VwGH 2011/23/0113

VwGH2011/23/011330.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde 1. der A T, geboren 1961, und

2. des C T, geboren 1998, beide in H, vertreten durch Mag. Roswitha Ferl-Pailer, Rechtsanwältin in 8230 Hartberg, Roseggergasse 1/2, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Mai 2008, Zl. 268.877-0/18E-XVII/55/06 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0113), sowie Zl. 268.878- 0/14E-XVII/55/06 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2011/23/0114), betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;
AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;

 

Spruch:

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der zweitangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Zweitbeschwerdeführer ist der mj. Sohn der Erstbeschwerdeführerin. Beide sind russische Staatsangehörige, die Erstbeschwerdeführerin kumykischer, der Zweitbeschwerdeführer tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Die beschwerdeführenden Parteien stellten am 5. Juni 2005 im Bundesgebiet Anträge auf Gewährung von Asyl.

Ihre Flucht aus dem Herkunftsstaat begründete die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen damit, dass in Tschetschenien maskierte Personen Tag und Nacht gekommen seien. Ihr Gatte sei mitgenommen worden und werde seither vermisst. Sie habe die Leiche ihres Mannes zurückbekommen wollen, was ihr verweigert worden sei, weshalb sie ihn nicht einmal habe bestatten können. Ihre Tochter sei ebenfalls gestorben; der Zweitbeschwerdeführer sei seit dem Alter von fünf Monaten psychisch krank und - infolge eines Bombenangriffs - Invalide. In der Folge seien maskierte Personen auch mehrfach zu ihr gekommen, hätten sie mit dem Gewehrkolben geschlagen und auch nach ihrem Gatten gefragt. Im Fall einer Rückkehr nach Tschetschenien fürchte sie sich vor den Maskierten, die sie auch bereits mit dem Umbringen bedroht hätten.

Der Zweitbeschwerdeführer machte keine eigenen Fluchtgründe geltend.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 3. März 2006, womit die Asylanträge gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt und die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen worden waren, gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG ab.

Zur Begründung der negativen Asylentscheidung betreffend die Erstbeschwerdeführerin führte die belangte Behörde zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass nicht glaubhaft sei, dass sie einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder wäre. Sie habe ihre "Fluchtgeschichte" nicht glaubhaft machen können, habe sie in ihrem zuvor in der Slowakei gestellten Asylantrag doch bloß von einem Vorfall mit drei maskierten Männern gesprochen, die Geld und Gold verlangt, sie geschlagen und aus der Wohnung geworfen hätten. Die Entführung des Gatten, dessen Tötung und daraus für sie resultierende sicherheitsrelevante Probleme habe sie in der Slowakei ebenso wenig erwähnt wie regelmäßige Besuche von Maskierten, von welchen sie persönlich betroffen gewesen wäre. Auch unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes wäre dies jedoch zu erwarten gewesen, sofern der Sachverhalt den Tatsachen entspreche. Darüber hinaus habe die Erstbeschwerdeführerin völlig unterschiedliche Daten für das Verschwinden ihres Gatten angegeben. Dass die maskierten Männer immer wieder gekommen wären, um zu erfahren, wo sich ihr Mann aufhalte, sei nicht plausibel, weil ihr nach ihrem Vorbringen auch mitgeteilt worden sei, dass er getötet worden sei und sie versucht habe, die Leiche ihres Mannes zurückzubekommen.

Gegen die angefochtenen Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen, ohne dass es dem Gerichtshof zukäme, die vorgenommene Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (u.a.) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2010, Zl. 2008/19/0403, mwN).

Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die Beweiswürdigung des erstangefochtenen Bescheides aus folgenden Erwägungen als nicht schlüssig:

Der belangten Behörde lag nicht nur die im Zulassungsverfahren durchgeführte ärztliche Untersuchung der Erstbeschwerdeführerin vor, in welcher dieser eine krankheitswertige psychische Störung attestiert wurde, sondern es stellte die belangte Behörde selbst fest, dass bei der Erstbeschwerdeführerin eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe, die mit einem Antidepressivum medikamentös behandelt werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. April 2011, Zl. 2011/01/0028, mwN). Demgegenüber hat die belangte Behörde keine nähere Begründung für ihre Einschätzung, dass auch unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands der Erstbeschwerdeführerin zu erwarten gewesen wäre, dass sie den erst in Österreich vorgebrachten Sachverhalt bereits in der Slowakei vorgebracht hätte, sofern dieser den Tatsachen entspreche, gegeben.

Da infolge des aufgezeigten Mangels die Beweiswürdigung das von der belangten Behörde angenommene Unglaubwürdigkeitskalkül betreffend die vorgebrachte asylrelevante Verfolgung auch nach dem Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes nicht trägt, war der erstangefochtene Bescheid bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Dieser Umstand schlägt gemäß § 10 Abs. 5 AsylG auch auf das Verfahren des Zweitbeschwerdeführers durch (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2007/20/0558, mwN). Der zweitangefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 30. Juni 2011

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