VwGH 2010/22/0158

VwGH2010/22/015820.1.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Z in S, geboren 1976, vertreten durch die Mory & Schellhorn OEG, Rechtsanwaltsgemeinschaft in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 13. August 2010, Zl. E1/6714/4/2009, betreffend Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §46a Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §46a Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 13. August 2010 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen pakistanischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus Österreich aus.

Diese Maßnahme begründete sie im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer am 16. April 2000 mit Hilfe eines Schleppers eingereist sei und am 19. April 2000 einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei in erster Instanz mit Bescheid vom 10. Juli 2000 abgewiesen worden. Gemäß § 8 Asylgesetz 1997 sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan für zulässig erklärt worden. Die gegen den erstinstanzlichen Asylbescheid eingebrachte Berufung sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 16. Juli 2009 als unbegründet abgewiesen worden. Der Verfassungsgerichtshof habe mit Beschluss vom 21. September 2009 die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sei somit nicht mehr rechtmäßig und es sei die Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG "jedenfalls zulässig".

Zur Interessenabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer ledig und ohne Sorgepflichten sei. Er lebe auch nicht mit einer Österreicherin oder daueraufenthaltsberechtigten Fremden in Lebensgemeinschaft. Seine Mutter und seine Schwester lebten im Heimatstaat, wobei der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr über ein soziales Bezugsnetz verfüge. Es deute nichts darauf hin, dass es ihm unmöglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

Der Beschwerdeführer sei vom 14. November 2000 bis 7. November 2006 einer meldepflichtigen unselbständigen Erwerbstätigkeit bei zahlreichen Arbeitgebern nachgegangen. Über Monate hinweg habe er seinen Lebensunterhalt mit finanziellen Mitteln der öffentlichen Hand in Form von Arbeitslosengeld bestritten. Seit 1. Juli 2008 sei er als Pizzazusteller gewerblich selbständig erwerbstätig.

Dem Beschwerdeführer habe nach Erlassung des erstinstanzlichen Asylbescheides bewusst sein müssen, dass er nicht auf einen legalen Aufenthalt in Österreich vertrauen dürfe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes komme der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zu. Die Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer habe einen Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG gestellt und es sei mit fremdenpolizeilicher Stellungnahme die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen festgestellt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sein Asylantrag rechtskräftig abgewiesen wurde. Da auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes in Österreich ersichtlich sind, hegt der Gerichtshof keine Bedenken gegen die behördliche Heranziehung des Ausweisungstatbestandes des § 53 Abs. 1 FPG.

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, dass diese sich mit den Gründen seiner Flucht aus Pakistan und mit den Gründen, warum die Asylbehörden seinen Asylantrag abgelehnt haben, nicht auseinandergesetzt habe. Damit vermag der Beschwerdeführer eine Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheides jedoch nicht aufzuzeigen. Maßgeblich ist für die Fremdenpolizeibehörde, ob im Zeitpunkt der Bescheiderlassung dem Fremden allenfalls ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt. Von der damit verbundenen Frage der Zulässigkeit einer Ausweisung ist die Frage zu trennen, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet trotz rechtskräftiger Ausweisung aus Gründen des § 46a Abs. 1 FPG zu dulden ist. Die umfangreichen Beschwerdeausführungen zu einer dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland drohenden Verfolgung sind somit für die Beurteilung der angefochtenen Ausweisung nicht relevant.

Die Beschwerde wendet ein, dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 3 NAG gestellt habe, der wegen Erfüllung der Integrationsvereinbarung letztlich nach § 43 Abs. 2 NAG zu beurteilen gewesen sei. Sie meint, dass die belangte Behörde nunmehr bei Erlassung der Ausweisung zu prüfen gehabt hätte, ob die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 NAG im Sinn einer rechtlichen Querverbindung zwischen § 44 Abs. 4 und § 44 Abs. 3 NAG erfüllt seien und diese Voraussetzungen für die Prüfung nach Art. 8 EMRK von wesentlicher Bedeutung seien.

§ 44 NAG lautet (in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009)

auszugsweise:

"...

(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und

2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der Deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Sicherheitsdirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(5) Anträge gemäß Abs. 4 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde über einen solchen Antrag hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß Abs. 4 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung einer 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' gemäß Abs. 4 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Abs. 4 Z 1 und 2 jedenfalls vorzuliegen haben.

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Z 2 hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde vor Durchführung der Abschiebung eine begründete Stellungnahme der Behörde einzuholen. Verfahren gemäß Abs. 4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat."

Dieser oben genannten Ansicht des Beschwerdeführers ist insofern der Boden entzogen, als eine Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 4 NAG unter bestimmten Voraussetzungen auch dann erteilt werden kann, wenn sowohl die Verweigerung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf § 11 Abs. 3 NAG als auch die Ausweisung des Fremden unter der nach § 66 FPG geforderten Berücksichtigung des Eingriffs in das Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK (§ 66 FPG) zulässig sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, 2010/22/0100).

Im vorliegenden Fall wendet sich der Beschwerdeführer jedoch zu Recht gegen das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach § 66 FPG.

Diese Bestimmung lautet (in der geltenden Fassung) auszugsweise:

"§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

    (3)…"

    Der Beschwerdeführer verweist auf seine Erwerbstätigkeit und darauf, dass er sich während seines Aufenthalts in Österreich "in privater Hinsicht sehr gut integriert" habe.

    Die belangte Behörde hob zwar zu Recht hervor, dass dem Beschwerdeführer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er somit nicht mit einem legalen Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Sie ist auch darin im Recht, dass dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2010, 2008/22/0688). Dementsprechend haben Fremde nach Abweisung ihres Asylantrags grundsätzlich den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen.

    Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer jedoch einen bereits über zehnjährigen Aufenthalt in Österreich für sich ins Treffen zu führen und es stellte die belangte Behörde auch fest, dass er erwerbstätig ist. Diese Umstände verleihen dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich ein solches Gewicht, dass die Ausweisung - auch bei einem Eingriff nur in sein Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. zu ähnlichen Fällen etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. August 2010, 2010/21/0206 und 2010/21/0009).

    Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

    Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

    Wien, am 20. Jänner 2011

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