VwGH 2009/22/0179

VwGH2009/22/017922.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, und durch Dr. Martin Schatz und Mag. Patrick Gaulin, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 11. März 2009, Zl. E1/4583/09, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 11. März 2009 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 Z 1, § 61, § 63 und § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme bezog sich die belangte Behörde auf rechtskräftige Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 27. Jänner 2003 zu einer Geldstrafe, vom 2. Februar 2006 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Geldstrafe, vom 15. September 2006 zu einer zusätzlichen Geldstrafe und vom 13. Februar 2008 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Die belangte Behörde stellte das Fehlverhalten dar und beurteilte die Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG als gerechtfertigt.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, dass dieser 1977 in I geboren sei und "bis dato" in Österreich lebe, mit Unterbrechungen zwischen 1984 und 1991, als er in Bosnien die Volks- und Hauptschule besucht habe, und 1997/1998, als er neun Monate Militärdienst in Bosnien absolviert habe. Er sei mit einer Österreicherin verlobt und im Bundesgebiet gut integriert. Die belangte Behörde bewertete das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes schwerer wiegend als die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich.

Die Aufenthaltsverfestigung nach § 61 Z 3 FPG verneinte die belangte Behörde mit der Begründung, dass sich der Beschwerdeführer wegen der Absolvierung des neunmonatigen Militärdienstes in Bosnien in den Jahren 1997 und 1998 vor Verwirklichung des für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhaltes (die erste Tatzeit sei am 28. Oktober 2001 gewesen) nicht mindestens zehn Jahre rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Eine Aufenthaltsverfestigung nach § 61 Z 4 FPG sprach die belangte Behörde mit dem Hinweis ab, dass der Beschwerdeführer wegen seines Aufenthaltes in der Heimat von 1984 bis 1991 nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 16. Juni 2009, B 548/09-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Eingangs ist anzumerken, dass der angefochtene Bescheid anhand der Rechtslage vor dem FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, zu überprüfen ist und sich nachfolgende Gesetzeszitate auf diese frühere Fassung beziehen.

Die Beschwerde erweist sich als berechtigt, weil dem Aufenthaltsverbot der Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 61 Z 3 FPG entgegensteht. Gemäß dieser Bestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 hätte verliehen werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

Die genannten Ausnahmetatbestände liegen nicht vor, weshalb zu prüfen bleibt, ob im maßgeblichen Zeitpunkt dem Beschwerdeführer die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Der maßgebliche Zeitpunkt liegt in der Verwirklichung des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, das sind vorliegend die dem Aufenthaltsverbot zu Grunde liegenden Straftaten. Die erste Straftat, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes führen konnte, wurde am 28. Oktober 2001 verübt. Gemäß dem im Akt erliegenden Meldezettel hielt sich der Beschwerdeführer bereits am 4. Juli 1991 (wieder) in Österreich auf. Das Nichtvorliegen des genannten Verfestigungstatbestandes wurde von der belangten Behörde auch nicht mit der fehlenden Frist von zehn Jahren begründet, sondern mit der Abwesenheit in den Jahren 1997 und 1998 zur Ableistung eines neunmonatigen Militärdienstes in der Heimat.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 darf einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war. Diese Bestimmung forderte in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 37/2006 (vgl. zur Anwendung der im aufgezeigten maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Rechtslage das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, 2007/18/0653) einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz von mindestens zehn Jahren im Bundesgebiet.

In jedem Fall hätte der Beschwerdeführer grundsätzlich - von der nachfolgend zu beurteilenden Unterbrechung zunächst abgesehen -

die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG zum 28. Oktober 2001 erfüllt.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde wurde die (theoretische) Verleihung der Staatsbürgerschaft durch den Militärdienst in der Heimat nicht gehindert.

Der Gerichtshof hat nämlich bereits im Erkenntnis vom 18. Dezember 2000, 2000/18/0216, unter Hinweis auf Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II, 1990, ausgeführt, dass der Hauptwohnsitz auch bei vorübergehender Abwesenheit von der Unterkunft bestehen bleibt, wenn der entsprechende Wille aufrecht ist. So führt Thienel (a.a.O., 118) als Beispiele eine mehrmonatige Abwesenheit zwecks Absolvierung von Studien oder zwecks Berufsausübung im Ausland an. Es ist den Verwaltungsakten kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer nicht die Fortsetzung seines ständigen Aufenthaltes in Österreich nach Ableistung des Militärdienstes beabsichtigt hätte. Aus diesem Grund hindert die vorübergehende Abwesenheit zwecks Ableistung des Präsenzdienstes nicht die Erfüllung der Zehnjahresfrist.

Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde das Vorliegen des Verfestigungstatbestandes des § 61 Z 3 FPG zu Unrecht verneint, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Das Beschwerdevorbringen (insbesondere zum Verfestigungstatbestand des § 61 Z 4 FPG) konnte bei diesem Ergebnis dahinstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. Juli 2011

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