VwGH 2007/21/0493

VwGH2007/21/04939.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 4. Oktober 2007, Zl. St 93/07, betreffend

1. Ausweisung und 2. Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §50 Abs1;
FrPolG 2005 §50 Abs2;
FrPolG 2005 §51 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AsylG 1997 §8;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §50 Abs1;
FrPolG 2005 §50 Abs2;
FrPolG 2005 §51 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Ghana, reiste Ende Oktober 2003 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Februar 2004 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Unter einem wurde gemäß § 8 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana zulässig sei. Dabei ging das Bundesasylamt aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Lage in Ghana davon aus, dass der Beschwerdeführer vor der behaupteten Privatverfolgung - er befürchte die Tötung wegen der aus religiösen Gründen und aus Angst vor einer Kastration erfolgten Weigerung, das Amt als Diener der Königsfamilie, für das er auserwählt worden sei, anzunehmen - einerseits staatlichen Schutz finden könne und ihm andererseits eine inländische Fluchtalternative offen stehe.

Die gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachte Berufung zog der Beschwerdeführer am 5. Dezember 2005 im Hinblick darauf wieder zurück, dass er am 2. September 2005 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am 4. Oktober 2005 als Familienangehöriger einer Österreicherin einen Antrag auf Erteilung einer entsprechenden Niederlassungsbewilligung gestellt hatte. Infolge der Berufungszurückziehung ist der erwähnte Bescheid des Bundesasylamtes in Rechtskraft erwachsen.

Nachdem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in erster Instanz mit Bescheid vom 7. Februar 2007 abgewiesen worden war, wurde dem Beschwerdeführer von der Bundespolizeidirektion Linz als Fremdenpolizeibehörde mit Schreiben vom 13. Februar 2007 die Absicht mitgeteilt, ihn im Hinblick auf seinen seit der rechtskräftigen Beendigung des Asylverfahrens nicht rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich auszuweisen.

Bei der hierauf anberaumten Vernehmung des Beschwerdeführers am 20. März 2007 gab dessen mitgekommener Rechtsvertreter zunächst an, sein Mandant könne nicht in seine Heimat zurückkehren, weil er "nach wie vor in Ghana aus den im Asylverfahren genannten Gründen verfolgt" sei. Es werde hiermit gemäß § 51 FPG ein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Ghana gestellt. Zur beabsichtigten Ausweisung verwies der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers darauf, dass gegen die den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abweisende Entscheidung Berufung erhoben worden und das Verfahren in zweiter Instanz anhängig sei. Es bestünden "keine unberechtigten Chancen", dass es zu einer positiven Entscheidung kommen werde.

Mit Bescheid vom 27. März 2007 wies die Bundespolizeidirektion Linz den Beschwerdeführer sodann gemäß § 53 Abs. 1 FPG aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich aus. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag wies diese Behörde den Antrag vom 20. März 2007 auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana gemäß § 51 Abs. 1 FPG als unzulässig zurück. Letzteres wurde damit begründet, dass über diese Frage bereits eine Entscheidung einer Asylbehörde, nämlich der Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Februar 2004, vorliege und anlässlich der Antragstellung keine "über den Asylantrag hinausgehenden Verfolgungsgründe" vorgebracht worden seien.

Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer eine (gemeinsame) Berufung, der mit dem angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 4. Oktober 2007 in Bezug auf die Ausweisung im Spruchpunkt I. und hinsichtlich der Feststellung nach § 51 FPG im Spruchpunkt II. keine Folge gegeben wurde; zu II. wurde der erstinstanzliche Bescheid "dahingehend bestätigt", "dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, dass Sie (der Beschwerdeführer) in Ghana gemäß § 50 Abs. 1 und Abs. 2 (FPG) bedroht sind. Ihre Abschiebung nach Ghana ist zulässig."

Nach wörtlicher Wiedergabe des Inhalts der erstinstanzlichen Entscheidungen und der Berufung sowie nach Zitierung der für maßgeblich erachteten Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. aus, der Beschwerdeführer halte sich seit 5. Dezember 2005 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weil er über keinen Aufenthaltstitel nach dem NAG und über kein Aufenthaltsrecht aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen verfüge. Angesichts der Dauer des seit Oktober 2003 währenden Aufenthaltes in Österreich und aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit 2. September 2005 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und einer Beschäftigung nachgehe, sei ihm eine "entsprechende Integration" zuzugestehen. Dem hielt die belangte Behörde im Rahmen der gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung sodann entgegen, das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration werde dadurch erheblich gemindert, dass der Aufenthalt während des Asylverfahrens lediglich vorläufig berechtigt gewesen sei.

Der Beschwerdeführer halte sich - so führte die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung weiter aus - seit mehr als einem Jahr illegal in Österreich auf; bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde aber die öffentliche Ordnung in hohem Maße. Die Ausweisung sei demnach gemäß § 66 Abs. 1 FPG zur Wahrung eines geordneten Fremdenwesens dringend geboten. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle nämlich einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar; ein geordnetes Fremdenwesen sei für den österreichischen Staat von eminentem Interesse. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde demnach schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die inländischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gelte auch dann, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zugunsten des Beschwerdeführers zu üben, insbesondere weil das ihm vorwerfbare (Fehl-)Verhalten - v.a. nach dem rechtskräftig negativen Abschluss des Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht verlassen zu haben - im Verhältnis zu der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Integration, die "in ihrer sozialen Komponente" erheblich zu relativieren sei, überwiege. Es seien auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine andere Ermessensübung begründen könnten.

In der Begründung zu Spruchpunkt II. traf die belangte Behörde Feststellungen zur politischen und wirtschaftlichen Lage in Ghana, die zum Teil wörtlich der Bescheidbegründung des Bundesasylamtes entnommen sind. Gleiches gilt für die rechtlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlichen Schutzes vor den behaupteten Übergriffen durch Privatpersonen sowie hinsichtlich der angenommenen Zufluchtsmöglichkeit vor der nur lokalen Bedrohung in einem anderen Landesteil Ghanas.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu Spruchpunkt I.

Die Ausweisungsentscheidung der belangten Behörde erweist sich schon deshalb als rechtswidrig, weil die belangte Behörde die gebotene Interessenabwägung nach § 66 FPG vor dem Hintergrund der in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in Anlehnung an Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgestrichenen Kriterien (vgl. insbesondere das auch in der Beschwerde ins Treffen geführte Erkenntnis vom 29. September 2007, B 328/07) jedenfalls nur unzureichend vorgenommen hat. Insoweit kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0031, verwiesen werden. Auch im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde vor allem die aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nicht im erforderlichen Ausmaß berücksichtigt und sich insbesondere nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob der Ehefrau des Beschwerdeführers ein Familiennachzug in das Herkunftsland des Beschwerdeführers möglich und zumutbar wäre. In solchen Konstellationen darf sich die Fremdenpolizeibehörde im Übrigen nicht mit formelhaften Begründungen begnügen, sondern sie hat sich mit den konkreten Auswirkungen einer Ausweisung auf die Situation des Fremden und seiner Familienangehörigen zu befassen (vgl. auch dazu das genannte Erkenntnis Zl. 2009/21/0031). Angesichts dessen hätten im angefochtenen Bescheid auch nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau, insbesondere zu den Wohnverhältnissen, der Art ihrer Beschäftigungen und den erzielten Einkommen, aber etwa auch zur Frage der Unbescholtenheit und der Deutschkenntnisse sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat getroffen werden müssen. Im Übrigen hätte die belangte Behörde bei ihrer Argumentation mit der Relativierung der Integration nicht ausblenden dürfen, dass dem Beschwerdeführer nach der im Zeitpunkt der Eheschließung und der Antragstellung im Jahr 2005 geltenden Rechtslage als Ehemann einer Österreicherin ein Anspruch auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung und das Recht zur Inlandsantragstellung zugekommen war.

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften iSd § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Zu Spruchpunkt II. (Feststellung nach § 51 FPG):

Die belangte Behörde hat durch die Formulierung dieses Spruchpunktes zum Ausdruck gebracht, dass sie eine inhaltliche Entscheidung in Form der Feststellung treffen will, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Bedrohung des Beschwerdeführers in Ghana iSd § 50 Abs. 1 und 2 FPG bestehen und dass seine Abschiebung dorthin zulässig sei. Mit einer solchen meritorischen Erledigung des Antrages des Beschwerdeführers vom 20. März 2007 auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung steht auch die diesbezügliche, auf die Feststellungen zur Lage in Ghana gestützte Bescheidbegründung im Einklang, die vom Bestehen staatlichen Schutzes vor der behaupteten Verfolgung und der Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative ausging. An dieser Beurteilung ändert nichts, dass die belangte Behörde an einer Stelle ihrer Begründung auch erwähnte, es liege zu den im Asylverfahren geltend gemachten Fluchtgründen, auf die sich der Beschwerdeführer bei der Antragstellung bezogen habe, bereits eine rechtskräftige, für die Fremdenpolizeibehörde verbindliche Entscheidung vor. Dabei ging die belangte Behörde nämlich offenbar nur von einer inhaltlichen Bindung an die asylrechtliche Beurteilung, nicht jedoch von einer Unzulässigkeit des Antrages aus. Demgegenüber hatte die Bundespolizeidirektion Linz den Feststellungsantrag vom 20. März 2007 gemäß dem zweiten Satz des § 51 Abs. 1 FPG als unzulässig zurückgewiesen, weil über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana bereits die rechtskräftige Entscheidung des Bundesasylamtes vom 10. Februar 2004 vorlag und der Beschwerdeführer bei der Antragstellung insoweit keinen geänderten Sachverhalt behauptet habe. Dabei handelt es sich um eine Zurückweisung des Antrags wegen entschiedener Sache (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0175, mwN; siehe auch das Erkenntnis vom 8. Juli 2009, Zl. 2007/21/0451). In diesem Fall ist aber Sache des Berufungsverfahrens nur die Frage, ob die Erstbehörde eine solche Zurückweisung zu Recht vorgenommen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. März 2007, Zl. 2004/20/0191).

Es ist der Berufungsbehörde diesfalls verwehrt, erstmals - unter Übergehen einer Instanz - den eigentlichen Verfahrensgegenstand einer meritorischen Erledigung zuzuführen. Vielmehr bildet in solchen Fällen nur die betreffende verfahrensrechtliche Frage (hier: der Rechtmäßigkeit der auf § 51 Abs. 1 zweiter Satz FPG gestützten Zurückweisung des Antrages) die in Betracht kommende Sache des Berufungsverfahrens. Indem die belangte Behörde mit der inhaltlichen Antragserledigung im Spruchpunkt II. die ihr solcherart gesetzten Grenzen überschritt, belastete sie den bekämpften Bescheid insoweit mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. das Erkenntnis vom 15. Juni 1987, Zl. 86/10/0168; siehe daran anschließend auch das Erkenntnis vom 29. Mai 2009, Zl. 2007/03/0157, mwN). Dieser Spruchpunkt war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 9. November 2010

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