VwGH 2009/18/0180

VwGH2009/18/018024.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des Y K in W , vertreten durch die Nemetz & Nemetz Rechtsanwalts-KEG, in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 29, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 24. März 2009, Zl. SD 1489/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
ARB1/80;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit Bescheid vom 12. April 2004 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 48 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Im Berufungsverfahren verständigte die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 4. März 2009 vom Ergebnis einer Beweisaufnahme und räumte ihm eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24. März 2009 bestätigte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass sich das Aufenthaltsverbot auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG stütze.

Der Beschwerdeführer sei am 7. März 2003 mit einer von 28. Februar 2003 bis 7. August 2003 gültigen Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Ausbildung, § 7 Abs. 4 Z. 1 FrG" zur Absolvierung eines Universitätslehrganges für Tourismuswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien nach Österreich eingereist. Der Aufenthaltstitel sei anschließend bis 31. März 2004 verlängert worden. Bereits am 10. März 2004 habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin C M. geheiratet und am 25. März 2004 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger eines Österreichers, § 49 Abs. 1 FrG" bei der Erstbehörde eingebracht.

Im Zuge der Überprüfung dieser Ehe am 26. Juni 2004 sei C M. an der gemeinsamen Wohnadresse in W 14, Dstraße angetroffen worden. Sie habe sofort zugegeben, dass der Beschwerdeführer nicht bei ihr wohne und es sich bei ihrer Ehe um eine Aufenthaltsehe handle. Sie habe für die Eheschließung ein Sparbuch mit einer Einlage von EUR 3.000,- erhalten und bereits einen Antrag auf "Annullierung" der Ehe eingebracht.

In seiner Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11. Oktober 2004 habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, er habe C M. Ende Juli 2003 kennengelernt. Auf ihre Frage, warum er nicht arbeite, habe er erklärt, dass er als Student keine Arbeitserlaubnis habe, jedoch keineswegs arbeitsscheu sei. Anfang August habe ihm C M., die als alleinerziehende Mutter in Karenz selbst nicht über sehr viel Geld verfüge, vorgeschlagen, ihn aus Mitleid zu heiraten. Als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin hätte er die Möglichkeit, zu arbeiten. Insgesamt habe er C M. EUR 9.800,- gezahlt. Sie hätten keine Liebesbeziehung gehabt. Am 13. September 2004 habe er von C M. erfahren, dass diese die "Annullierung" der Ehe beantragt habe, weil ihr Freund gegen die Ehe gewesen sei. Das erhaltene Geld habe sie auf ein Sparbuch gegeben und werde es zurückzahlen.

Bei der niederschriftlichen Vernehmung am 15. Jänner 2009 habe C M. bestätigt, zu keiner Zeit mit dem Beschwerdeführer ein gemeinsames Familienleben geführt zu haben.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, es bestehe kein Grund, am Vorliegen einer Aufenthaltsehe zu zweifeln. CM. habe Erhebungsbeamten gegenüber eingestanden, mit dem Beschwerdeführer nicht zusammenzuleben und für die Eheschließung Geld erhalten zu haben. Diese Aussage habe sie auch niederschriftlich bestätigt. Der Beschwerdeführer habe ebenso bestätigt, dass es sich bei seiner Ehe um eine Aufenthaltsehe handle und er insgesamt EUR 9.800,- bezahlt habe. Er habe somit die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG rechtfertige.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit sechs Jahren im Bundesgebiet und verfüge hier über familiäre Bindungen zu seinem Bruder, seiner Schwester, drei Onkeln und mehr als 15 Cousins, die großteils bereits über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügten. Einer Mitteilung der österreichischen Sozialversicherung zufolge gehe der Beschwerdeführer bei wechselnden Arbeitgebern regelmäßig Beschäftigungen nach. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff aber sei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Die Zulässigkeit sei auch im Rahmen der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung zu bejahen. Der Beschwerdeführer habe lediglich auf Grund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin Zugang zum Arbeitsmarkt erlangt. Die durch den ungefähr sechsjährigen Aufenthalt erzielte Integration des Beschwerdeführers werde durch das Nichterreichen seines ursprünglichen Aufenthaltszweckes, nämlich der Absolvierung eines Universitätslehrganges, sowie die bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens auf Grund des Eingehens einer Aufenthaltsehe wesentlich gemindert. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet wögen keinesfalls schwerer als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, eine Aufenthaltsehe eingegangen zu sein. Er bringt jedoch vor, das Eingehen der Aufenthaltsehe liege bereits mehr als fünf Jahre zurück und er habe sich seither wohlverhalten.

Mit diesem Vorbringen zielt der Beschwerdeführer erkennbar auf die zum Fremdengesetz 1997 (FrG) ergangene Rechtsprechung ab, wonach eine allein aus dem besagten Rechtsmissbrauch durch Eingehen einer Aufenthaltsehe resultierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung als weggefallen zu betrachten war, wenn - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbots - die erstmalige Erfüllung des in § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG normierten Tatbestands bereits mehr als fünf Jahre zurücklag (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 14. November 2000, Zl. 99/18/0029, und vom 26. Juni 2003, Zl. 2001/18/0253). Diese Rechtsprechung kann jedoch für den Anwendungsbereich des FPG nicht übernommen werden (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/18/0228, mwN). Daran vermag auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger ist, nichts zu ändern. Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 1. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) sowie das dazu ergangene Zusatzprotokoll, gemäß dessen Art. 41 Abs. 1 sich die Vertragsparteien verpflichten, keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen, kommen einem Fremden selbst in dem Fall, dass er den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten hat, nicht zugute, wenn er - wie hier - diesen Zugang rechtsmissbräuchlich im Wege einer Aufenthaltsehe erlangt hat. Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid nur auf Grund seiner durch die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz einer unselbständigen Beschäftigung nachgehen; diesen Vorteil hat er auch bei Erlassen des angefochtenen Bescheides noch in Anspruch genommen.

Die in § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme erweist sich vor dem Hintergrund der behördlichen Feststellungen als gerechtfertigt.

Mit Blick auf die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG bringt der Beschwerdeführer unter dem Titel "Verletzung von Verfahrensvorschriften" u.a. vor, das Berufungsverfahren habe nahezu fünf Jahre gedauert, die belangte Behörde habe ihrer Begründung im Hinblick auf Art. 8 EMRK jedoch lediglich die Ausführungen seiner Stellungnahme vom 11. März 2004 zugrunde gelegt. Sie sei nicht auf seine umfangreichen familiären Bindungen in Österreich eingegangen und habe den angefochtenen Bescheid somit nicht auf den aktuellen Sachverhalt gestützt. Hätte er neuerlich Gelegenheit zu einer Stellungnahme erhalten, hätte er vorgebracht, in Anbetracht seines sechsjährigen Aufenthaltes in Österreich voll integriert zu sein, die deutsche Sprache zu beherrschen, seinen Aufenthalt durch "sozialversicherte Arbeitsverhältnisse" zu finanzieren und sich nach der nachträglich gewonnenen Einsicht seiner unzulässigen Eheschließung stets rechtskonform verhalten zu haben. Er sei verwaltungsstrafrechtlich und strafgerichtlich unbescholten und neige nicht zu unrechtmäßigem Verhalten. Durch die fehlenden Ermittlungen in einem entscheidungswesentlichen Punkt liege ein wesentlicher Verfahrensfehler vor.

Als inhaltliche Rechtswidrigkeit macht die Beschwerde geltend, die belangte Behörde habe keine Beweise zum Studienfortgang des Beschwerdeführers erhoben, seine Integration jedoch - neben der Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe - auch durch die "Nichterreichung" seines "ursprünglichen Aufenthaltszweckes - die Absolvierung eines Universitätslehrganges -" als wesentlich gemindert abgesehen. Der Beschwerdeführer habe jedoch im Jahr 2004 Urkunden vorgelegt, wonach er einen Universitätslehrgang besucht und sich dadurch auch in den Universitätsbetrieb integriert habe. Die auf Grund der familiären Bindungen und der Arbeitsverhältnisse entstandene Integration des Beschwerdeführers werde nicht durch eine zuvor eingegangene Aufenthaltsehe gemindert.

Der Beschwerde ist zunächst zuzustimmen, dass bei einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage während eines Verwaltungsverfahrens - sei es auch in der Berufungsinstanz - den Parteien neuerlich ausdrücklich das rechtliche Gehör zu gewähren ist. Im Hinblick auf den seit Erlassen des erstinstanzlichen Bescheides verstrichenen Zeitraum von fünf Jahren ist von einer inzwischen fortgeschrittenen Integration des Beschwerdeführers auszugehen, und die belangte Behörde wäre im Rahmen der ihr obliegenden Pflicht zur Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes gehalten gewesen, im Ermittlungsverfahren die Aktualität und Richtigkeit der Lebenssituation des Beschwerdeführers zu überprüfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2011, Zl. 2007/18/0917). Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 4. März 2009 gab sie dem Beschwerdeführer jedoch nur Gelegenheit, zu der Aussage seiner Ehefrau vom 15. Jänner 2009 Stellung zu nehmen. Die mit Blick auf § 66 FPG relevanten Kriterien waren hingegen nicht Gegenstand dieses Schreibens. Damit ist die belangte Behörde ihrer Pflicht zur Erhebung der aktuellen familiären bzw. privaten Situation des Beschwerdeführers nicht nachgekommen. Auf die Beschwerdeausführungen zu dem vom Beschwerdeführer eingebrachten Fristerstreckungsantrag betreffend die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 4. März 2009 war daher nicht mehr einzugehen.

Der Beschwerdeführer bringt jedoch auch in seiner Beschwerde keine entscheidungsrelevante Änderung seiner Lebensumstände vor und zeigt somit die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht auf. Die belangte Behörde hat bei der Interessenabwägung ohnehin den mittlerweile sechsjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und die damit verbundene Integration, seine familiären Bindungen zu seinem Bruder, seiner Schwester, drei Onkeln und mehr als 15 Cousins sowie seine regelmäßigen Beschäftigungen berücksichtigt und ist zutreffend von einem Eingriff in sein Privat- und Familienleben ausgegangen. Die Beschwerde legt nicht dar, welche "umfangreichen familiären Bindungen" des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigt worden wären. Dass er grundsätzlich zu "einem unrechtmäßigen Verhalten neige", hat ihm die belangte Behörde - entgegen der Beschwerdeansicht - nicht vorgeworden.

In der Beschwerde wird nicht behauptet oder nachgewiesen, dass der Beschwerdeführer einen Studienfortschritt vorzuweisen hätte. Mit Stellungnahme vom Oktober 2004 wurden lediglich zwei Zeugnisse betreffend Deutschkurse im Jahr 2003 vorgelegt. Da dem Beschwerdeführer zwischen Februar 2003 und März 2004 eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken erteilt bzw. diese verlängert wurde, vermag der erfolgreiche Abschluss von lediglich zwei Deutschkursen während dieser Zeit seine persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet nicht entscheidungswesentlich zu stärken.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers steht die schwerwiegende Gefährdung öffentlicher Interessen durch die rechtsmissbräuchliche Eheschließung gegenüber. Bei gehöriger Bewertung dieser Interessenlage kann die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten und im Sinn des § 66 FPG zulässig sei, auch dann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn man die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers und seine verwaltungsstrafrechtliche und strafgerichtliche Unbescholtenheit berücksichtigt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Jänner 2012

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