VwGH 2010/21/0206

VwGH2010/21/020626.8.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des B, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 26. Mai 2010, Zl. E1/20102/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen pakistanischen Staatsangehörigen, gemäß den §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 1. April 2000 illegal nach Österreich eingereist und habe am 4. April 2000 einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei (durch Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Mai 2006), beinhaltend eine feststellende Entscheidung nach § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997, "rk negativ entschieden". Die Behandlung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (der mit Beschluss vom 20. Juni 2006 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war) sei mit Beschluss vom 10. September 2009 (Zl. 2006/20/0169) abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer halte sich somit seither insofern rechtswidrig im Bundesgebiet auf, als ihm weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen gesetzlichen Bestimmung sei weder behauptet worden noch aktenkundig.

Der Beschwerdeführer halte sich seit mehr als zehn Jahren in Österreich auf und sei hier überwiegend (seit dem Jahr 2001 seien über 100 Versicherungsmonate in nahezu durchgehender Beschäftigung bescheinigt) einer unselbständigen Berufstätigkeit nachgegangen. Er sei sozialversichert, verfüge (gemeinsam mit einem Bekannten) über eine Wohnung und sei noch nie mit den Strafgesetzen der Republik Österreich in Konflikt geraten. Er verfüge weiters über Kenntnisse der deutschen Sprache und habe sich für einen "Deutsch-Integrationskurs" angemeldet. Zu Pakistan habe er dagegen - laut seiner Stellungnahme - keinerlei Bezug mehr. Ihm sei daher eine der Dauer seines Aufenthalts entsprechende Integration in Österreich zuzubilligen.

Das Gewicht dieser Integration werde jedoch maßgeblich dadurch gemindert, dass der Aufenthalt während des Asylverfahrens lediglich auf Grund dieses Antrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, ein Privatleben während des genannten Zeitraumes geschaffen zu haben, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe - zumal nach erstinstanzlicher Abweisung seines Asylbegehrens am 26. März 2001 -

nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfällig negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich verbleiben zu dürfen. Dadurch relativere sich auch die lange Dauer der unselbständigen Erwerbstätigkeit.

Der Beschwerdeführer halte sich seit rund acht Monaten illegal in Österreich auf. Ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße, sodass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften, denen aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zukomme, begründe einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung. Die öffentliche Ordnung würde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine tauglichen Gesichtspunkte erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumt Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird eingeräumt, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist. Auch sind ihr keine Behauptungen zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Dafür bestehen nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren."

    Unter diesem Gesichtspunkt kritisiert der Beschwerdeführer die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung. Er verweist auf die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im Juni 2010) bereits mehr als 10 Jahre und 2 Monate betragende Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet und führt ins Treffen, seit dem Jahr 2001 kontinuierlich unselbständig erwerbstätig und somit auch sozial- und krankenversichert gewesen zu sein. Darüber hinaus sei er unbescholten und habe vor allem durch den Erwerb guter Kenntnisse der deutschen Sprache einen hohen Grad der Integration erreicht, wogegen zum Heimatstaat (und zu seiner dort lebenden Familie) keine Kontakte mehr bestünden.

    Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:

    Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, dass die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration großteils in einem Zeitraum erworben wurden, als sich der Beschwerdeführer der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er also - für den Fall eines negativen Ausgangs seines Asylverfahrens - nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte. Allerdings hat § 66 Abs. 2 Z. 8 FPG schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348). Im vorliegenden Fall sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die genannten zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände in ihrer Gesamtheit betrachtet von solchem Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung begründen.

    Der Verwaltungsgerichtshof teilt nämlich die in der Beschwerde vertretene Ansicht, dass der mehr als 10 Jahre dauernde Aufenthalt in Österreich sowie die rund 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit in Verbindung mit den weiteren oben dargestellten Aspekten der erreichten Integration den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht verleihen, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2010/21/0009, mwN).

    Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

    Wien, am 26. August 2010

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