VwGH 2011/22/0143

VwGH2011/22/014310.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 17. November 2010, Zl. E1/2156/3/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

11997E039 EG Art39;
12010E045 AEUV Art45;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;
11997E039 EG Art39;
12010E045 AEUV Art45;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß §§ 87 iVm 86 Abs. 1 und § 60 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde stellte unter anderem fest, der Beschwerdeführer sei am 27. Juli 2003 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und habe am folgenden Tag einen Asylantrag gestellt. Gegen die erstinstanzlich negative Entscheidung vom 16. Juli 2004 habe der Beschwerdeführer Berufung eingebracht. Am 7. Februar 2006 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26. Februar 2010 sei der Asylantrag abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen worden.

Die Erlassung des befristeten Aufenthaltsverbotes stützte die belangte Behörde auf die "Begehung eines schwerwiegenden Suchtgiftdeliktes" durch den Beschwerdeführer, der somit eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Auf Grund der Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin sei in jedem Fall von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser erscheine im Lichte des Art. 8 EMRK zulässig und jedenfalls notwendig.

Zur Zuständigkeit führte die belangte Behörde zunächst aus, dem Akt sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau in der Zeit vom 1. Juni bis 21. Juni 2007 in Deutschland, T, behördlich gemeldet gewesen seien, wobei aber die Ehefrau im gleichen Zeitraum bis 11. Juni 2007 und ab 27. Juni 2007 in Österreich behördlich gemeldet gewesen sei (Abmeldung im Bundesgebiet für lediglich 15 Tage) und der Beschwerdeführer im gleichen Zeitraum lediglich 14 Tage ohne Wohnsitz im Bundesgebiet "aufscheine". Einem Aktenvermerk sei zu entnehmen, dass vom Ausländeramt des Landesratsamtes T für die Ehefrau keine Freizügigkeitsbestätigung ausgestellt und der Beschwerdeführer selbst auf die Sichtvermerkspflicht verwiesen worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich zu keiner Zeit rechtmäßig in Deutschland aufgehalten. Dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26. Februar 2010 sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der dortigen Verhandlung nicht behauptet habe, aus dem Bundesgebiet ausgereist zu sein oder seine Ehefrau nach Deutschland begleitet zu haben. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zufolge sei seine Ehefrau im Juni 2007 von Deutschland nach Österreich zurückgekehrt, wo sie das Zusammenleben mit ihm fortgesetzt habe. Da sich der Beschwerdeführer sohin in Österreich und nicht im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten habe, in den sich seine Ehefrau im Sinne des Art. 2 Z 3 der Freizügigkeitsrichtlinie begeben habe um dort ihr "Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben", seien die im Urteil des EuGH vom 25. Juli 2008, C-127/08 , dargelegten Grundsätze auf die vorliegende Situation nicht anwendbar. Daran ändere auch nichts, dass seine Ehefrau angeblich nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland nach Österreich zurückgekehrt sei, denn sie sei nicht mit, sondern zu dem Beschwerdeführer zurückgekehrt und habe das Zusammenleben mit ihm fortgesetzt. Der Beschwerdeführer sei daher nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger zu behandeln.

Im angefochtenen Bescheid wurde weiters die Anwendbarkeit der Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 verneint, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers während seines Asylwerberstatus nicht auf Dauer angelegt gewesen sei, sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte und auch die Voraussetzungen des Art. 7 leg. cit. nicht erfüllt seien.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 2. Mai 2011, B 20/11-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift der belangten Behörde erwogen hat:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (November 2010) die Rechtlage des FPG idF BGBl I Nr. 135/2009 maßgeblich ist.

Die Beschwerde macht unter anderem geltend, der Beschwerdeführer sei - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen, weil seine österreichische Ehefrau in Deutschland "ihre Personen und Niederlassungsfreizügigkeit" in Anspruch genommen habe, indem sie im Juni 2007 in T gewohnt habe und dort ordnungsgemäß gemeldet gewesen sei. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 FPG ergebe sich die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für das Bundesland Salzburg, sodass über die Berufung eine unzuständige Behörde entschieden habe.

Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist, im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern (Z 1) und in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz (Z 2).

Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG sind begünstigte Drittstaatsangehörige (u.a.) der Ehegatte eines Österreichers, der sein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen hat, insofern dieser Drittstaatsangehörige den gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Der Auffassung der belangten Behörde zum fehlenden Vorliegen der Voraussetzung des "Begleitens" oder "Nachziehens" im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG ist entgegenzuhalten, dass es - wenn der Österreicher von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebraucht gemacht hat - darauf gar nicht ankommt (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0666, mwN).

Maßgeblich ist im vorliegenden Fall somit, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem sie eines ihrer Rechte gemäß (früher Art. 18 und 39 ff EG, nunmehr:) Art. 21 und 45 ff AEUV ausübt oder ausgeübt hat (vgl. das zu § 57 NAG - demzufolge die §§ 51 bis 56 NAG auf Angehörige von u.a. Österreichern Anwendung finden, "sofern diese ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben" - ergangene hg. Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2009/21/0386). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ausschlaggebend, ob die österreichische "Ankerperson" mit einer gewissen Nachhaltigkeit von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2013, Zl. 2013/22/0062, und vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0666, jeweils mwN). Es wäre daher für die Beurteilung, ob der Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen ist, von der belangten Behörde auf Grund diesbezüglicher Hinweise im Akt schon von Amts wegen zu prüfen gewesen, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hatte. Dabei entfaltet aber nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts Relevanz. Es ist vielmehr eine gewisse Nachhaltigkeit erforderlich (ausführlich dazu das hg. Erkenntnis vom 17. April 2013, Zl. 2013/22/0019, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 23. Februar 2012, Zl. 2010/22/0011, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt, dass auch Angehörige eines Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, in den Anwendungsbereich von Art. 39 EG (nunmehr Art. 45 AEUV) fallen, solange sie ernsthaft im Aufnahmestaat einen Arbeitsplatz suchen, sich nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen und ihr Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2012, Zl. 2010/22/0035).

(Aus dem im vorgelegten Verwaltungsakt erliegenden Erkenntnis des Asylgerichtshofes ergibt sich auch, dass der Beschwerdeführer im dortigen Verfahren vorbrachte, seine Ehefrau sei bereits im Mai 2007 nach Deutschland übersiedelt, wo sie eine Beschäftigung habe aufnehmen wollen.)

Ob nun die belangte Behörde für die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache zuständig war, hängt davon ab, inwiefern die Ehefrau des Beschwerdeführers die genannten Unionsrechte tatsächlich und effektiv in Anspruch nahm. Dies kann auf Grund der Ausführungen im angefochtenen Bescheid aber nicht abschließend beurteilt werden, weil die belangte Behörde in Verkennung der rechtlichen Notwendigkeit keine Feststellungen im Hinblick auf die Intensität einer Arbeitsplatzsuche, die konkreten Umstände und die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts der Ehefrau - was mit der polizeilichen Meldung bzw. der Ausstellung einer Freizügigkeitsbestätigung nicht gleichgesetzt werden kann - traf.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die belangte Behörde zu Unrecht die Behandlung des Beschwerdeführers als begünstigten Drittstaatsangehörigen allein deshalb verneinte, weil sich dieser lediglich in Österreich aufgehalten und seine Ehefrau nicht nach Deutschland begleitet habe.

Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannte und es deshalb unterließ die erforderlichen Feststellungen zu treffen, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des Kostenbegehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 10. Dezember 2013

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