VwGH 99/18/0029

VwGH99/18/002914.11.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des am 30. April 1970 geborenen I in Wien, vertreten durch Mag. Werner Suppan, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Huttengasse 71-75, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 14. Jänner 1998, Zl. SD 928/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §48 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 14. Jänner 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage im August 1992 nach Österreich eingereist und habe in weiterer Folge auf Grund vorgelegter Verpflichtungserklärungen zwei Sichtvermerke erhalten, wobei die Gültigkeit des letzten Sichtvermerkes mit 20. September 1993 geendet habe. Vor Ablauf dieser Aufenthaltsberechtigung, nämlich am 18. August 1993, habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet, daraufhin einen Befreiungsschein und eine bis 16. Mai 1996 gültige Aufenthaltsbewilligung erhalten. Sein Verlängerungsantrag vom 10. April 1996 sei von der "MA 62" mit Bescheid vom 24. August 1996 wegen des Eingehens einer Scheinehe abgewiesen worden. Die Ehegattin des Beschwerdeführers - die laut eigenen Angaben bereits die zweite Scheinehe eingegangen wäre - habe am 28. Mai 1996 vor der MA 62 niederschriftlich zu Protokoll gegeben, dass sie den Beschwerdeführer nur deshalb geheiratet hätte, um ihm die Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme und der Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung verschaffen zu können. Für die Eheschließung hätte sie ungefähr S 30.000,-- erhalten. Es wäre vereinbart worden, keine eheliche Gemeinschaft aufzunehmen. Die beiden hätten auch nie gemeinsam gewohnt. Sie hätte sich nur deshalb an der Anschrift des Beschwerdeführers als Nebenwohnsitz gemeldet, um der Heirat eine gewisse Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Ehe des Beschwerdeführers sei am 5. November 1996 durch das Bezirksgericht Hietzing gemäß § 23 Ehegesetz für nichtig erklärt worden. Es liege somit klar auf der Hand, dass das Verhalten des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfülle, weil der Beschwerdeführer eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung des Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen, aber nie mit seiner Ehegattin ein gemeinsames Eheleben im Sinn des § Art. 8 MRK geführt und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet habe.

Dieses Fehlverhalten stelle eine bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. dar, welche die dort umschriebene Annahme in Ansehung der öffentlichen Ordnung, d.h. des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, rechtfertige. Dieses Fehlverhalten, mit dem sich der Beschwerdeführer fremdenpolizeilich bedeutsame Rechte verschafft habe, liege noch nicht so lange zurück, um die durch das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Beschwerdeführers herbeigeführte Ordnungsgefährdung als nicht mehr gegeben ansehen zu können. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei daher in diesem Fall vorbehaltlich der Zulässigkeit im Sinn der §§ 37 und 38 leg. cit. gerechtfertigt.

Dazu sei festzuhalten, dass nicht nur sämtliche Geschwister im Bundesgebiet lebten, sondern auch, dass der Beschwerdeführer am 24. April 1997 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe, mit der er ein gemeinsames Kind habe. Auf Grund dieser Tatsache sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Grund des § 37 Abs. 1 leg. cit. auszugehen. Dieser Eingriff sei aber zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, dringend geboten. Wer nämlich, wie der Beschwerdeführer, grob missbräuchlich nur zu dem Zweck vorgehe, um sich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, die ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) notwendig erscheinen ließen. Daran vermöge auch der Umstand, dass er seit April 1997 wiederum eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe und mit dieser ein Kind habe, nichts zu ändern, zumal er bereits zu diesem Zeitpunkt keinen Aufenthaltstitel für seinen Aufenthalt in Österreich besessen habe; er habe daher auch nicht damit rechnen dürfen, durch diese Heirat einen zu erlangen.

Die Zulässigkeit dieser Maßnahme sei auch gemäß § 38 FrG zu bejahen. Die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers sei in Anbetracht der nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes noch nicht relevant, weil der Beschwerdeführer seinen erlaubten Aufenthalt nur auf sein oben geschildertes rechtsmissbräuchliches Verhalten habe zurückführen können und der daraus ableitbaren Integration noch kein entscheidendes Gewicht zukomme. Wie bereits ausgeführt, habe er zum Zeitpunkt seiner letzten Heirat nicht davon ausgehen dürfen, dass er dadurch einen Aufenthaltstitel hätte erlangen können. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers hätten daher jedenfalls hinter die öffentlichen Interessen zurückzutreten.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 30. November 1998, B 449/98).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht die Beschwerde Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt aus diesen Gründen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Nach § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 leg. cit., die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit. Für sie gelten, sofern im Folgenden nichts anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes. Im vorliegenden Fall findet daher auf den Beschwerdeführer, der unstrittig Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin ist, die Bestimmung des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG Anwendung, derzufolge die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig ist, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Die belangte Behörde hat daher insoweit die Rechtslage verkannt, als sie das Aufenthaltsverbot im Spruch ihres Bescheides allein auf § 36 FrG und nicht auf § 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat. Dies stellt jedoch für sich gesehen keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers dar, zumal § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung ist, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 2000/18/0008).

1.2. Da der Beschwerdeführer unstrittig seine am 18. August 1993 mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangene Ehe gegen Entgelt zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen, aber mit seiner Ehegattin ein gemeinsames Familienleben nicht geführt hat, ist der - wie dargestellt als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehende - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfüllt.

2.1. Die Beschwerde bringt vor, dass das Eingehen der Scheinehe mittlerweile fast sechs Jahre zurückliege. Davon abgesehen habe der Beschwerdeführer keine die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdende Tat begangen. Er habe "kein einziges Mal das Leben, die Gesundheit, die körperliche Integrität, die Freiheit, das Vermögen oder die Ehre österreichischer Staatsbürger oder anderer Personen verletzt".

2.2. Die belangte Behörde hat zur Begründung ihrer Ansicht, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, ausschließlich das in der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung gegen Entgelt und der Berufung auf diese Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Vorteile gelegene Fehlverhalten des Beschwerdeführers herangezogen. Darüber hinausgehende Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes hat sie in diese Beurteilung nicht einbezogen. Die aus dem besagten Rechtsmissbrauch resultierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung ist jedoch im Hinblick auf die nunmehr (seit 24. April 1997) bestehende Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin weggefallen. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die genannte Annahme gerechtfertigt sei, beruht somit auf einer Verkennung der Rechtslage.

3. Da der angefochtene Bescheid schon aus den dargestellten Gründen inhaltlich rechtswidrig ist, kann es dahinstehen, ob der belangten Behörde bei der Ermittlung des ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhaltes die in der Beschwerde gerügten Mängel unterlaufen sind.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. November 2000

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