VwGH 2011/11/0216

VwGH2011/11/021621.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des S P in G, vertreten durch Muhri & Werschitz Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in 8010 Graz, Neutorgasse 47, gegen den Bescheid der Stellungskommission Steiermark vom 27. Oktober 2011, Zl. P1032693/3- MilKdo ST/Kdo/ErgAbt/2011, betreffend Feststellung der Eignung zum Wehrdienst, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
WehrG 2001 §17 Abs2;
WehrG 2001 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
WehrG 2001 §17 Abs2;
WehrG 2001 §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Verwaltungsakt erliegt ein Schreiben Dris. J., eines Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, datiert mit 10. Oktober 2010, an den Facharzt gleicher Richtung Dr. W. mit folgendem Inhalt (auszugsweise):

"Anamnese:

Seit 2.10.2010 plötzlich dumpfes Gefühl im re Ohr, Tinnitus deutlich lauter und tiefer, kein Schwindel, chron. Tinnitus bds kompensiert bei st.p. 4x Hörsturz mit vollständiger Restitution unter konserv. Therapie

rez. Tubenbelüftungsstörungen bds., li häufiger als re, rez. Schwankschwindel bei zugefallenen Ohren bds., behinderte

Nasenatmung, Dauerschnupfen, Allergietest: Hausstaub,

Schimmelpilze pos., MR-Angiographie mitgebracht: hyp. Adenoide, sonst unauff.

Diagnose:

Rz-Hörsturz re mit akut exacerbierten chron. Tinnitus re, chron. Tinnitus li, st.p. Hörsturz bds, hyp. Adenoide, intermitt. Tubenfunktionsstörung, Dev. septi, hyperpl. untere Muscheln bds, Rhinopathia allergica

…"

Im Akt erliegt weiters ein Befundbericht Dris. W. vom 21. März 2011 an die Stellungskommission Steiermark mit folgendem

Wortlaut:

"Diagnose:

Status post Hörsturz,

altersentsprechendes Hörvermögen.

normaler ohrmikroskopischer Befund"

Nachdem die Stellungskommission Steiermark dem Beschwerdeführer mitgeteilt hatte, dass sie unter Berücksichtigung der im Rahmen der Stellung des Beschwerdeführers am 22. März 2011 erhobenen bzw. beigebrachten Befunde und der ärztlichen bzw. psychologischen Untersuchung sowie der Befunde des Facharztes für Kardiologie und Innere Medizin Dr. S. den Beschluss "Tauglich" vorsehe, erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme vom 20. Juli 2011. Darin brachte er vor, er leide seit ca. fünf Jahren an massiven gesundheitlichen Schäden betreffend sein Gehör, woraus insbesondere ein stetiger Tinnitus resultiere. Seit 2006 habe er insgesamt 6 Hörstürze erlitten. er leide auch an Gleichgewichtsstörungen, einer behinderten Nasenatmung und Dauerschnupfen, bei ihm liege eine Hausstaub- und Schimmelpilzallergie vor.

Mit Bescheid vom 27.Oktober 2011 stellte die Stellungskommission Steiermark die Eignung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst mit dem Beschluss "Tauglich" fest.

Begründend wurde ausgeführt, anlässlich der Stellungsuntersuchung seien beim Beschwerdeführer nachstehende Diagnosen erhoben worden:

"Allergische Rhinopathie durch Pollen - Med. bei Bedarf Unwohlsein und Ermüdung - Trainingsmangel

Tinnitus aurium - Z.n. mehreren Hörstürzen, rez.

Tubenbelüftungsstörung beidseits

Abnorme Ergebnisse der Lungenfunktionsüberprüfung -

Obstruktion bei Atemwegsinfekt"

Laut kardiologischem Befundbereicht Dris. S. sei der

Beschwerdeführer kardial uneingeschränkt tauglich. Weiters sei von Dr. W. ein fachärztlicher Befund mit den Diagnosen "Status post Hörsturz, altersentsprechendes Hörvermögen, normaler ohrmikroskopischer Befund" erhoben worden. Gemäß der internen Beurteilungsrichtlinie SDB Nr. 11 würden diese Diagnosen mit der Wertungsziffer 4 und dem Ausnahmeprofil "Lärmschutz/Klimaschutz" beurteilt. Die berücksichtigte allergische Rhinopathie sei ebenfalls beurteilt und gemäß der internen Weisungen mit der Wertungsziffer 4 bewertet worden.

Die beim Beschwerdeführer festgestellten objektiven Gesundheitseinschränkungen seien nach Art und Ausprägung aus militärmedizinischer Sicht nicht als so erheblich einzustufen, dass ihm die Ausübung einer Soldatenfunktion nicht zugemutet werden könnte. Es könne ihm also insbesondere das Bedienen einer Waffe - zumindest einer Handfeuerwaffe - und die physische und psychische Belastbarkeit für jene militärischen Funktionen, für die noch ein Minimum an Kraftanstrengung und Beweglichkeit erforderlich ist, mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen zugemutet werden. Diese Gesundheitseinschränkungen schlössen es nicht von vornherein aus, dass sich der Beschwerdeführer zumindest kurzzeitig rasch in Bewegung setzen, erforderlichenfalls Deckung nehmen und von der Handfeuerwaffe Gebrauch machen könne. Es sei aber gemäß § 10 Abs. 2 ADV sichergestellt, dass der Beschwerdeführer während des Präsenzdienstes nur für jene Funktionen herangezogen werde, für die er auch die Dienstfähigkeit aufweise. Der Militärarzt werde anlässlich der Einstellungsuntersuchung festzulegen haben, ob und gegebenenfalls von welchen Ausbildungsvorhaben der Beschwerdeführer aufgrund seines Gesundheitszustandes zu befreien sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage des Verwaltungsaktes und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Wehrgesetzes 2001 (WG 2001), BGBl. I Nr. 146, in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010, lauten wie folgt:

"§ 9. (1) In das Bundesheer dürfen nur österreichische Staatsbürger einberufen werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung besitzen.

Stellungskommissionen Organisation

15. (1) Die Militärkommanden haben sich zur Feststellung der notwendigen körperlichen und geistigen Eignung der Wehrpflichtigen zum Wehrdienst (Stellung) der Stellungskommission als zuständiger Behörde zu bedienen. Diese hat auf Verfahren nach diesem Bundesgesetz das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, anzuwenden. …

Aufgaben

§ 17. (1) Den Stellungskommissionen obliegt die Feststellung der Eignung der Personen, die sich der Stellung unterziehen, zum Wehrdienst. …

(2) Die Stellungskommissionen haben die Eignung der Personen nach Abs. 1 zum Wehrdienst auf Grund der ärztlichen und psychologischen Untersuchungen mit einem der folgenden Beschlüsse festzustellen: 'Tauglich' oder 'Vorübergehend untauglich' oder 'Untauglich'. Zu den Beschlüssen der Stellungskommission bedarf es der Anwesenheit aller Mitglieder und der Mehrheit der Stimmen. Ein auf 'Tauglich' lautender Beschluss bedarf jedenfalls der Zustimmung des Arztes. Erscheint für die Feststellung der Eignung eine fachärztliche Untersuchung erforderlich, so sind die Personen nach Abs. 1 von den Stellungskommissionen einer solchen Untersuchung zuzuführen. Gegen die Beschlüsse der Stellungskommission ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Nachstellung und neuerliche Stellung

§ 18b. …

(2) Wehrpflichtige, deren vorübergehende Untauglichkeit festgestellt wurde, sind nach Ablauf der von der Stellungskommission für die voraussichtliche Dauer ihrer vorübergehenden Untauglichkeit festgesetzten Frist vom Militärkommando aufzufordern, sich zu dem in der Aufforderung bestimmten Zeitpunkt einer neuerlichen Stellung zu unterziehen. …"

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. aus vielen die Erkenntnisse vom 25. Juli 2007, Zl. 2007/11/0061, vom 24. Jänner 2006, Zl. 2005/11/0121, vom 25. Mai 2004, Zl. 2004/11/0023, und vom 20. Oktober 2011, Zl. 2011/11/0154, jeweils mwN) ist ein Stellungspflichtiger, der auf Grund seines körperlichen und geistigen Zustandes keine militärische Ausbildung erfahren und demnach keinen militärischen Dienst verrichten kann, nicht zum Wehrdienst geeignet. Der Dienst im Bundesheer umfasst jedenfalls eine militärische Komponente im engeren Sinn, auf die sich auch die Ausbildung der Grundwehrdiener zu erstrecken hat. Dies bringt die Anforderung mit sich, dass der Betreffende jedenfalls eine Waffe bedienen und ein gewisses Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann, um darüber hinaus auch die sonst bei der Leistung des Militärdienstes anfallenden Tätigkeiten und Übungen zu verrichten. Die einem auf "Tauglich" lautenden Beschluss der Stellungskommission zu Grunde liegende Beurteilung muss daher erkennen lassen, aus welchem Grund der zustimmende Arzt der Auffassung ist, der Stellungspflichtige besitze die notwendige körperliche und geistige Eignung, wie sie nach dem Gesagten beim Grundwehrdiener gegeben sein muss. Dies erfordert in Fällen, in denen Krankheitszustände oder Gebrechen festgestellt werden, die die erforderliche Leistungsfähigkeit - aus welchen Gründen immer - beeinträchtigen, begründete Ausführungen dazu, in welchem Ausmaß der Stellungspflichtige auf Grund des festgestellten Gesundheitszustandes in der Kraftanstrengung oder Beweglichkeit gehindert - oder trotz der behaupteten Leiden eben nicht gehindert - ist.

2.2. Derartige Ausführungen im dargestellten Sinn fehlen - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - im vorliegenden Fall. Die belangte Behörde geht zwar selbst von einem Zustand des Beschwerdeführers nach Hörsturz aus, unterlässt aber Feststellungen zur Zahl und zu den Auswirkungen der bereits erfolgten Hörstürze und zu den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Allergien. Sie begnügt sich vielmehr mit formelartigen Erwägungen, die eine auf medizinischen Sachverstand gegründete konkrete Bezugnahme auf die entscheidende Frage, ob die gesundheitlichen Einschränkungen am Hörvermögen einen Dienst mit der Waffe, insbesondere das Abfeuern derselben im Rahmen einer militärischen Ausbildung, entgegenstehen. Gleiches gilt für die Rhinopathie und die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Allergien.

Es ist daher nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei inhaltlicher Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer im Stellungsverfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, weil auch nicht notorisch ist, dass dem Beschwerdeführer trotz seiner das Hör- und Atemvermögen betreffenden Krankheitsgeschichte sowie der behaupteten Allergien die Eignung zum Wehrdienst im beschriebenen Sinn zukommt.

2.3. Daran ändern die Ausführungen in der Gegenschrift schon deshalb nichts, weil diese nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung eine ordnungsgemäße Bescheidbegründung nicht ersetzen können (vgl. das Erkenntnis vom 29. September 2005, Zl. 2003/11/0008, mwN).

2.4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 21. Februar 2012

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