VwGH 2011/23/0133

VwGH2011/23/013320.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Irene Haase, Rechtsanwältin in 1230 Wien, An der Au 9/1a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Dezember 2007, Zl. SD 130/06, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, reiste am 12. November 2003 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 13. November 2003 einen Asylantrag. Das Bundesasylamt hat diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Februar 2004 abgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia zulässig sei. Diese Entscheidung erwuchs am 12. März 2004 in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer heiratete am 25. November 2005 eine österreichische Staatsbürgerin und stellte im Hinblick darauf am 19. Dezember 2005 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides war dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. Dezember 2007 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Die belangte Behörde ging in ihrer Begründung zwar davon aus, dass mit der Ausweisung ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Sie erachtete diesen Eingriff aber als dringend geboten, weil der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Durch die Fortsetzung seines Aufenthaltes in Österreich trotz des rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahrens habe der Beschwerdeführer das öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung sei von solchem Gewicht, dass seine gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Dezember 2007 geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen ist. Der Beschwerde sind keine Behauptungen zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorlägen. Auch nach der Aktenlage bestehen dafür keine Anhaltspunkte. Somit bestehen keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Die Beschwerde kritisiert insbesondere, dass die belangte Behörde nicht auf die konkrete familiäre und soziale Integration des Beschwerdeführers einging und keine ernsthafte Interessenabwägung zwischen seinen privaten Interessen und allfälligen öffentlichen Interessen vornahm.

Dieses Vorbringen erweist sich im Ergebnis als berechtigt. Die belangte Behörde hat nämlich die gebotene Interessenabwägung nach § 66 FPG vor dem Hintergrund der in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgehobenen Kriterien nur unzureichend vorgenommen. Insoweit kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der Erkenntnisse vom 9. November 2010, Zl. 2009/21/0031, und Zl. 2007/21/0493, verwiesen werden.

Auch im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde vor allem die aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nicht im erforderlichen Ausmaß berücksichtigt. In einer solchen Konstellation darf sich die Fremdenpolizeibehörde nicht mit formelhaften Begründungen begnügen, sondern sie muss sich mit den konkreten Auswirkungen einer Ausweisung auf die Situation des Fremden und seiner Familienangehörigen befassen (vgl. neuerlich das Erkenntnis Zl. 2007/21/0493 und daran anschließend etwa das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0639). Angesichts dessen hätten im angefochtenen Bescheid auch nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau, zur Art ihrer Beschäftigungen, zur Frage der Deutschkenntnisse sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat getroffen werden müssen. Die bloße Erwähnung, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebe und seinen Lebensunterhalt bestreite, verbunden mit der abschließenden Einschätzung, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation nicht in Kauf genommen werden könne, wird dem nicht gerecht.

Im Übrigen hätte die belangte Behörde auch nicht ausblenden dürfen, dass dem Beschwerdeführer nach der im Zeitpunkt der Eheschließung und der Antragstellung im Jahr 2005 geltenden Rechtslage als Ehemann einer Österreicherin ein Anspruch auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung und das Recht zur Inlandsantragstellung zugekommen war (siehe zu diesem Gesichtspunkt das schon genannte Erkenntnis Zl. 2007/21/0493).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf gesonderte Zuerkennung von Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand gerichtete Mehrbegehren ist vom dafür zugesprochenen Pauschalbetrag bereits erfasst und war daher abzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2011

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