VwGH 2011/23/0163

VwGH2011/23/016321.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Jänner 2008, Zl. E1/138.552/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2 impl;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2 impl;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im August 2003 illegal nach Österreich ein und stellte am 26. August 2003 unter der Identität F., geboren am 1. Jänner 1985, einen Asylantrag. Der unabhängige Bundesasylsenat hat diesen Antrag im Instanzenzug abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria festgestellt; diese Entscheidung erwuchs am 13. Juni 2006 in Rechtskraft.

Am 11. November 2004 wurde der Beschwerdeführer unter der Identität F. vom Bezirksgericht Liesing wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 des Suchtmittelgesetzes rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt.

Am 31. Juli 2005 gab der Beschwerdeführer im Zuge einer Vernehmung an, sein richtiger Name sei C. Danach befragt, weshalb er ursprünglich einen falschen Namen und ein falsches Geburtsdatum genannt habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe erst jetzt von seinem Vater seinen richtigen Namen und sein Geburtsdatum erfahren.

Am 24. Oktober 2005 heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin S. Im Hinblick darauf stellte er am 20. Dezember 2005 einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck "begünstigter Drittsta.-Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 15. Dezember 2006 im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. Jänner 2008 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass sich der Beschwerdeführer seit dem rechtskräftigen negativen Abschluss seines Asylverfahrens "und weiters qualifiziert seit dem rechtskräftig negativen Abschluss seines Aufenthaltstitelverfahrens" unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Angesichts seines mehr als vierjährigen Aufenthalts sowie seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin ging die belangte Behörde zwar von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Allerdings sei dieser Eingriff zulässig, weil er insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens sowie zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu.

Die belangte Behörde ging weiters davon aus, dass der Beschwerdeführer gegenüber den Asylbehörden bzw. auch gegenüber der Fremdenpolizei bewusst eine falsche Identität angegeben habe, um sich dadurch eine Aufenthaltsberechtigung für Österreich zu verschaffen. Die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, er habe seine wahre Identität erst vor kurzem von seinem Vater erfahren, wertete die belangte Behörde als "reine Schutzbehauptung". Die belangte Behörde sah aus diesem Grund auch die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 2 Z 6 FPG als gegeben an. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer nicht bloß kurzfristig im Anschluss an ein rechtskräftig negativ abgeschlossenes Asylverfahren bzw. an ein rechtskräftig negativ abgeschlossenes Aufenthaltstitelverfahren unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben.

Vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer ausgehenden massiven Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit könne somit kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 66 FPG sei. Mangels besonderer zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keine Veranlassung, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2008, B 379/08-3, ablehnte. Über nachträglichen Antrag trat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. März 2008 die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2008 geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen ist. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet erteilt worden wäre.

Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass seine Ehefrau ihr unionsrechtlich eingeräumtes Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Er bringt jedoch vor, dass die Bestimmung des § 53 Abs. 1 FPG auf ihn als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin nicht anwendbar und eine Ausweisung von Familienangehörigen österreichischer Staatsbürger allein wegen eines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet grundsätzlich ausgeschlossen sei. Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtsgrundlage für die Ausweisung unrechtmäßig aufhältiger Familienangehöriger von Österreichern, die ihr unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, nicht § 86 Abs. 2 FPG, sondern § 53 Abs. 1 FPG ist. Die Ausweisung des Beschwerdeführers setzt daher nach der - zur hier maßgeblichen Rechtslage ergangenen - Rechtsprechung nicht das Vorliegen der in der Beschwerde angesprochenen qualifizierten Gefährdung voraus (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0124, mwN). Die Beschwerdeausführungen geben keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang gleichheitsrechtliche Bedenken anspricht, genügt es, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, VfSlg. 18.968, hinzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht schließlich auch keine Veranlassung, der Anregung des Beschwerdeführers zu folgen, im vorliegenden Zusammenhang ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu richten (vgl. zur Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2004/38/EG auf einen Sachverhalt, in dem der österreichische Ehepartner des Drittstaatsangehörigen von seinem unionsrechtlich eingeräumten Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, die Ausführungen des EuGH in seinem jüngst ergangenen Urteil vom 15. November 2011, Rs C-256/11 Dereci u.a., Rz 52 ff).

Die Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Der Beschwerdeführer rügt in dieser Hinsicht, die belangte Behörde habe bei ihrer Entscheidung seine persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich - insbesondere das Familienleben mit seiner österreichischen Ehefrau - nicht entsprechend berücksichtigt und die Möglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in seinem Herkunftsstaat in keiner Weise geprüft. Diese Einwände sind im Ergebnis berechtigt.

Zwar hat die belangte Behörde zutreffend den hohen Stellenwert der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betont. Sie durfte auch miteinbeziehen, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise des Beschwerdeführers durch dessen falsche Identitätsangabe gegenüber einer Behörde verstärkt worden sei. Dennoch muss sich die belangte Behörde mit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich und hier insbesondere mit den konkreten Auswirkungen der Ausweisung auf seine Situation und auf die seiner österreichischen Ehefrau entsprechend auseinandersetzen sowie gegebenenfalls darlegen, aus welchen Gründen sie eine Trennung des Beschwerdeführers von seiner Ehefrau als zumutbar ansieht. Ausgehend davon ist der belangten Behörde aber vorzuwerfen, dass sie die gebotene Interessenabwägung nach § 66 FPG vor dem Hintergrund der in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgestrichenen Kriterien nur unzureichend vorgenommen hat. Insoweit kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 2010, Zl. 2009/21/0031 und Zl. 2007/21/0493, verwiesen werden.

Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der genannten Kriterien zu einem anderen Ergebnis ihrer Interessenabwägung gekommen wäre, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet. Der Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Februar 2012

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