinen und zur Aussage zu verhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2013, Zl. 2012/23/0018, mwN).

Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen des Verwaltungsverfahrens die Vernehmung von sieben namentlich genannten Zeugen beantragt, von denen lediglich zwei von der erstinstanzlichen Behörde vernommen wurden. Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid lediglich fest, dass alle weiteren beantragten Zeugen zum Ladungstermin unentschuldigt nicht erschienen seien, begründete jedoch das Übergehen der zum selben Beweisthema wie die vernommenen Zeugen beantragten Personen nicht. Im Hinblick auf das von der belangten Behörde in Bezug auf die vernommenen Zeugen für ausreichend substantiiert befundene Beweisthema ist die Unterlassung der Vernehmung der weiteren Zeugen nicht nachvollziehbar. Im Sinne der dargestellten Rechtsprechung stellt dies einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Die belangte Behörde durfte daher nicht von Vornherein davon ausgehen, dass die vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen ein gemeinsames Ehe- und Familienleben letztlich nicht bestätigen hätten können.

Im Übrigen lässt die Beweiswürdigung der belangten Behörde, worauf die Beschwerde zutreffend verweist, auch eine vollständige inhaltliche Auseinandersetzung mit den Angaben der vernommenen Zeugen V B. und N S. vermissen. Die Aussage des Zeugen V B., den Beschwerdeführer und E S. ca. fünf- bis sechsmal gemeinsam gesehen zu haben (zuletzt ca. eineinhalb Monate vor der Vernehmung im Stiegenhaus der Wohnanschrift der Eheleute), wurde im angefochtenen Bescheid zwar erwähnt, in der Beweiswürdigung der belangten Behörde jedoch nicht erkennbar berücksichtigt. Die Aussage des Zeugen N S. wurde im angefochtenen Bescheid nur hinsichtlich dessen Angaben, nicht bezeugen zu können, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau ein Eheleben führten, er noch nie in deren Wohnung gewesen sei und auch keine Heiratsurkunde gesehen habe, wiedergegeben. Feststellungen zu den Angaben des - im selben Haus wie die Eheleute wohnenden - Zeugen, die Eheleute seit ca. dreieinhalb Jahren zu kennen und den Beschwerdeführer ca. zehnmal im Monat, davon ca. fünfmal in Begleitung seiner Ehefrau zu sehen, fehlen im angefochtenen Bescheid völlig und lagen daher auch nicht der behördlichen Beweiswürdigung zugrunde.

Darüber hinaus ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie ihre Schlussfolgerung, der Beschwerdeführer habe mit E S. eine Scheinehe geschlossen, ohne nähere Konkretisierung "auf sämtliche Aussagen und Erhebungen" bzw. auf "Widersprüche in den Aussagen des (Beschwerdeführers) und seiner Gattin" und die "übrigen Aussagen und Erhebungen" gestützt hat. Der undifferenzierte Verweis auf Widersprüche, Aussagen und Erhebungen im angefochtenen Bescheid lässt nun nicht erkennen, aus welchen Gründen nach Ansicht der belangten Behörde vom Vorliegen einer Scheinehe auszugehen sei.

Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 25. April 2013

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