Normen
12010E020 AEUV Art20;
62009CJ0034 Zambrano VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
12010E020 AEUV Art20;
62009CJ0034 Zambrano VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus Österreich aus.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei am 6. November 2005 mit einem Visum eingereist und nach Ablauf des Visums (am 1. Dezember 2005) im Inland geblieben. Am 23. November 2007 habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet. Dieser habe jedoch das ihm zustehende Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen. Die Beschwerdeführerin sei daher nicht begünstigte Drittstaatsangehörige. Sie befinde sich seit 2. Dezember 2005 rechtswidrig in Österreich. Ihr Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei abgewiesen worden.
Ein Familienleben im Sinn der EMRK bestehe in Österreich gemeinsam mit ihrem österreichischen Ehemann und dem gemeinsamen minderjährigen Kind. Es werde somit durch die Ausweisung in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin eingegriffen. Die Tochter besitze die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Eingriff sei jedoch gemäß § 66 FPG zulässig. Die Beschwerdeführerin habe erst während ihres unsicheren Aufenthaltes in Österreich einen österreichischen Staatsbürger geheiratet. Die Ausweisung sei zulässig und geboten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass ihr österreichischer Ehemann sein Unionsrecht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen und somit einen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht hätte. Da der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., gleichheitsrechtliche Bedenken in Bezug auf § 57 NAG nicht geteilt hat, vermag die Beschwerdeführerin Rechte nach den §§ 52 ff NAG nicht geltend zu machen.
Allerdings hat der EuGH über ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes im Urteil vom 15. November 2011, C- 256/11 , "Dereci u.a.", unter Hinweis auf das Urteil vom 8. März 2011, C-34/09 , "Zambrano", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird (Rn. 64). Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes (Rn. 66). Es betrifft Sachverhalte, in denen - obwohl das das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen betreffende abgeleitete Recht nicht anwendbar ist - einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Staatsbürgers eines Mitgliedstaats ist, ein Aufenthaltsrecht ausnahmsweise nicht verweigert werden darf, weil sonst die Unionsbürgerschaft der letztgenannten Person ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde (Rn. 67).
Sollten aber derartige Gründe bestehen, würde die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen - hier bezogen auf die Erlassung einer auf § 53 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) gestützten Ausweisung - dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein.
Die bloße Tatsache jedoch, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, rechtfertigt allerdings für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde.
Die belangte Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
Der angefochtene Bescheid war somit schon deswegen - ohne das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung im Blick auf Art. 8 EMRK einer Prüfung zu unterziehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2011, 2009/22/0054).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war wegen Gewährung der Verfahrenshilfe abzuweisen.
Wien, am 23. Februar 2012
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