VwGH 2012/21/0142

VwGH2012/21/014211.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des L S in P, vertreten durch Mag. Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Gußhausstraße 14 Top 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 14. Februar 2012, Zl. UVS 26.9-15/2011-8, betreffend Einreiseverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §125 Abs16 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §60 Abs5 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §125 Abs16 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §60 Abs5 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Gambias, stellte am 3. Mai 2000 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. August 2007 rechtskräftig abgewiesen, und es wurde gemäß § 8 des Asylgesetzes 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia zulässig sei. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 2. Oktober 2007 die aufschiebende Wirkung zuerkannt, mit Beschluss vom 31. März 2010 wurde schließlich die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 30. Juli 2004 wurde gegen den Beschwerdeführer - nachdem er nach § 28 Abs. 2 und 3 des Suchtmittelgesetzes iVm § 15 StGB rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden war - gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 1 iVm § 39 des Fremdengesetzes 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Am 7. Juli 2010 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, das "Aufenthaltsverbot" aufzuheben, wobei er in der Antragsbegründung darauf hinwies, dass das Aufenthaltsverbot gemäß § 125 Abs. 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG als Rückkehrverbot "interpretiert" werden müsse. Der Antrag wurde in erster Instanz mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 11. Februar 2011, in zweiter Instanz mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 27. Juni 2011 abgewiesen. Den letztinstanzlichen Bescheid erklärte die Bundesministerin für Inneres mit Bescheid vom 14. September 2011 gemäß § 68 Abs. 4 Z 1 AVG als nichtig.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde (der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark) aus, der Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 11. Februar 2011 werde "mit der Maßgabe Folge gegeben, als im Zuge der gemäß § 52 FPG zu treffenden Rückkehrentscheidung über den Berufungswerber ein für die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wird".

Begründend stellte die belangte Behörde den Sachverhalt dar und gab § 53 Abs. 1 und 3 sowie § 69 Abs. 2 FPG in der Fassung des FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, und Art. 8 Abs. 2 EMRK wieder.

In der Folge führte sie - mit näherer Begründung - aus, dass angesichts der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr seinem Antrag auf Aufhebung des "Aufenthaltsverbotes (Einreiseverbotes)" nicht Folge gegeben werden könne. Den öffentlichen Interessen "an der Erlassung eines Einreiseverbotes" sei jedenfalls größeres Gewicht beizumessen als "allfälligen gegenläufigen Interessen" des Beschwerdeführers. Die "Dauer des ausgesprochenen Einreiseverbotes" von zehn Jahren sei "im Falle der vorgenommenen, einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung des Persönlichkeitsbildes" des Beschwerdeführers zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

Es sei somit "der Berufung auf gänzliche Aufhebung des Aufenthaltsverbotes (Einreiseverbotes) der Erfolg zu versagen und im Sinne des FPG 2005, BGBl. I Nr. 38/2011, wie dargelegt, zu erkennen" gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zitate des FPG beziehen sich im Folgenden, soweit nicht anders angegeben, auf die - im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgebliche - Fassung des FrÄG 2011.

Das gegen den Beschwerdeführer nach dem Fremdengesetz 1997 verhängte Aufenthaltsverbot galt gemäß § 125 Abs. 3 FPG nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes mit 1. Jänner 2006 als Rückkehrverbot, weil der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt Asylwerber war. Gemäß § 125 Abs. 16 FPG galt es als solches auch nach Inkrafttreten der durch das FrÄG 2011 erfolgten Änderungen mit 1. Juli 2011 "bis zum festgesetzten Zeitpunkt" weiter.

Dass gegen den Beschwerdeführer eine Ausweisung erlassen worden ist, hat die belangte Behörde nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Verwaltungsakten. Das Rückkehrverbot ist demnach weder gemäß § 62 Abs. 4 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011 zum Aufenthaltsverbot noch gemäß § 54 Abs. 9 FPG in der Fassung des FrÄG 2011 zum Einreiseverbot geworden.

Die belangte Behörde hatte somit - wie die Erstbehörde im Bescheid vom 11. Februar 2011 - über die Aufhebung eines Rückkehrverbotes zu entscheiden. Mangels diesbezüglicher Übergangsvorschrift hatte sie dabei die aktuelle Rechtslage, somit § 60 Abs. 5 FPG, anzuwenden.

Stattdessen hat die belangte Behörde "im Zuge der gemäß § 52 FPG zu treffenden Rückkehrentscheidung" ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Mit einer Rückkehrentscheidung ist zwar, der Anordnung des § 53 Abs. 1 FPG zufolge, grundsätzlich unter einem ein Einreiseverbot zu erlassen (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, Zl. 2011/21/0237, Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe); Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides und somit auch des Berufungsverfahrens vor der belangten Behörde war aber weder die Erlassung einer Rückkehrentscheidung noch eines Einreiseverbotes, sondern ausschließlich der Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbotes.

Über diesen Antrag wäre durch Stattgabe oder Abweisung zu entscheiden gewesen; die Herabsetzung der Dauer der Maßnahme ist hingegen nicht vom Gesetz gedeckt (vgl. etwa - betreffend einen Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG - das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2012, Zl. 2011/18/0267, Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe). Dürfte nach der aktuell geltenden Rechtslage kein unbefristetes Aufenthaltsverbot bzw. Rückkehrverbot erlassen werden, so ist diesem Umstand in der Form nachzukommen, dass die Behörde nach Ablauf der zulässigen Höchstdauer das Aufenthaltsverbot bzw. Rückkehrverbot von Amts wegen oder auf Antrag aufzuheben hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2012, Zl. 2012/21/0028). Wenn hingegen im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde die gesetzlich höchstzulässige Dauer (noch) nicht überschritten wurde, das Vorliegen einer Gefährdung immer noch zu bejahen und auch sonst die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes zulässig ist, ist der Antrag auf dessen Aufhebung abzuweisen.

Dadurch, dass die belangte Behörde - statt über die Aufhebung des Rückkehrverbotes zu entscheiden - ein befristetes Einreiseverbot erlassen hat, wurde, wie oben dargestellt, die Sache des Berufungsverfahrens überschritten.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge der (funktionellen) Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 11. Juni 2013

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