VwGH 2011/23/0272

VwGH2011/23/027221.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Juni 2008, Zl. E1/449.703/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §61 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §61 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein 1989 geborener serbischer Staatsangehöriger, war im Jahr 1994, im fünften Lebensjahr, nach Österreich eingereist, wo er sich seither aufhält. Seit 26. April 2005 ist er im Besitz eines Niederlassungsnachweises.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. Juni 2008 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Dem lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 19. Juni 2007 wegen der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB und des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten - wobei ein Strafteil von 21 Monaten bedingt nachgesehen wurde - verurteilt worden war.

Nach Darstellung der dieser Verurteilung zu Grunde liegenden, im März 2007 begangenen Straftaten führte die belangte Behörde aus, dass dieses Urteil den im § 60 Abs. 2 Z 1 FPG normierten Tatbestand erfülle, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien. Den ledigen, bereits volljährigen Beschwerdeführer träfen keine Sorgepflichten. Er habe familiäre Bindungen zu einem Bruder, mit dem er im gemeinsamen Haushalt lebe, seinem Vater, der unbekannten Aufenthalts sei, und seiner Mutter. Auch wenn deshalb mit einem Aufenthaltsverbot ein erheblicher Eingriff in sein Privat- und Familienleben einhergehe, sei dieser zulässig, weil er zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei demnach wegen der vom Beschwerdeführer ausgehenden schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dringend geboten und daher iSd § 66 Abs. 1 FPG zulässig.

Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte die belangte Behörde weiters die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts ableitbare Integration des Beschwerdeführers, der seine gesamte Ausbildung in Österreich absolviert habe, und seine familiären Bindungen einerseits sowie eine Minderung seiner Integration durch das besonders schwer wiegende strafbare Verhalten andererseits. Die belangte Behörde kam danach zum Schluss, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keineswegs schwerer wiegen würden als das in seinem Fehlverhalten begründete hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fern bleibe. Die damit verbundene Einschränkung des Kontakts zu seinen Familienmitgliedern - die ihn auch ins Ausland begleiten könnten - habe er im öffentlichen Interesse zu tragen. Dass seiner Ausreise ein unüberwindliches Hindernis entgegenstünde, habe er nicht behauptet.

Auch im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens sei mangels sonstiger, besonders für den Beschwerdeführer sprechender Umstände nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen. Ein "Sachverhalt gemäß § 61 FPG sei - selbst unter Berücksichtigung des § 56 FPG - nicht gegeben".

Die Dauer des Aufenthaltsverbots setzte die belangte Behörde mit zehn Jahren fest und begründete dies damit, dass im Hinblick auf das Gesamt-(fehl-)verhalten des Beschwerdeführers und seine aktenkundige Lebenssituation vor Ablauf dieser Frist nicht zu erwarten sei, dass die für dessen Erlassung maßgeblichen Gründe bereits weggefallen sein würden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Juni 2008) geltende Fassung des genannten Gesetzes.

In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei, unbestritten. In Anbetracht der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe ist diese Beurteilung nicht rechtswidrig. Die belangte Behörde bejahte ferner angesichts seines - den Verurteilungen zu Grunde liegenden -

gravierenden Fehlverhaltens und der daraus resultierenden schwer wiegenden Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Straftaten der vorliegenden Art die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme.

Dazu ist auszuführen, dass dem Beschwerdeführer im Hinblick auf den ihm erteilten Niederlassungsnachweis die Rechtsstellung eines "langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen" zukommt, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der im § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig ist (vgl. dazu das Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603). Demzufolge hätte die belangte Behörde die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes an Hand dieses Maßstabs zu bewerten gehabt.

Die belangte Behörde hat aber vor allem Folgendes außer Acht gelassen:

Gemäß § 61 Z 3 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) verliehen hätte werden können. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" in dieser Bestimmung dahin ausgelegt, dass der Fremde vor dem ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, somit bei Beginn seines das Aufenthaltsverbot begründenden strafbaren Verhaltens, die Verleihungsvoraussetzungen erfüllt haben muss (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2009/22/0267, mwN). Diese Unzulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gilt zwar dann nicht, wenn der Fremde wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist; dieser Ausnahmetatbestand ist beim Beschwerdeführer allerdings im Hinblick auf die Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe, wobei der unbedingte Teil nur neun Monate betragen hat, nicht erfüllt (siehe auch dazu das zuletzt zitierte Erkenntnis).

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG darf einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war. Diese Bestimmung fordert einen ununterbrochenen - und seit der Novelle BGBl. I Nr. 37/2006 rechtmäßigen - zehnjährigen Aufenthalt (Hauptwohnsitz) im Bundesgebiet sowie die Absicht, diesen zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu machen (vgl. die Erkenntnisse vom 22. Juli 2011, Zl. 2009/22/0179, und vom 24. September 2009, Zl. 2007/18/0653; sowie zur Auslegung des Begriffes "niedergelassen" jenes vom 20. September 2011, Zl. 2010/01/0002, mwN).

Auf diesen Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund des § 61 Z 3 FPG ging die belangte Behörde in vorliegenden Fall völlig unzureichend nur insoweit ein, als sie ausführte, dass "ein Sachverhalt gemäß § 61 FPG - selbst unter Berücksichtigung des § 56 FPG - nicht gegeben" sei. Nähere Feststellungen oder Erwägungen hiezu finden sich im angefochtenen Bescheid nicht.

Davon ausgehend, dass der 1989 geborene Beschwerdeführer bereits seit seinem fünften Lebensjahr (seit 1994 mit durchgehender Hauptwohnsitzmeldung) in Österreich lebt, bei Begehung der zur Verurteilung führenden Straftaten im Jahr 2007 somit unzweifelhaft bereits mehr als zehn Jahre, und dass er überdies über einen Niederlassungsnachweis verfügt, indizierte jedoch das Vorliegen des Aufenthaltsverbots-Verbotsgrundes des § 61 Z 3 FPG.

Indem die belangte Behörde dies verkennend sich mit der Erfüllung des Tatbestands des § 61 Z 3 FPG nicht auseinandergesetzt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Februar 2012

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