VwGH 2009/22/0054

VwGH2009/22/005421.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des T in W, geboren am 15. März 1975, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 24, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. April 2008, Zl. 151.422/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
62009CJ0034 Zambrano VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §21 Abs1;
12010E020 AEUV Art20;
62009CJ0034 Zambrano VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §21 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, vom 7. Februar 2005 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zwecks Familienzusammenführung mit seiner österreichischen Ehefrau gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am 25. März 2004 illegal eingereist sei und am 26. März 2004 einen Asylantrag gestellt habe. Die Abweisung des Asylantrags sei in erster Instanz mit 7. Februar 2005 in Rechtskraft erwachsen. Gleichzeitig sei gegen ihn eine Ausweisung verfügt worden. Dennoch sei der Beschwerdeführer ohne entsprechenden Aufenthaltstitel im Bundesgebiet geblieben.

Am 10. Jänner 2005 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am 7. Februar 2005 den gegenständlichen Antrag im Rahmen der Familienzusammenführung gestellt.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Diese Bestimmung stehe einer Bewilligung des gegenständlichen Antrags entgegen.

Die Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen "stellt keinesfalls ein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar". Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Behörde könne einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen von Amts wegen zulassen. Humanitäre Gründe hätten trotz diesbezüglicher Prüfung seitens der belangten Behörde nicht festgestellt werden können. Das Gewicht der Integration auf Grund eines langjährigen Aufenthalts, der lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen sei, habe einen geminderten Stellenwert. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG . Er habe nicht dargetan, dass sein Ehepartner das Recht auf die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 81 Abs. 1 NAG sind Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (1. Jänner 2006) anhängig sind, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Dem NAG ist weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0257).

Daher geht das Beschwerdevorbringen, dem Beschwerdeführer sei der Aufenthaltstitel lediglich wegen rechtswidriger Behördensäumnis nicht erteilt worden und sein Antrag wäre bis zum Inkrafttreten des NAG mit 1. Jänner 2006 zu bewilligen gewesen, ins Leere.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, käme im vorliegenden Fall demnach gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland einschließlich des Abwartens der Entscheidung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Hinsichtlich der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK weist der Beschwerdeführer auf seine aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin hin, auf eine sehr gute Integration, eine unselbständige Erwerbstätigkeit und seine Unbescholtenheit.

Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt.

Da nämlich im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides sein inländischer Aufenthalt weniger als fünf Jahre andauerte, der Beschwerdeführer trotz bereits im Jahr 2005 erfolgter rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages verbunden mit einer Ausweisung im Inland geblieben ist und Österreich auch trotz geänderter Rechtslage nach Inkrafttreten des NAG mit 1. Jänner 2006 nicht verlassen hat, und somit seine Integration großteils in einem Zeitraum entstanden ist, in dem er nicht einmal einen unsicheren, sondern keinen Aufenthaltsstatus hatte, kommt seinen persönlichen Interessen nicht jenes Gewicht zu, um einen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Grund im Sinn des § 72 NAG annehmen zu können.

Weiters ist festzuhalten, dass - wie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Beschluss vom 19. Dezember 2008, Rs. C-551/07 , "D. Sahin", über ein Vorabentscheidungsersuchen (bis zu dessen Beantwortung auch das vorliegende Beschwerdeverfahren ausgesetzt war) ausgesprochen hat - die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG auch auf den Beschwerdeführer als Fremden Anwendung finden würde, der unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt ist und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit dem Unionsbürger begründet hat. Da der Beschwerdeführer jedoch mit einer österreichischen Staatsbürgerin und nicht mit einer sonstigen Unionsbürgerin verheiratet ist, weiters keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers einen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht hätte, und letztlich der Verfassungsgerichtshof im Urteil vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., gleichheitsrechtliche Bedenken in Bezug auf § 57 NAG nicht geteilt hat, vermag der Beschwerdeführer Rechte nach den §§ 52 ff NAG nicht geltend zu machen.

Allerdings hat der EuGH über ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 15. November 2011, Rechtssache C-256/11 , "Dereci u.a.", unter Hinweis auf das Urteil vom 8. März 2011, Rechtssache C-34/09 , "Zambrano", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird (Randnr. 64). Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes (Randnr. 66). Es betrifft Sachverhalte, in denen - obwohl das das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen betreffende abgeleitete Recht nicht anwendbar ist - einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Staatsbürgers eines Mitgliedstaats ist, ein Aufenthaltsrecht ausnahmsweise nicht verweigert werden darf, da sonst die Unionsbürgerschaft der letztgenannten Person ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde (Randnr. 67). Konkretisierend hat der EuGH dargelegt, die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, rechtfertige für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (Randnr. 68).

Angesichts dieses unionsrechtlichen Maßstabs ist festzuhalten, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solcherart beschriebenen Ausnahmefall darstellt. Sie wird dazu im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist und die Eingabengebühr EUR 180.- beträgt.

Wien, am 21. Dezember 2011

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