VwGH 2013/16/0013

VwGH2013/16/001325.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger, Mag. Dr. Köller und Dr. Thoma sowie die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des T in I, vertreten durch Mag. Paul Hechenberger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom 25. September 2012, Zl. RV/0130-I/12, betreffend Versagung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52 Abs1;
AVG §52;
BAO §177;
FamLAG 1967 §8 Abs6;
AVG §52 Abs1;
AVG §52;
BAO §177;
FamLAG 1967 §8 Abs6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Anträge des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Familienbeihilfe sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab.

Begründend legte sie zunächst den Gang des Verfahrens dar:

"Der Berufungswerber (im Folgenden kurz als Bw bezeichnet) stellte am 23. November 2011 einen Eigenantrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab Jänner 2006.

Das Finanzamt wies die Anträge nach Einholung einer Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen mit Bescheid vom 10. Jänner 2012 ab. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienbeihilfe lägen nicht vor. Der Gesamtgrad der Behinderung betrage 40% und der Bw sei nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Mit Eingabe vom 24. Jänner 2012 wurde dagegen Berufung erhoben. Begründend führte der Bw aus, dass die Behörde unberücksichtigt lasse, dass er am 4. Jänner 2012 beim Bundessozialamt eine Niederschrift zu Protokoll gegeben habe, in welcher er sich mit der Einschätzung von nur 40 % nicht einverstanden erklärt habe, weil weitere für eine derartige Einschätzung relevante Leiden nicht berücksichtigt worden seien. Es sei in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, wieso insbesondere die anlässlich der Niederschrift vorgelegte Bestätigung seines langjährigen Psychotherapeuten, DDr. D, vom 24. Oktober 2011 in Ergänzung zur Untersuchung am 7. Dezember 2012 (gemeint wohl 2011) im Nachhinein in keiner Weise Berücksichtigung gefunden habe.

In dieser Bestätigung werde nach Schilderung seines jahrelangen Leidensweges als Missbrauchsopfer in verschiedenen Kinder- und Jugendheimen sowie der daraus resultierenden Primärfolgen (Gedächtnis-, Konzentrations- und Sprachstörungen) und Sekundärfolgen diagnostisch eine nach wie vor gegebene dissoziale Persönlichkeitsstörung sowie eine weiter latent vorhandene Alkoholabhängigkeit konstatiert.

Gleichzeitig legte der Bw einen neurologischen Befundbericht der Universitätsklinik für Neurologie X vom 12. Dezember 2011 vor und führte hierzu aus, dass er auch an symptomatischer Epilepsie leide. Diese Leiden hätten schon bei der Erstellung des Gutachtens des Bundessozialamtes mitberücksichtigt werden müssen.

Am 16. April 2012 legte der Bw eine Kopie des ihm am gleichen Tag gemäß § 40 Bundesbehindertengesetzes ausgestellten Behindertenpasses samt einem Untersuchungsbefund vom 19. März 2012 vor, mit welchem beginnend mit März 2012 ein Behinderungsgrad von 60% festgestellt wurde.

Der Unabhängige Finanzsenat forderte den Bw mit Schreiben vom 9. Juli 2012 unter Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen nochmals auf, alle relevanten ärztlichen Behandlungsunterlagen und Befunde aus dem Zeitraum vor Vollendung des 21. Lebensjahres vorzulegen.

In der Folge legte der Bw ein Schreiben der I GmbH vom 26. Juli 2012 mit Auszügen aus dem Krankenakt der Kinderstation des A.Ö. Landeskrankenhauses Y aus dem Zeitraum vom 20. April bis 30. Juni 1972 und vom 12. September 1973 bis 5. November 1973 vor. Am 6. August 2012 wurde ein weiteres Schreiben mit Auszügen aus dem Akt des Stadtjugendamtes I vorgelegt. "

Nach weiterer Zitierung des § 6 Abs. 1, Abs. 2 lit. d und Abs. 5 sowie § 8 Abs. 4 und 6 FLAG führte die belangte Behörde aus:

"Aus den gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich somit, dass der Bezug der Familienbeihilfe die Grundvoraussetzung für die Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung ist ... Steht die Familienbeihilfe mangels Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen oder wegen eines Ausschlussgrundes nicht zu, kann auch der Erhöhungsbetrag nicht gewährt werden.

Im vorliegenden Fall kommt es daher darauf an, ob der am 22. November 1958 geborene, fast 54jährige Bw wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und dieser Umstand bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist.

Das Finanzamt hat dem § 8 Abs. 6 FLAG 1967 entsprechend eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen eingeholt. Das dieser Bescheinigung zugrunde liegende fachärztliche Gutachten führt als Diagnose aus:

'Alkohol- und Benzodiazepinabhängigkeit

Richtsatzposition: 030801 Gdb: 030% ICD: F10.0

Rahmensatzbegründung:

Unterer Rahmensatz, da ärztliche, aber keine medikamentöse Therapie betrieben, sozial gut integriert.

Fokal mot. und generalisierte Epilepsie

Richtsatzposition: 041001 Gdb: 030% ICD: G40.2

Rahmensatzbegründung:

Mittlerer Rahmensatz, da Anfälle innerhalb von Monaten, regelmäßige Therapie

Gesamtgrad der Behinderung: 40 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Leiden 1 wird durch Leiden 2 um eine (1) Stufe, wegen ungünstiger Leidensbeeinflussung erhöht.

Der (Die) Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.'

Der Anamnese ist ein Alkohol- und Benzodiazepinmissbrauch seit 2004, Epilepsie seit 2008 und eine Lendenwirbelsäulen-OP im Jahr 2007 zu entnehmen.

Eine Untersuchung am 19. März 2012, welche zur Ausstellung eines Behindertenpasses nach § 40 Bundesbehindertengesetz führte, kommt zu folgendem Ergebnis:

'Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos.Nr.

GdB %

1

Mittelschwere Form der Epilepsie mit derzeit mehrmals jährlichen generalisierten großen Anfällen

04.10.02

50

2

Suchterkrankung mit leichten körperlichen und psychischen Veränderungen (Alkohol- und Benzodiazepinabhängigkeit)

03.08.01

40

3

Einschränkung des Hörvermögens beidseits incl. Tinnitus

12.02.01

40

4

Mittelgradige Funktionseinschränkung der Wirbelsäule

02.01.02

30

5

Chronische Hepatitis

07.05.01

10

Begründung der Position bzw. der Rahmensätze:

zu 1: Unterer Rahmensatz, in den letzten Monaten vermehrte große Anfälle trotz medikamentöser Therapie, berichtete kleinere Anfälle auch in der Nacht

zu 2: Oberer Rahmensatz, nach Entzugsbehandlung im Vorjahr bereits wieder Rückfall, nächster stationärer Entzug bereits geplant, ausreichende soziale Integration gegeben

zu 3: Fixer Rahmensatz, mittel- bis hochgradiger Hörverlust beidseits bei 50 % Hörverlust und Ohrgeräusch beidseits

zu 4: Unterer Rahmensatz, nach Operation ausreichende Funktion erzielbar, derzeit stabile Situation

zu 5: Unterer Rahmensatz, fehlende klinische

Beeinträchtigung

Gesamtgrad der Behinderung 60 v.H.

Begründung: Es besteht eine negative wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen dem führenden Leiden und Leiden 2, Leiden 3 - 5 erhöhen wegen fehlender Leidensbeeinflussung bzw. wegen Geringfügigkeit nicht weiter.

Folgende beantragten bzw. in den beigelegten Krankengeschichten bzw. Befunden diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen GdB.:

Es können nur die Folgen von Missbrauch berücksichtigt werden, nicht der Missbrauch an sich.

Der Gesamtgrad der Behinderung liegt vor seit: 03/12 Eine rückwirkende Bestätigung des GdB über den angeführten

Zeitpunkt hinaus ist nicht möglich.

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Erneuter Rückfall bei chronischer Alkoholerkrankung und wiederholte Epilepsiegeschehen in den letzten Wochen zeigen eine deutliche Verschlechterung der führenden Leiden und erfordern damit eine höher Einstufung'

Das letztgenannte Untersuchungsergebnis, welches nunmehr auch die vom Bw in seiner Berufung angeführten zusätzlichen Leiden enthält, zeigt eine Ergänzungsbedürftigkeit der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 9. Jänner 2012 dennoch nicht auf. Es bezieht sich ausdrücklich auf den Zeitraum ab März 2012 und enthält weder Feststellungen zur Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres, noch zum jetzigen Zeitpunkt. Darüber hinaus lagen offensichtlich zumindest die Leiden 1, 3 und 4 vor Vollendung des 21. Lebensjahres noch gar nicht vor. Verschlechterungen des Gesundheitszustandes (etwa auch durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres können aber für die Beurteilung des Familienbeihilfenanspruches nicht herangezogen werden.

Der Nachweis betreffend die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in einem qualifizierten Verfahren durch ein ärztliches Gutachten zu führen …

Ein Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen ...

Abgesehen davon, dass nach dem maßgeblichen Gutachten noch im Dezember 2011 keine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festgestellt worden ist, liegt der entscheidungsrelevante Zeitpunkt mehr als 32 Jahre zurück. Die Beurteilung eines lange zurückliegenden Sachverhaltes bereitet vor allem in jenen Fällen besondere Schwierigkeiten, in denen ein entsprechendes Krankheitsbild - im Gegensatz zu beispielsweise unfallbedingten körperlichen Beeinträchtigungen - in unterschiedlichen Ausprägungen und unterschiedlicher Schwere bestehen kann. In derartigen Fällen kann auch ein medizinischer Sachverständiger lediglich aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, in Verbindung mit seinem spezifischen Fachwissen Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt nun tatsächlich eine erhebliche Behinderung oder die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, eingetreten ist ...

Insbesondere beim vorliegenden Sachverhalt einer Alkoholabhängigkeit (es finden sich keine Anhaltspunkte, dass die Epilepsie, die Einschränkung des Hörvermögens, die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und die chronische Hepatitis bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahr bestanden hätten), bei dem Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit in unterschiedlichster Ausprägung vorliegen können, wäre es Sache des Bw gewesen, durch Vorlage entsprechender Beweismittel den Sachverständigen in die Lage zu versetzen, eine verlässliche Beurteilung im relevanten Zeitpunkt (1979) vorzunehmen zu können. Auf die Notwendigkeit der Vorlage entsprechender Beweismittel ('sämtliche Behandlungsunterlagen') wird im Antragsformular (Vordruck Beih 3) auch deutlich hingewiesen.

Wie aus dem Gutachten hervorgeht, hat der Bw lediglich einen Befund der Psychiatrie Z vom 7. Dezember 2011 vorgelegt. Der im Rahmen der Berufung vorgelegte neurologische Befundbericht vom 12. Dezember 2011 bezieht sich, abgesehen vom Hinweis auf den seit über 30 Jahren bestehenden Alkoholabusus, ebenfalls nur auf den aktuellen Zeitraum.

In diesem Zusammenhang darf auch auf den Beschluss des OGH vom 19. September 2000, Zl. 10ObS240/00t, verwiesen werden, worin der Gerichtshof zu einer vergleichbaren Rechtslage im Bereich der Invaliditätspension ausgeführt hat, dass im Zusammenhang mit der Arbeitsfähigkeit zu erörtern und zu klären sei, inwieweit 'ein bei aufbieten allenfalls auch großer Anstrengung noch beherrschbarer Fall von chronischem Alkohol- und Suchtgiftmissbrauch vorliegt oder ob der Missbrauch bereits zu einer abnormen Persönlichkeitsstruktur und zu einer unbeherrschbaren Sucht geführt hat, die eine willensmäßige Beeinflussung und eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ausschließt'. Auch diesen Ausführungen liegt das Wissen zu Grunde, dass Drogen- als auch Alkoholabhängigkeit nicht in jedem Fall zwangsläufig zu einer dauernden Erwerbsunfähigkeit führt bzw. führen muss.

Das Schreiben der I. vom 24. Oktober 2011 mit der persönlichen Einschätzung des Verfassers, dass bereits damals (wie heute) neben der Alkoholabhängigkeit auch eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorgelegen hätte, findet in den aktuellen Befunden, als auch im Ergebnis der Untersuchung vom 19. März 2012, das nach dem Bw offensichtlich alle seine Leiden beinhaltet, keine Bestätigung und vermag daher eine Ergänzungsbedürftigkeit des dem Abweisungsbescheid des Finanzamtes zugrunde liegenden fachärztlichen Gutachtens nicht aufzuzeigen. Abgesehen davon, dass der Bw dem Verfasser auch erst seit 2005 bekannt ist, wäre selbst bei Zutreffen dieser Beurteilung noch nicht gesagt, dass gleichzeitig auch eine (dauernde) Erwerbsunfähigkeit vorgelegen hat.

Auch in den Auszügen aus dem Krankenakt des Bw betreffend seiner Aufenthalte als 14- bzw. 15jähriger Jugendlicher in der Kinderstation des A.Ö. Landeskrankenhauses Y finden sich keine Anhaltspunkte für eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Das Verhalten des Bw gegenüber seinen Erziehungsberechtigten - aus welchem Grund auch immer - allein, vermag den Eintritt einer dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht nachzuweisen bzw. das Ergebnis des Gutachtens vom 8. Jänner 2012 nicht in Zweifel zu ziehen

Das gleiche gilt hinsichtlich des Schreibens vom 6. August 2008 mit Auszügen aus dem Akt des Stadtjugendamtes I.

Hinzu kommt, dass der Bw laut Versicherungsdatenauszug bis dato immer wieder Arbeitslosengeld bezogen hat. Nach § 7 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG) besteht Anspruch auf Arbeitslosengeld unter anderem unter der Voraussetzung, dass die betroffene Person arbeitsfähig und arbeitswillig ist. Nach § 8 Abs. 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid bzw. nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass die zuständigen Stellen in jahrelanger Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen Arbeitslosengeld gewährt hätten, wenn der Bw tatsächlich nicht arbeitsfähig gewesen wäre. Somit stützt auch diese Tatsache die in der Bescheinigung des Bundessozialamtes getroffene Feststellung, dass keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass keine Bescheinigung vorliegt, die bestätigt, dass der Bw bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außerstande gewesen wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine solche Bescheinigung ist aber die unverzichtbare Voraussetzung für die Gewährung der Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 iVm Abs. 2 lit. d FLAG 1967.

Die Vorbringen des Bw sind nicht geeignet, die Schlüssigkeit der vom Finanzamt eingeholten Bescheinigung und des ihr zu Grunde liegenden Gutachtens in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit in Zweifel zu ziehen. Hierzu hätte es der Vorlage entsprechender zeitpunktbezogener Beweismittel bedurft ...

Da die Voraussetzungen für den Anspruch auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe nicht vorliegen, besteht auch kein Anspruch auf den Erhöhungsbetrag gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 wegen erheblicher Behinderung.

Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 lit. a bis c und Abs. 5 FLAG 1967, wozu das Finanzamt in seinem Abweisungsbescheid keine Feststellungen getroffen hat, braucht deshalb nicht eingegangen zu werden."

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Hierauf erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme und legte mit seinem Schriftsatz vom 28. August 2013 weitere Urkunden vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, nach § 8 Abs. 6 FLAG sei der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche Dauer der Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei der Nachweis in einem qualifizierten Verfahren durch ein ärztliches Gutachten zu führen. Der Beschwerdeführer habe auf Aufforderung der belangten Behörde ein Schreiben des Psychotherapeuten DDr. D vom 26. Juli 2012 mit Auszügen aus den Krankenakten der Kinderstation des Landeskrankenhauses Y aus dem Zeitraum 20. April bis 30. Juni 1972 und 12. September bis 5. November 1973 und ein weiteres Schreiben von DDr. D mit Auszügen aus dem Akt des Stadtjugendamtes I aus den Jahren 1972 bis 1976 vorgelegt. In diesen Schreiben habe der Psychotherapeut in den Akten enthaltene relevante Informationen aufgearbeitet und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Beschwerdeführer vor Erreichen seines 21. Lebensjahres eine schwere antisoziale Persönlichkeitsstörung (F 60.2) vorgelegen habe. Außerdem gehe aus den Berichten von DDr. D hervor, dass auch weitere Akten existierten, welche über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers vor seinem 21. Lebensjahr Auskunft geben könnten, nämlich die Akten über seinen Aufenthalt im Landeserziehungsheim K von 1974 bis 1976 und auch der Pflegschaftsakt des Bezirksgerichtes Innsbruck, 2 P XXX. Die belangte Behörde habe jedoch weder die genannten Akten aus der fraglichen Zeit beigeschafft noch habe sie dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die Ergebnisse des Verfahrens zur Vervollständigung des Gutachtens zur Verfügung gestellt. Hätte der ärztliche Sachverständige diese zeitgenössischen Dokumente zur Verfügung gehabt, so hätte sich herausgestellt, dass beim Beschwerdeführer schon vor Vollendung seines 21. Lebensjahres eine körperliche oder geistige Behinderung eingetreten sei, wegen der er voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dem entgegen habe die belangte Behörde eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens verweigert, indem sie das Schreiben von DDr. D selbst einer antizipierenden Beweiswürdigung unterworfen habe und die ihr von Beschwerdeführer bekannt gegebenen Akten nicht eingeholt habe. Zudem habe sie den Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt, nämlich die Feststellung der mittelgradigen Funktionseinschränkung der Wirbelsäule (erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres) ohne Feststellung durch einen ärztlichen Sachverständigen und überdies aktenwidrig getroffen. Schließlich sehe die belangte Behörde die Annahme, es liege keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor, zu Unrecht durch den Bezug von Arbeitslosengeld bestätigt: Der Beschwerdeführer sei nur deshalb arbeitslosenversichert gewesen, weil er in der Zeit seiner Strafhaft zur Arbeitslosenversicherung gemeldet gewesen sei. Es habe sich daher nicht um eine geglückte Eingliederung in das Erwerbsleben gehandelt. Die belangte Behörde habe aber auch keinerlei Erhebungen in diese Richtung geführt und dem Beschwerdeführer hiezu auch kein Parteiengehör gewährt.

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Mit Art. 135 Z. 2 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, wurden unter anderem die Begriffe "27. Lebensjahres" durch die Begriffe "25. Lebensjahres" ersetzt; diese Änderung trat gemäß § 55 Abs. 17 lit. g FLAG in der Fassung des Art. 135 Z. 37 des Budgetbegleitgesetzes 2011 mit 1. Juli 2011 in Kraft.

Gemäß § 8 Abs. 6 erster Satz FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben auch die Gutachten der Ärzte des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen die an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Bundessozialamtes zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen. Die Entscheidung darüber, ob ein Gutachten unschlüssig oder ergänzungsbedürftig ist, obliegt der Beihilfenbehörde, und zwar unabhängig davon, ob diese als erste Instanz oder im Berufungswege über den Anspruch auf Familienbeihilfe entscheidet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, 2009/16/0325).

Der Sachverständige hat sich bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes all jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben. Die vom Sachverständigen bei der Aufnahme des Befundes anzuwendende Methode hängt ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 2009, 2009/16/0169, mwN).

Sowohl Methode als auch Umfang der Befundaufnahme hängen ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab, die primär der Sachverständige anhand seiner Fachkunde zu beurteilen hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. März 2010, 2009/12/0078, sowie vom 1. März 2012, 2011/12/0057).

Der Beschwerdeführer war dem von der Beihilfenbehörde erster Instanz zugrunde gelegten Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen damit entgegen getreten, dass er einerseits weitere Urkunden, teils auch Befunde, vorlegte und die Einholung von weiteren Akten als Grundlage für eine mögliche Befunderweiterung beantragte. Die belangte Behörde nahm dem entgegen von einer Ergänzung des Gutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen aus den eingangs wiedergegebenen, ausschließlich von ihr selbst, daher ohne Zuhilfenahme von fachärztlichem Sachwissen angestellten Erwägungen Abstand und sprach den weiteren Beweismitteln selbst die Tauglichkeit ab, im Rahmen einer ergänzenden Befundaufnahme zu anderen gutachtlichen Schlussfolgerungen führen zu können. Nach der zitierten Rechtsprechung wäre es allerdings Sache des Sachverständigen gewesen, die Tauglichkeit der vom Beschwerdeführer angebotenen weiteren Beweismittel an Hand seiner Sachkunde zu beurteilen.

Schon damit belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 25. September 2013

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