VwGH 2007/18/0917

VwGH2007/18/091716.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des RSR in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Oktober 2007, Zl. SD 1768/05, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrPolG 2005 §125 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrPolG 2005 §125 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde eine vom Beschwerdeführer, einem indischen Staatsangehörigen, gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 10. August 2005, mit dem der Beschwerdeführer gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG ausgewiesen wurde, erhobene Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 1. August 2000 illegal in Österreich eingereist. Ein von ihm am 9. August 2000 gestellter Asylantrag sei im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat am 13. August 2001 rechtskräftig abgewiesen worden. Ein weiterer, am 12. März 2002 eingebrachter Asylantrag sei vom Beschwerdeführer am 23. August 2002 zurückgezogen worden. Ein neuerlicher Asylantrag vom 22. Jänner 2004 sei vom Bundesasylamt wegen rechtskräftig entschiedener Sache am 16. Dezember 2004 (rechtskräftig) zurückgewiesen worden. Schließlich sei ein vom Beschwerdeführer vom 29. Dezember 2004 eingebrachter Asylantrag vom Bundesasylamt am 24. Februar 2005 neuerlich rechtskräftig zurückgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer, der unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sei, habe zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel verfügt und sei nach rechtskräftigem Abschluss des (ersten) Asylverfahrens im Bundesgebiet verblieben. Er halte sich sohin unrechtmäßig in Österreich auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG vorlägen.

Der Beschwerdeführer lebe seit ca. sieben Jahren im Bundesgebiet und verfüge im Inland über familiäre Bindungen zu seiner Lebensgefährtin. Es sei daher davon auszugehen, dass mit der vorliegenden Maßnahme ein Eingriff in das Privat- bzw. Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Dieser Eingriff erweise sich jedoch als dringend geboten. Der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Eine Legalisierung seines Aufenthaltes könne gemäß § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG jedoch nur vom Ausland aus erwirkt werden. Gegen diese Regelung habe der Beschwerdeführer, der seinen unrechtmäßigen Aufenthalt trotz diesbezüglicher rechtskräftiger Bestrafung fortgesetzt habe, in gravierender Weise verstoßen. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände könne sein weiterer Aufenthalt auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.

Abschließend führte die belangte Behörde aus, dass die Abänderung des Spruches (des erstinstanzlichen Bescheides) "im Hinblick auf die nunmehr geltende Rechtslage" erforderlich gewesen sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes (am 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen.

Die Beschwerde bringt vor, es sei nicht erkennbar, dass die belangte Behörde die Vorschriften des FPG angewendet habe.

Es trifft zu, dass der Beschwerdeführer mit dem erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 33 Abs. 1 FrG ausgewiesen wurde und die belangte Behörde im Spruch ihres Bescheides, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen wurde, als Rechtsgrundlage lediglich die Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG angeführt hat.

Ein Bescheid muss zwar seine Rechtsgrundlagen zweifelsfrei erkennen lassen. Die Verletzung des § 59 Abs. 1 AVG hinsichtlich der Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmungen steht aber nicht schlechthin unter der Sanktion der Aufhebung des Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof, sondern nur unter der weiteren Voraussetzung, dass auch die Begründung des Bescheides Zweifel über die angewendeten Vorschriften nicht beseitigt. Wesentlich ist, ob der Bescheidadressat an der Verfolgung seiner Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof gehindert und dieser in der Lage ist, seiner Kontrollbefugnis nachzukommen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2011, Zl. 2008/08/0020, mwN).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde - wie der Begründung ihres Bescheides eindeutig zu entnehmen ist - die Voraussetzungen der Ausweisung nach der von der ihr angeführten Bestimmung des § 53 Abs. 1 FPG geprüft und darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Abänderung des Spruches "im Hinblick auf die nunmehr geltende Rechtslage erforderlich" gewesen sei. Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt daher Zweifel über die angewendete Gesetzesbestimmung nicht aufkommen. Damit ist aber der Beschwerdeführer an einer Verfolgung seiner Rechte nicht gehindert und andererseits der Verwaltungsgerichtshof in der Lage, seiner Kontrollbefugnis nachzukommen. Dies umso mehr, als § 33 Abs. 1 FrG und § 53 Abs. 1 FPG denselben Wortlaut aufweisen. Das offenbar auf einem Versehen beruhende Unterlassen der Zitierung des § 53 Abs. 1 FPG auch im Spruch des Bescheides führt somit nicht zu dessen Rechtswidrigkeit.

2. Mit dem nicht näher begründeten Vorbringen, auf Grund seines langen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei eine "Aufenthaltsverfestigung" durch seine Integration eingetreten, bestreitet der Beschwerdeführer weder die rechtskräftig negative Beendigung seiner Asylverfahren, noch behauptet er nachvollziehbar, dass er über eine Aufenthaltsberechtigung für das Bundesgebiet verfüge.

3.1. Im Zusammenhang mit § 66 FPG bringt der Beschwerdeführer vor, er befinde sich seit mehr als sieben Jahren im Bundesgebiet. Am 10. Oktober 2005 habe er seine Lebensgefährtin, mit der er bereits seit dem Jahr 2003 gemeinsam lebe, geheiratet. Er lebe mit dieser in aufrechter Ehe. Bereits "am 12. Dezember 2006" sei er als Küchenhilfe bei einer namentlich genannten Gesellschaft beschäftigt. Ursprünglich sei er als selbständiger Zeitungskolporteur beschäftigt gewesen. Er sei unbescholten und habe keine Bindungen mehr zu seinem Heimatstaat. Bereits die erstinstanzliche Behörde habe keine Feststellungen darüber getroffen, inwieweit die beabsichtigte Ausweisung in sein Privat- und Familienleben eingreife. Auch die belangte Behörde habe zu den tatsächlichen Lebensumständen keine Feststellungen getroffen.

3.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Unbestritten ist der Beschwerdeführer illegal nach Österreich gelangt, ebenso wenig haben seine Asylanträge zum Erfolg geführt. Dass der Beschwerdeführer dennoch das Bundesgebiet nicht verlassen hat, stellt - wie die belangte Behörde zutreffend ausführte - eine Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens dar.

Allerdings ist zur Prüfung, ob eine Ausweisung im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten ist, eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu, wenngleich die bloße Aufenthaltsdauer nicht allein maßgeblich ist. Es ist vielmehr anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten öffentlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen. Diese in § 66 Abs. 2 FPG genannten Gesichtspunkte sind auch bei der Beurteilung nach § 66 Abs. 1 FPG zu beachten (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Juli 2008, Zl. 2007/21/0074, mwN).

Zwar ist das private Interesse eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich auszugehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes, der sich auf einen nicht berechtigten Asylantrag gründet, oder - wie im vorliegenden Fall - zum Teil nach rechtskräftiger Beendigung der Asylverfahren begründet wurden. Eine solche Relativierung hat aber nicht zur Folge, dass diesen Umständen nie Bedeutung dahin zukommen könnte, eine Ausweisung sei nicht (mehr) dringend geboten. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob wegen eines ausnahmsweise besonders stark ausgeprägten persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich akzeptiert werden muss, dass der Fremde mit seinem Verhalten (illegale Einreise und unrechtmäßiger Verbleib nach negativer Beendigung des Asylverfahrens) im Ergebnis versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. dazu erneut das hg. Erkenntnis, Zl. 2007/21/0074, mwN).

Die belangte Behörde hat den (etwas mehr als) siebenjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie familiäre Bindungen zu seiner Lebensgefährtin berücksichtigt. Den letztgenannten Umstand hatte der Beschwerdeführer in seiner mit 29. August 2005 datierten Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vorgebracht. Keine Berücksichtigung fand im angefochtenen Bescheid hingegen die ca. zwei Jahre vor seiner Erlassung erfolgte Eheschließung des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Zwar hatte der Beschwerdeführer diese Änderung in seinen familiären Verhältnissen der Behörde nicht mitgeteilt. Im Hinblick darauf, dass seit der Einbringung der Berufung bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides ca. zwei Jahre und zwei Monate vergangen sind und darüber hinaus auf Grund des Berufungsvorbringens bereits Anhaltspunkte für eine bereits seit längerer Zeit bestehende Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgefährtin bestanden, hätte die belangte Behörde jedoch Erhebungen zur aktuellen familiären bzw. privaten Situation des Beschwerdeführers anstellen müssen. Da sie dies unterlassen hat, hat sie ihre amtswegige Ermittlungspflicht verletzt.

Ferner wurden im angefochtenen Bescheid im Wege des grundsätzlichen Verweises auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zwar dessen Feststellungen, der Beschwerdeführer arbeite seit ca. drei Jahren als Zeitungskolporteur, ohne über eine Beschäftigungsbewilligung zu verfügen, und die rechtliche Beurteilung, dass er über keine beruflichen Bindungen verfüge, übernommen. In der Beschwerde wird dazu unter Vorlage einer Kopie der Lohnabrechnung vorgebracht, dass der Beschwerdeführer bei einer namentlich genannten Gesellschaft als Küchenhilfe arbeite. Im Hinblick darauf und mangels Feststellungen zur aktuellen beruflichen Situation des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid ist der Verwaltungsgerichtshof auch nicht in der Lage, die rechtliche Schlussfolgerung der belangten Behörde betreffend das Fehlen besonderer zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände - hier: in beruflicher Hinsicht - auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Vor dem Hintergrund des in der Beschwerde erstatteten Vorbringens ist es nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Durchführung der erforderlichen ergänzenden Ermittlungen zur aktuellen familiären bzw. beruflichen Situation des Beschwerdeführers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

4. Angesichts der aufgezeigten Feststellungs- und Ermittlungsmängel war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, sodass hier derzeit auf die im hg. Beschluss vom 5. Mai 2011, Zl. EU 2011/0004-0008, aufgeworfenen Fragen nicht eingegangen werden musste.

5. Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 16. Juni 2011

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