VwGH 2013/05/0012

VwGH2013/05/001223.7.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der I GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Georg Kahlig Rechtsanwalt GmbH in 1070 Wien, Siebensterngasse 42/3, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 4. Dezember 2012, Zl. BOB-397/12, betreffend Bauauftrag (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
BauO Wr §129 Abs10;
BauRallg;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
BauO Wr §129 Abs10;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, erteilte mit Bescheid vom 5. Juli 2012 gemäß § 129 Abs. 10 Bauordnung für Wien (BO) der beschwerdeführenden Partei als Eigentümerin des Nebengebäudes A. Straße 11 den Auftrag, binnen eines Monats nach Rechtskraft des Bescheides das ohne baubehördliche Bewilligung in massiver Bauweise errichtete Nebengebäude (weitere Werkstätte) im Innenhof an der rechten Grundgrenze im Anschluss an die bestehende Werkstätte im Ausmaß von ca. 27,32 m2 zu entfernen und den konsensgemäßen Zustand wieder herzustellen.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen vor, dass das gegenständliche Bauwerk bereits vor dem Weltkrieg errichtet worden sei. Der Bauakt hinsichtlich des Gebäudes A. Straße 11 sei nur sehr dürftig erhalten und es dürften Aktenteile in der Kriegszeit verloren gegangen sein. Es sei daher davon auszugehen, dass trotz Fehlens von Unterlagen eine Baubewilligung erteilt worden sei. Der Errichtungszeitpunkt des Gebäudes liege jedenfalls so weit zurück, dass auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch Unterlagen zu finden, nicht mehr bestehe. Es liege daher ein vermuteter Konsens vor, da das Werkstättengebäude jedenfalls seit mehr als 80 Jahren - ohne Beanstandung durch die Baubehörde - bestehe. Zum genauen Alter des Zubaus würden die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie die Einvernahme des Sachverständigen für Immobilien Mag. S., der in einem Gerichtsgutachten den äußerst schlechten Bauzustand des Zubaus als altersentsprechend qualifiziert habe, beantragt. Die Baubehörde habe in mehreren Begehungen die Liegenschaft besichtigt und auch in der Vergangenheit Bauaufträge erteilt, jedoch den Zubau niemals beanstandet. Auch daraus ergebe sich der vermutete Konsens.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung der beschwerdeführenden Partei gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, unbestritten stelle das Nebengebäude ein raumbildendes Bauwerk dar, und es sei daher gemäß § 60 Abs. 1 lit. a BO zu seiner Errichtung eine Bewilligung erforderlich. Die beschwerdeführende Partei bestreite nicht, dass eine Baubewilligung für das gegenständliche Bauwerk nicht vorhanden sei. Der bautechnische Amtssachverständige habe in einer Stellungnahme vom 3. September 2012 - von der beschwerdeführenden Partei unbestritten geblieben - ausgeführt, dass die Archive der Baubehörde erster Instanz bezüglich der gegenständlichen Liegenschaft als vollständig anzusehen seien, zumal für die Werkstätte an der hinteren Grundgrenze eine Baubewilligung mit Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den 12. Bezirk vom 15. September 1919 vorhanden sei. Auch bei den umgebenden Liegenschaften sei auf Grund der Erhebungen und der unbestrittenen Ausführungen des Amtssachverständigen von der Vollständigkeit der Unterlagen in den Archiven auszugehen. Die beschwerdeführende Partei habe im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nichts vorgebracht und keine Unterlagen vorgelegt, die einen Hinweis auf das Vorliegen einer Bewilligung für das auftragsgegenständliche Nebengebäude in seiner bestehenden Form geben könnten. Sofern die beschwerdeführende Partei ins Treffen führe, das Nebengebäude bestehe unbeanstandet sei über 80 Jahren, sei dem entgegenzuhalten, dass allein dadurch, dass bisher kein behördliches Einschreiten wegen Konsenslosigkeit erfolgt sei, ein vermuteter Konsens nicht begründet werde. Davon abgesehen, sei die Erlassung eines baupolizeilichen Beseitigungsauftrages gemäß § 129 Abs. 10 BO auch dann zulässig, wenn das Gebäude jahrelang unbeanstandet existiere. Auch könne weder eine Baubewilligung ersessen werden noch die Anwendbarkeit des § 129 Abs. 10 BO verjähren. Es sei davon auszugehen, dass ein vermuteter Konsens nicht gegeben und daher eine Bewilligung für das Nebengebäude in der bestehenden Form nicht vorhanden sei. Da sowohl zum Zeitpunkt der Errichtung des Hauptgebäudes als auch dem des hofseitigen Werkstättengebäudes bereits nach der damals geltenden Rechtslage (§ 14 der Bauordnung für die k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für das Erzherzogthum Österreich unter der Enns Nr. 35/1883) für Neu-, Zu- und Umbauten eine Baubewilligung erforderlich gewesen sei, sei das gegenständliche Nebengebäude auch zum damaligen Zeitpunkt bewilligungspflichtig gewesen. Ebenso habe die Bauordnung für Wien in ihrer Stammfassung LGBl. Nr. 11/1930 ebenso wie jetzt die Bewilligungspflicht vorgesehen. Der Bauauftrag sei daher zu Recht erlassen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die beschwerdeführende Partei bringt im Wesentlichen vor, ein Abbruchbescheid sei an jeden Miteigentümer des Bauwerkes zu richten; der gegenständliche Bescheid sei hingegen ausschließlich an die beschwerdeführende Partei gerichtet worden. Da es sich um den Abbruch eines Hofgebäudes handle, somit die Außenhaut des Gebäudes betroffen sei, sei ein einzelner Miteigentümer bzw. Wohnungseigentümer nicht befugt, eine solche von der Behörde verlangte Handlung zu setzen. Das beanstandete Hofgebäude bestehe zumindest seit 80 Jahren, und der Werkstättenzubau sei baubehördlich bewilligt worden bzw. sei nach den damaligen Bauvorschriften keine Bewilligung erforderlich gewesen. Die belangte Behörde habe weder Erhebungen zum genauen Alter des Zubaues, um nach dessen Bestimmung die entsprechenden Rechtsvorschriften anwenden zu können, getätigt noch das beantragte Gutachten zur Beurteilung des Alters eingeholt. Die belangte Behörde habe vielmehr ausschließlich Bestimmungen der gegenwärtig gültigen Bauordnung zitiert und daraus auf eine Bewilligungspflicht geschlossen. Die beschwerdeführende Partei habe Miteigentum im Jahre 2011 bzw. 2012 erworben, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass sie nähere Informationen hinsichtlich des Bauwerkes besitze. Im Hof befinde sich noch eine zweite Werkstätte, die im Jahr 1920 bewilligt worden sei. Daraus auf eine Baubewilligungspflicht der gegenständlichen Werkstätte, welche möglicherweise zwischen 1889 und 1920 errichtet worden sei, zu schließen, überzeuge nicht. Vielmehr hätte die belangte Behörde Erhebungen zur tatsächlichen Errichtung der Werkstätte durchführen müssen. Aus dem Umstand, dass bauliche Veränderungen am Gebäude durchgeführt und diesbezüglich Bau- und Benützungsbewilligungen erteilt worden seien, ohne dass das gegenständliche Gebäude beanstandet worden sei, und ausgehend vom Alter und der Bewilligungsfähigkeit des Gebäudes zum Zeitpunkt seiner Errichtung könne auf das Vorliegen eines vermuteten Konsenses geschlossen werden. Zur Bewilligungspflicht von Neu-, Zu- und Umbauten gemäß der Bauordnung für Wien in ihrer Stammfassung im Jahre 1930 gleich wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei zu entgegnen, dass das Gebäude jedenfalls vor dem Jahr 1930 errichtet worden sei.

Gemäß § 129 Abs. 10 BO ist jede Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften zu beheben. Ein vorschriftswidriges Bauwerk, für das eine nachträgliche Bewilligung oder Kenntnisnahme einer Bauanzeige nicht erwirkt worden ist, ist zu beseitigen. Aufträge sind an den Eigentümer (jeden Miteigentümer) des Bauwerkes zu richten.

Gemäß § 60 Abs. 1 lit. a BO ist bei Neu-, Zu- und Umbauten vor Beginn des Bauvorhabens (soweit - wofür vorliegend aber kein Anhaltspunkt gegeben ist - nicht die §§ 62, 62a oder 70a BO zur Anwendung kommen) die Bewilligung der Behörde zu erwirken.

Bauaufträge, die sich an den Eigentümer zu richten haben, sind im Falle des Miteigentums grundsätzlich - sofern keine anderslautende Sondervorschrift besteht - an alle Miteigentümer zu richten. Unabhängig davon ist ein Bauauftrag aber nicht deshalb rechtswidrig, wenn nicht sämtliche Miteigentümer des Bauwerks dem Bauauftragsverfahren beigezogen worden sind. Dies deshalb, weil ein Bauauftrag nicht in einem einheitlichen Bescheid gegen alle Miteigentümer erlassen werden muss (vgl. z.B. das hg Erkenntnis vom 13. November 2012, Zl. 2011/05/0093, mwN).

Mangels Baubewilligung kann ein Beseitigungsauftrag nach § 129 Abs. 10 BO nur erteilt werden, wenn der Bau zur Zeit seiner Errichtung bewilligungspflichtig war und auch zur Zeit des Auftrages noch bewilligungspflichtig ist (vgl. die bei Moritz, Bauordnung für Wien, 4. Auflage, S. 325 zitierte hg. Judikatur).

Die Beschwerde bezweifelt auch die Bewilligungspflicht des Zubaus im Zeitpunkt seiner Errichtung. Doch ist für die beschwerdeführende Partei in diesem Zusammenhang aus ihrem Vorbringen, dass die in Rede stehende Baulichkeit vor dem Inkrafttreten der Bauordnung 1930 (zwischen 1889 und 1920) errichtet worden sei, nichts zu gewinnen. Die belangte Behörde hat nämlich zutreffend dargelegt, dass bereits nach der Bauordnung 1883 für eine Baulichkeit wie die hier gegenständliche Bewilligungspflicht bestand.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Judikatur hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Bauwerkes, bei welchem Unterlagen über die seinerzeitige Baugenehmigung einerseits nicht auffindbar sind, von dem aber andererseits feststeht, dass von der Baubehörde Beanstandungen wegen eines fehlenden Konsenses niemals stattgefunden haben, die Rechtsansicht, es spreche in diesem Fall die Vermutung dafür, dass das Bauwerk in seiner derzeitigen Gestaltung auf Grund einer nach dem im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschrift erteilten Baubewilligung errichtet worden ist, es sei denn, dass Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorlägen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, Zl. 2006/05/0217, mwH). Die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes einer Baulichkeit im Sinne eines vermuteten Konsenses kann nur dann Platz greifen, wenn der Zeitpunkt der Erbauung derselben offensichtlich so weit zurückliegt, dass, von besonders gelagerten Einzelfällen abgesehen, auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen auffinden zu können, erfahrungsgemäß nicht mehr besteht. Dieser vermutete Konsens darf also nur dann angenommen werden, wenn es sich um ein seit vielen Jahrzehnten bestehendes Gebäude handelt, nicht aber schon dann, wenn ein Einschreiten wegen Konsenslosigkeit bisher nicht erfolgte (vgl. das schon zitierte Erkenntnis Zl. 2006/05/0217, mwH).

Die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags ist im Übrigen auch dann zulässig, wenn das Gebäude schon jahrelang unbeanstandet existiert hat (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2006/05/0217, mwH).

Angesichts der vorhandenen Baubewilligung aus 1912 besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die (auch von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogenen) Ausführungen des bautechnischen Amtssachverständigen, wonach die Archive für das in Rede stehende Grundstück als vollständig angesehen werden können, nicht zutreffend wären. Ohne konkrete Anhaltspunkte für die Unvollständigkeit der Archive sind aber keine weiteren behördlichen Ermittlungen in dieser Hinsicht vonnöten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/05/0072). Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass kein vermuteter Konsens besteht, bildet doch die Vollständigkeit der Archive ein wesentliches Argument gegen einen solchen.

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 23. Juli 2013

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