VwGH 2011/10/0046

VwGH2011/10/004615.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des HS in Graz, vertreten durch Dr. Hans Lehofer und Mag. Bernhard Lehofer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Kalchberggasse 6, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 15. Februar 2011, Zl. FA11A B26 - 2866/2010-7, betreffend Selbstbehalt für Behindertenhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §140 Abs2;
ABGB §144;
BehindertenG Leistungs- EntgelteV Stmk 2004 Anl1;
BehindertenG Stmk 2004 §29 Abs2;
BPGG 1993 §1;
ABGB §140 Abs2;
ABGB §144;
BehindertenG Leistungs- EntgelteV Stmk 2004 Anl1;
BehindertenG Stmk 2004 §29 Abs2;
BPGG 1993 §1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 15. Februar 2011 wurden dem Beschwerdeführer gemäß §§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 1 lit. m, 22, 29 und 29a Steiermärkisches Behindertengesetz - Stmk BHG, LGBl. Nr. 26/2004, die Übernahme von 90 % der Kosten für die Hilfeleistung "Familienentlastungsdienst" im Ausmaß von 600 Jahresstunden sowie Fahrten in der unmittelbaren Betreuung im Zeitraum vom 29. August 2010 bis 28. August 2012 gewährt. Weiters wurde ausgesprochen, dass der 10 %ige Selbstbehalt gemäß § 29 Abs. 2 Stmk BHG vom Antragsteller selbst zu tragen sei.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe sich in der Berufung ausschließlich dagegen gewendet, dass ihm der Selbstbehalt nicht erlassen worden sei. Der Beschwerdeführer leide unter Asperger Autismus und ADHS. Somit liege eine Behinderung nach dem Stmk BHG vor. Der Beschwerdeführer wohne bei seiner alleinerziehenden Mutter und gesetzlichen Vertreterin. Da sein Vater bereits verstorben sei, erhalte er eine Waisenpension von monatlich EUR 544,14. Weiters beziehe er ein Pflegegeld der Stufe 3, das im Jahr 2010 monatlich EUR 382,90 ausgemacht habe. Seine Mutter beziehe den Grundbetrag der Familienbeihilfe, den Kinderabsetzbetrag sowie die erhöhte Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des Beschwerdeführers. Darüber hinaus beziehe seine Mutter ein Krankengeld der BVA in der Höhe von durchschnittlich monatlich EUR 483,86. Der 10 %ige Selbstbehalt, den der Beschwerdeführer spruchgemäß zu ersetzen habe, belaufe sich auf durchschnittlich EUR 219,68 pro Monat. Der Beschwerdeführer habe - vertreten durch seine Mutter - trotz entsprechender Aufforderung keine zusätzlichen finanziellen Aufwendungen auf Grund seiner Behinderung geltend gemacht.

Bei der dem Beschwerdeführer gewährten Hilfeleistung "Familienentlastungsdienst" handle es sich nach der Leistungs- und Entgeltverordnung, LGBl. Nr. 43/2004 (LEVO), um eine Bündelung von Leistungen, die im Großen und Ganzen der Betreuung und Hilfe einer pflegebedürftigen Person entspreche. Die Leistungen dienten alle der Abdeckung des pflegebedingten Mehraufwandes. Das Pflegegeld werde für den Sonderbedarf auf Grund des pflegebedingten Mehraufwandes gewährt. Der dem Beschwerdeführer gewährte Familienentlastungsdienst stelle somit einen Teil jener Leistungen dar, die gerade durch das Pflegegeld abgegolten werden sollten. Der 10 %ige Selbstkostenanteil könne daher durch das Pflegegeld gedeckt werden. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei daher das Pflegegeld der pflegenden Kindesmutter (nur) unter Abzug jenes Teiles als Einkommen anzurechnen, der für den Zukauf pflegebezogener Leistungen aufgewendet werden müsse. Da im vorliegenden Fall keine Pflegeleistungen zugekauft werden müssten, finde der 10 %ige Selbstbehalt in der Höhe von monatlich EUR 219,68 im Pflegegeld von monatlich EUR 382,90 Deckung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

Steiermärkisches Behindertengesetz - Stmk BHG, LGBl. Nr. 26/2004:

§ 3. (1) Als Hilfeleistung für einen Menschen mit Behinderung kommen in Betracht:

m) Entlastung der Familie und Gestaltung der Freizeit

§ 11. (1) Gesamteinkommen ist die Summe aller Einkünfte eines Menschen mit Behinderung in Geld oder Geldeswert.

(2) Bei der Feststellung des Gesamteinkommens bleiben außer Betracht:

3. Pflegebezogene Geldleistungen,

§ 22. (1) Menschen mit Behinderung, die von ihren Familienmitgliedern ständig betreut werden, ist zur Entlastung der Familienangehörigen stundenweise Hilfe durch Familienentlastungsdienst zu gewähren.

§ 29. (1) Die Höhe des monatlichen Entgeltes für die Hilfen gemäß den §§ 21 und 22 ist begrenzt mit der Höhe des monatlichen Entgeltes für eine vergleichbare vollstationäre Hilfeleistung.

(2) Vom monatlichen Entgelt für die Hilfen gemäß Abs. 1 haben der Mensch mit Behinderung, seine Ehegattin/sein Ehegatte, seine eingetragene Partnerin/sein eingetragener Partner oder seine Eltern im Rahmen der zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung einen Anteil von 10 % selbst zu tragen.

(3) In finanziellen Härtefällen kann der Eigenanteil gemäß Abs. 2 verringert oder gänzlich erlassen werden.

§ 29a. Ein Härtefall gemäß § 25 und § 29 liegt vor, wenn der Mensch mit Behinderung durch die Bezahlung von Selbstbehalten in eine wirtschaftliche Notlage geraten würde. Eine wirtschaftliche Notlage liegt insbesondere dann vor, wenn dem Menschen mit Behinderung nach Abzug der von ihm zu tragenden Kosten der Hilfe ein Gesamteinkommen (§ 11) einschließlich der Unterhaltsansprüche verbleibt, das unter dem Richtsatz gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 liegt."

Leistungs- und Entgeltverordnung, LGBl. Nr. 43/2004 (LEVO):

"Anlage 1

III.E. Familienentlastungsdienst (FED BHG)

1. Funktion und Ziele

1.1. Definition

Kurzbeschreibung

Der Familienentlastungsdienst hat die Unterstützung der Menschen mit Behinderung und Entlastung der pflegenden Familienangehörigen im Pflege- und Betreuungsalltag sicherzustellen. Die Betreuungspersonen sollen die Möglichkeit haben, aus der Belastungssituation stundenweise auszusteigen.

Ziel

Die mobile Betreuung muss der Entlastung der hauptbetreuenden Person dienen und damit dem Menschen mit Behinderung ein möglichst selbstbestimmtes Leben in gewohnter Umgebung und den Verzicht auf stationäre Versorgung ermöglichen.

…"

Der Beschwerdeführer bestreitet die Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht konkret und wendet sich ausschließlich dagegen, dass die belangte Behörde nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, gemäß § 29 Abs. 3 Stmk BHG den Eigenanteil zu verringern oder gänzlich zu erlassen. Dazu bringt er vor, dass ihm auf Grund seines Pflegebedarfs von etwa 125 Stunden pro Monat ein Pflegegeld der Stufe 3 zuerkannt worden sei. Die gewährte Hilfe durch Familienentlastungsdienst von maximal 50 Stunden im Monat decke nur einen kleinen Teil des tatsächlichen Pflegeaufwandes ab. Daher könne keinesfalls davon gesprochen werden, dass im Rahmen des Familienentlastungsdienstes die notwendigen Betreuungsleistungen an Stelle der Mutter erbracht würden, vielmehr werde die Mutter dadurch nur geringfügig entlastet.

Die belangte Behörde vertrat demgegenüber die Ansicht, dass ein Härtefall im Sinn von § 29a Stmk BHG schon deshalb nicht vorliege, weil der Beschwerdeführer jedenfalls das gerade für solche Leistungen, die durch den Familienentlastungsdienst erbracht werden, gewährte Pflegegeld zur Bezahlung des Eigenanteils heranzuziehen habe.

Das Pflegegeld hat den Zweck, pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen (§ 1 Bundespflegegeldgesetz). Der einem Kind monatlich zukommende Betrag an Pflegegeld dient daher dem Einkauf der gegenüber einem nicht behinderten Kind erhöhten Pflege- und Betreuungsleistungen durch Drittpflege und/oder durch die eigene Mutter (vgl. die bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht2, Rz 288, zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes).

Mit dem Familienentlastungsdienst soll nach den zitierten Bestimmungen der Anlage 1 der LEVO eine Entlastung der pflegenden Familienangehörigen im Pflege- und Betreuungsalltag sichergestellt und damit dem behinderten Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben in gewohnter Umgebung ermöglicht werden. Somit werden durch den gewährten Familienentlastungsdienst Leistungen im Rahmen des pflegebedingten Mehraufwandes einer behinderten Person erbracht. Der belangten Behörde ist daher zuzustimmen, dass es sich bei den im Rahmen des Familienentlastungsdienstes erbrachten Leistungen um solche handelt, zu deren Abgeltung dem Beschwerdeführer Pflegegeld gewährt wird.

Die Obsorge für den Beschwerdeführer - der nach dem Tod seines Vaters eine Waisenpension bezieht - kommt unstrittig der Mutter zu. Diese hat den Beschwerdeführer daher gemäß § 144 ABGB zu pflegen und zu erziehen, womit sie gemäß § 140 Abs. 2 leg. cit. ihre Unterhaltspflicht erfüllt.

Die Unterhaltspflicht des betreuenden Elternteils vermindert sich soweit, als das Kind auf Grund eigener Einkünfte - insbesondere des gerade zu diesem Zweck gewidmeten Pflegegeldes - in der Lage ist, Leistungen zur Abdeckung seines gegenüber anderen Kindern erhöhten Pflegebedarfs zuzukaufen bzw. - wenn keine Hilfe Dritter in Anspruch genommen wird - die Leistungen des betreuenden Elternteils zu bezahlen. Diesem Elternteil ist daher der Teil des Pflegegeldes als Einkommen (für gegenüber dem Kind erbrachte Pflegeleistungen) anzurechnen, der nach Abzug der Ausgaben für den Zukauf von Pflegeleistungen Dritter verbleibt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. April 1998, Zl. 97/08/0510, und vom 21. Oktober 2009, Zl. 2006/10/0059).

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die von der Mutter selbst erbrachten Pflegeleistungen einer Heranziehung des Pflegegeldes für die im Rahmen der gewährten Hilfe durch Familienentlastungsdienst erbrachten Betreuungs-und Hilfsleistungen - wovon der Beschwerdeführer ohnehin nur den 10 %igen Eigenanteil zu bezahlen hat - nicht entgegensteht. Nur der nach Abzug dieses Eigenanteils verbleibende Teil des Pflegegeldes steht der Mutter zur teilweisen Abgeltung der von ihr erbrachten Pflegeleistungen zu.

Da die belangte Behörde somit aufgrund des vom Beschwerdeführer bezogenen Pflegegeldes zu Recht den Eigenanteil für den gewährten Familienentlastungsdienst nicht verringert oder gänzlich erlassen hat, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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