VwGH 2008/22/0363

VwGH2008/22/036324.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der K, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Februar 2008, Zl. 150.664/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
ASVG §293 Abs1;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
ASVG §293 Abs1;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den - laut angefochtenem Bescheid am 11. Dezember 2006 im Wege der Österreichischen Botschaft in New Delhi gestellten - und bei der erstinstanzlichen Behörde am 9. Jänner 2007 eingelangten Antrag der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen von Bangladesch, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Sohn der Beschwerdeführerin, ein österreichischer Staatsbürger, der Zusammenführende im Sinn des § 47 Abs. 3 NAG sei. Von ihm werde somit der angestrebte Aufenthaltstitel abgeleitet und er habe eine tragfähige Haftungserklärung sowie einen entsprechenden Einkommensnachweis zu erbringen. Der Sohn habe eine Haftungserklärung für fünf Jahre abgegeben. Bei der Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten sei dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung zu berücksichtigen. Für den Antragsteller, welcher den Titel "Angehöriger" begehre, müsse ein Betrag von EUR 747,-- "(frei) vorhanden" sein. Der Sohn beziehe inklusive Sonderzahlungen ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.496,31. Das pfändungsfreie Existenzminimum betrage unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er für zwei Personen (gemeint: die mit dem zusammenführenden Sohn im gemeinsamen Haushalt lebende Ehefrau sowie das gemeinsame minderjährige Kind) unterhaltspflichtig sei, EUR 1.262, 50. Ohne sonstige Belastungen mit zu berücksichtigen, verblieben daher lediglich EUR 233,81 im Monat, die der Zusammenführende für Unterhaltsleistungen an die Beschwerdeführerin aufbringen könnte. Somit dürfe gemäß § 47 Abs. 3 NAG kein Aufenthaltstitel erteilt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Zusammenführende mit seiner Ehefrau und einem minderjährigen Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Laut Antrag ist beabsichtigt, dass die Beschwerdeführerin bei ihrem Sohn Unterkunft nimmt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bezugnehmend auf derartige Konstellationen im Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0470, mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, dargelegt, dass die Existenz des Zusammenführenden auch dann gesichert ist, wenn einem im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepaar der "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG zur Verfügung steht und das restliche Haushaltseinkommen zur Unterhaltsleistung an den Nachziehenden verwendet wird.

Fallbezogen ergibt sich, dass die Ehefrau des Zusammenführenden - wie bereits die erstinstanzliche Behörde, auf deren Ausführungen der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Berechnung des erforderlichen Unterhalts verweist, festgestellt hat - über ein eigenes Einkommen in der Höhe von monatlich insgesamt EUR 617,70 verfügte. Der im vorliegenden Fall maßgebliche Haushaltsrichtsatz für das Ehepaar beträgt EUR 1.120,--

zuzüglich EUR 78,29 für das gemeinsame Kind, also insgesamt EUR 1.198,29. Das gemeinsame Einkommen des Zusammenführenden und seiner Ehefrau wäre somit ausreichend, um sowohl den notwendigen Unterhalt des Ehepaares und des Kindes, für das der Zusammenführende unterhaltspflichtig ist, sicherzustellen, als auch der Beschwerdeführerin die gemäß § 293 Abs. 1 ASVG erforderlichen EUR 747,-- zu verschaffen.

Im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde die Abweisung des Antrages - ungeachtet der Bezugnahme allein auf das in § 47 Abs. 3 NAG normierte Erfordernis des Vorliegens einer Haftungserklärung - der Sache nach auf § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG - danach bestimmt sich nämlich die Tragfähigkeit der Haftungserklärung - gestützt hat, ist ihr überdies vorzuwerfen, dass sie keine Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG vorgenommen hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 2011, Zl. 2008/22/0788, mwN).

Schließlich verneinte die belangte Behörde zwar zu Recht das Vorliegen eines Freizügigkeitssachverhaltes im Sinn der Richtlinie 2004/38/EG , zumal eine Inanspruchnahme des Rechts auf Freizügigkeit durch den Sohn der Beschwerdeführerin nie behauptet wurde. Dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 15. November 2011, C-256/11 , Dereci u.a., zufolge darf jedoch ein Aufenthaltstitel (auch) dann nicht verweigert werden, wenn dies dazu führte, dass der die Unionsbürgerschaft besitzende Angehörige sich de facto gezwungen sähe, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, womit ihm die Inanspruchnahme des Kernbestandes der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt wäre.

Zu dieser Frage, die bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens war, wird die belangte Behörde nach Einräumung von Parteiengehör allenfalls Feststellungen zu treffen und eine Beurteilung, die nicht mit der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen ist, vorzunehmen haben.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

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