VwGH 2011/18/0064

VwGH2011/18/006416.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerden 1. des XX, geboren am 29. Mai 1998, 2. des YY, geboren am 24. Dezember 1999, und

3. des ZZ, geboren am 4. April 2001, alle in Wien, alle vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 14/10, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien je vom 24. Jänner 2011,

  1. 1. Zl. E1/513.299/2008 (hg. Zl. 2011/18/0064),
  2. 2. Zl. E1/513.320/2008 (hg. Zl. 2011/18/0065) und
  3. 3. Zl. E1/513.310/2008 (hg. Zl. 2011/18/0065), jeweils betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

32008L0115 Rückführungs-RL Art20 Abs1;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z4;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z6;
32008L0115 Rückführungs-RL Art6 Abs6;
32008L0115 Rückführungs-RL Kap3;
32008L0115 Rückführungs-RL;
AVG §1;
EURallg;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1a idF 2011/I/038;
NAG 2005 §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
32008L0115 Rückführungs-RL Art20 Abs1;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z4;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z6;
32008L0115 Rückführungs-RL Art6 Abs6;
32008L0115 Rückführungs-RL Kap3;
32008L0115 Rückführungs-RL;
AVG §1;
EURallg;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1a idF 2011/I/038;
NAG 2005 §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführer, mazedonische Staatsangehörige, auf § 54 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestützte Ausweisungen.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde darauf ab, die Mutter der im Jahr 1998, 1999 und 2001 geborenen Beschwerdeführer sei mit einem österreichischen Staatsbürger eine Aufenthaltsehe eingegangen. Sie sei ebenfalls nach § 54 Abs. 1 FPG ausgewiesen worden. Die Aufenthaltsehe der Mutter stehe der Erteilung weiterer Aufenthaltstitel auch an die Kinder entgegen und sei außerdem der Erteilung der zuvor erteilten Aufenthaltstitel entgegengestanden. Sohin seien die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung nach § 54 Abs. 1 FPG gegeben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die auf Grund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist, 1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und 2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 31. Mai 2011, Zl. 2011/22/0097 mit näherer Begründung dargelegt, dass seit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2008/115/EG (im Weiteren: Rückführungsrichtlinie) in deren Anwendungsbereich der Instanzenzug nicht (mehr) zur örtlich zuständigen Sicherheitsdirektion, sondern zum örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat als festgelegt anzusehen ist. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Im genannten Erkenntnis 2011/22/0097 führte der Verwaltungsgerichtshof weiters aus, dass Entscheidungen über Aufenthaltsverbote nach dem FPG in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fallen.

Die hier angefochtenen Bescheide, die Ausweisungen nach § 54 Abs. 1 FPG zum Gegenstand haben, ergingen nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Rückführungsrichtlinie. Es bleibt in den vorliegenden Fällen daher die Frage zu klären, ob es sich bei diesen Entscheidungen ebenfalls um solche handelt, die in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fallen.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie findet diese Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Art. 3 Z 2 Rückführungsrichtlinie definiert den illegalen Aufenthalt als die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen. Eine Rückkehrentscheidung stellt nach Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird, dar. Art. 6 Absatz 1 der Richtlinie legt fest, dass, unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5, die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Ist ein Verfahren anhängig, in dem über die Verlängerung des Aufenthaltstitels oder einer anderen Aufenthaltsberechtigung von illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältigen Drittstaatsangehörigen entschieden wird, so prüft gemäß Art. 6 Absatz 5 Rückführungsrichtlinie dieser Mitgliedstaat unbeschadet des Absatzes 6, ob er vom Erlass einer Rückkehrentscheidung absieht, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Art. 6 Absatz 6 Rückführungsrichtlinie legt ausdrücklich fest, dass durch diese Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden sollen, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien, mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen.

Nach den hier maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften wird mit der Erlassung einer Ausweisung nach § 54 Abs. 1 FPG sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden (vgl. § 10 Abs. 1 NAG) als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinn der Rückführungsrichtlinie, auferlegt. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen, stellt sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen sind aber dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten.

Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung einer Ausweisung nach § 54 Abs. 1 FPG (unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts) um eine Rückkehrentscheidung im Sinn des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie handelt, bei deren Erlassung die in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten sind. Daraus folgt aber nach dem oben Gesagten, dass für die Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie - wie der Verwaltungsgerichtshof im bereits zitierten Erkenntnis 2011/22/0097 hinsichtlich Aufenthaltsverbot näher dargelegt hat - der örtlich zuständige unabhängige Verwaltungssenat zuständig ist.

In den vorliegenden Fällen hätte somit über die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die auf § 54 Abs. 1 FPG gestützten Ausweisungen, die sich inhaltlich als Rückkehrentscheidungen im Sinn der Rückführungsrichtlinie darstellen, der Unabhängige Verwaltungssenat Wien zu entscheiden gehabt, an den die belangte Behörde die Berufungen gemäß § 6 AVG weiterzuleiten gehabt hätte.

Sohin erweisen sich die angefochtenen Bescheide, mit denen die belangte Behörde inhaltlich über die Berufungen abgesprochen hat, als mit Rechtswidrigkeit infolge ihrer Unzuständigkeit belastet. Sie waren daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 16. Juni 2011

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