VwGH 2011/12/0077

VwGH2011/12/007721.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Thoma sowie die Hofrätinnen Mag. Nussbaumer-Hinterauer und Mag. Rehak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde des WM in L, vertreten durch Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadt Wiener Neustadt vom 31. März 2011, Zl. 2-MW/142/2011, betreffend Abweisung eines Antrages auf Versetzung in den dauernden Ruhestand, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
BDG 1979 §14 impl;
BDG 1979 §52 Abs2 impl;
GdBDO NÖ 1976 §34 Abs4;
GdBDO NÖ 1976 §60 lita;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
BDG 1979 §14 impl;
BDG 1979 §52 Abs2 impl;
GdBDO NÖ 1976 §34 Abs4;
GdBDO NÖ 1976 §60 lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Wiener Neustadt hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wiener Neustadt. Er wird seit 1. April 2002 als Referatsleiter verwendet.

Am 19. Oktober 2010 beantragte er seine Versetzung in den dauernden Ruhestand.

Dem Antrag war ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. O vom 16. September 2010 sowie ein Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. L vom 14. Oktober 2010 angeschlossen.

Das erstgenannte Gutachten gelangte auf Grund einer persönlich aufgenommenen Anamnese und eines Befundes zu folgendem Ergebnis:

"Diagnose: St.p.ischäm. Insult in der Medulla oblongata re. (Wallenbergsyndrom) 04/10, Verschluss der AVD, Diabetes mellitus, Hypertonie, Fumus, Steatosis hep., Hyperlipidämie, Anpassungsstörung (F43.2)

Medikamente: idem

Empfehle aufgrund der Vorgeschichte und des bisherigen

Verlaufs eine Pensionierung krankheitshalber."

Im zweitgenannten Gutachten heißt es:

" Aus der Anamnese

Der Beschwerdeführer erlitt am 12.04.2010 einen Insult im Bereich der dorsolateralen Medulla oblongata mit Wallenberg-Syndrom bei Verschluss der A. vertebralis rechts.

NB: Hypertonie, Hyperlipidämie, NIDDM.

Nach stationärer Aufnahme Neurologie Wiener Neustadt, Stroke Abteilung, wurde der Beschwerdeführer nach 9 Tagen auf die Normalabteilung verlegt. Nach Aufenthalt im LK Hochegg erfolgte eine Reha im Zentrum Laßnitzhöhe.

Dort erfolgte eine weiterführende Rehabilitation.

Status

53-jähriger Patient mit AZ vermindert, Übergewicht mit Konzentrationsschwierigkeiten, rez. Kopfschmerz, Schwindel nach ca 1stündiger Arbeitstätigkeit, Schwäche li Bein nach Belastung, Gangunsicherheit bei Tragen mittelschwerer Lasten. Insgesamt erscheint der Patient im AZ nicht belastungsfähig. Eine Verbesserung des Zustands ist nicht zu erwarten.

Conclusio

Aus obig genannten Gründen erscheint der Beschwerdeführer nicht mehr belastungsfähig und in seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr einsatzfähig. Eine Pensionierung ist absolut indiziert."

Die belangte Behörde holte schließlich ein am 20. Dezember 2010 erstattetes Gutachten des Amtsarztes Dr. H ein, welches, u.a. auch unter Zitierung eines nicht im Akt erliegenden Befundes des Facharztes für Neurologie Dr. K sowie der beiden vom Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten, zu folgendem Ergebnis gelangte:

" Diagnosen:

1. Zustand nach ischämischem Insult der Medulla

oblongata rechts und Verschluss der rechten Vertebralarterie

2. Wallenbergsyndrom (Gleichgewichtsstörungen)

3. Persistierende sensible Halbseitensymptomatik links

4. Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus

5. Hoher Blutdruck

6. Blutfettstoffwechselstörung

7. Übergewichtigkeit

8. Zustand nach starkem Nikotinabusus

Gutachten:

Der Beschwerdeführer hat im April 2010 einen Schlaganfall erlitten. Als Risikofaktoren sind alle klassischen Risikofaktoren anzuführen, vom Stress und dem Nikotinabusus von 40 Zigaretten pro Tag über das Übergewicht bis hin zum hohen Blutdruck und einem Diabetes mellitus.

Mittlerweile hat sich der Beschwerdeführer gut erholt. Es gibt keine Lähmungserscheinungen, allerdings eine Gefühlsstörung im Bereich der linken Körperhälfte und Gleichgewichtsstörungen, die durch das von der Unterversorgung betroffene Hirnareal bedingt sind.

Der Beschwerdeführer hat am 7.11.2010 seinen Dienst wieder angetreten, ist jedoch am 11.11.2010 wieder in den Krankenstand getreten und hat um Pension angesucht. Wenngleich die Gefühls- und Gleichgewichtsstörungen unangenehm sind, haben doch primär eine Konzentrationsschwäche, verstärkte Müdigkeit und Kopfschmerzen dazu geführt, dass er sich nicht mehr in der Lage fühlt, seinen Dienst zu versehen.

Von amtsärztlicher Seite wird der Beschwerdeführer auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes nach wie vor als dienstfähig angesehen. Natürlich muss man nach dem Schlaganfall von einer vorläufig verminderten Leistungsfähigkeit ausgehen. Die Konzentrationsfähigkeit und das Durchhaltevermögen werden am ersten Tag nicht mit dem vergleichbar sein, was er vor dem Schlaganfall bieten konnte. Es wird empfohlen, dass zuerst vermehrte Pausen und Erholungsmöglichkeiten zugestanden werden, damit der Beschwerdeführer wieder voll in die Dienstfähigkeit hineinwachsen kann. Eine Begleitung durch einen Arbeitsmediziner wäre sinnvoll und empfehlenswert."

Dieses Gutachten wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. In einer Eingabe vom 19. Jänner 2011 erklärte er seinen Antrag auf Versetzung in den dauernden Ruhestand aufrecht zu erhalten. Er folge der Auffassung Dris. H nicht. Außerdem habe dieser die von ihm vorgelegten Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt.

Nach einem "Arbeitsversuch" des Beschwerdeführers am 1. Februar 2011 erging am 31. März 2011 der angefochtene Bescheid des Gemeinderates, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers vom 19. Oktober 2010 gemäß § 60 lit. a der Niederösterreichischen Gemeindebeamtendienstordnung 1976, LGBl. 2400 (im Folgenden:

GBDO), abgewiesen wurde.

Nach Schilderung des Verfahrensganges führte die belangte

Behörde zur Begründung der Antragsabweisung Folgendes aus:

"Gemäß § 60 lit.a GBDO hat der Gemeindebeamte, der bereits

eine 15-jährige, für die Ruhegenussbemessung anrechenbare Dienstzeit zurückgelegt hat, Anspruch auf Versetzung in den dauernden Ruhestand, wenn er gemäß lit.b das 65. Lebensjahr überschritten hat, auch ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit oder wenn er gemäß lit.a dienstunfähig ist und die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit voraussichtlich ausgeschlossen ist. Der Beschwerdeführer befindet sich im 54. Lebensjahr. Der Amtsarzt sieht den Beschwerdeführer als dienstfähig an.

Damit fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die Versetzung des Antragstellers in den dauernden Ruhestand."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Dem in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erhobenen Vorwurf, wonach die vom Beschwerdeführer vorgelegten fachärztlichen Befunde und Gutachten nicht ausreichend gewürdigt worden seien, erwidert die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift Folgendes:

"Der Amtsarzt bediente sich zur Erstellung seines Gutachtens, ob Dienstfähigkeit im Fall des Beschwerdeführers vorlag und ob voraussichtlich ausgeschlossen ist, dass die Dienstfähigkeit wiedererlangt wird, fachärztlicher Befunde von Dr. O und Dr. K, beide Fachärzte für Neurologie. Die Beantwortung dieser beiden Fragen im Zusammenhang mit der Dienstfähigkeit liegt im alleinigen Verantwortungsbereich des Amtsarztes als Amtssachverständigen, dessen sich die Dienstbehörde bedient.

Die belangte Behörde hatte keinen Grund das schlüssige Gutachten des Amtsarztes, der sich hiezu fachärztlicher Befunde bedient hat, in Zweifel zu ziehen. Das Ziehen von Schlüssen aus vorgelegten fachärztlichen Befunden bzw. Hilfsgutachten, und inwieweit er fachärztlichen Befunden folgt, obliegt jedoch dem Amtsarzt. Ein Abweichen von den Ausführungen und Schlüssen des Amtsarztes durch die entscheidende Behörde hat nur dann stattzufinden, wenn die Schlüssigkeit in Zweifel zu ziehen ist."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 34 Abs. 4 sowie § 60 lit. a GBDO lauten:

"§ 34

Anzeige der Dienstverhinderung und

ärztliche Untersuchung

...

(4) Der infolge Krankheit, Unfalls oder Gebrechens vom Dienst abwesende Gemeindebeamte hat sich auf Anordnung der Dienstbehörde einer ärztlichen Untersuchung zur Prüfung seines Gesundheitszustandes zu unterziehen. Wenn es zur zuverlässigen Beurteilung erforderlich ist, sind Fachärzte heranzuziehen. Eine Anordnung im Sinne des ersten Satzes ist spätestens drei Monate nach Beginn der Abwesenheit vom Dienst und sodann in entsprechenden Abständen zu erteilen.

...

§ 60

Anspruch auf Versetzung in den dauernden Ruhestand

Der Gemeindebeamte, der bereits eine fünfzehnjährige, für die Ruhegenussbemessung anrechenbare Dienstzeit zurückgelegt hat, hat Anspruch auf Versetzung in den dauernden Ruhestand,

a) wenn er dienstunfähig ist und die Wiedererlangung

der Dienstfähigkeit voraussichtlich ausgeschlossen ist;

b) wenn er das 65. Lebensjahr überschritten hat, auch ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit."

Zu Recht rügt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, dass die belangte Behörde in einem Rechtsirrtum über die Tragweite bzw. den Beweiswert des von ihr eingeholten Gutachtens des Amtssachverständigen Dr. H verfangen war:

So geht der angefochtene Bescheid offenbar davon aus, dass schon allein der Umstand, wonach dieser Amtsarzt den Beschwerdeführer als dienstfähig ansieht, das Fehlen einer wesentlichen Voraussetzung für dessen Versetzung in den dauernden Ruhestand darstellt, ohne dass in diesem Zusammenhang auch nur auf die Schlüssigkeit und den Beweiswert ärztlicher Gutachten, die zu abweichenden Beurteilungen gelangt sind, eingegangen werden müsste.

Auch in der Gegenschrift vertritt die belangte Behörde die Auffassung, wonach ein Abweichen von den Ausführungen und Schlüssen des Amtsarztes durch die entscheidende Behörde nur dann stattfinden dürfe, wenn die Schlüssigkeit dieses Gutachtens in Zweifel zu ziehen sei, wobei die belangte Behörde offenbar auch dort meint, sich mit der Schlüssigkeit und dem Beweiswert anderer Gutachten, die zu anderen Ergebnissen gelangten, gar nicht auseinander setzen zu müssen.

Demgegenüber gilt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Vorliegen einander widersprechender Gutachten Folgendes:

Diesfalls ist es der Behörde gestattet, sich dem einen oder anderen Gutachten anzuschließen. Sie hat aber die Gedankengänge aufzuzeigen, die sie veranlasst hat, von den an sich gleichwertigen Beweismitteln dem einen einen höheren Beweiswert zuzubilligen als dem anderen. Bei einem Widerspruch von Gutachten eines privaten und eines amtlichen Sachverständigen kann somit nicht schon die amtliche Eigenschaft des einen Sachverständigen, sondern nur der innere Wahrheitsgehalt des Gutachtens den Ausschlag geben. Es besteht demnach zwischen dem Gutachten eines Amtssachverständigen und dem eines Privatsachverständigen kein verfahrensrechtlicher Wertunterschied (vgl. hiezu die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 228 bis 230, wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Anders als der Beschwerdeführer meint, besteht im Verfahren über einen Antrag auf Versetzung in den dauernden Ruhestand nach der GBDO kein Anspruch auf Beiziehung von Fachärzten einer bestimmten Richtung; vielmehr kommt es für den Beweiswert der einzelnen Gutachten lediglich auf ihre Begründung und Schlüssigkeit an (vgl. die zur Bundesrechtslage nach § 14 BDG 1979 ergangenen hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 2002, Zl. 98/12/0410, und vom 20. Dezember 2005, Zl. 2005/12/0058).

An diesem Ergebnis ändert auch § 34 Abs. 4 GBDO nichts, da sich diese Bestimmung nicht auf Ruhestandsversetzungsverfahren, sondern lediglich auf Verfahren zur Klärung der aktuellen Dienstfähigkeit bezieht (vgl. in diesem Zusammenhang auch die für die Bundesrechtslage entsprechende Bestimmung des § 52 Abs. 2 BDG 1979, welche ihrerseits der oben wiedergegebenen Judikatur zu Ruhestandsversetzungsverfahren nach der Bundesrechtslage gemäß § 14 BDG 1979 nicht entgegen stand).

Die belangte Behörde wird sich daher in der Folge beweiswürdigend mit dem inneren Beweiswert der einzelnen Gutachten auseinander zu setzen haben.

Indem die belangte Behörde die Rechtslage betreffend den Beweiswert des Amtssachverständigengutachtens verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aus diesem Grunde aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 21. Dezember 2011

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