VwGH 2009/07/0132

VwGH2009/07/013217.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. Sulzbacher und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde des J T in St. P, vertreten durch Mag. Titus Trunez, Rechtsanwalt in 4150 Rohrbach, Hopfengasse 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 6. Juli 2009, Zl. UW.4.1.6/0054-I/5/2009, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen eine wasserrechtliche Bewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §42;
AVG §45 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §42;
AVG §45 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. Februar 2007 wurde eine - in einem Verfahren betreffend die wasserrechtliche Bewilligung einer Abwasserbeseitigungsanlage für eine Gemeinde - vom Beschwerdeführer erhobene Berufung als unzulässig zurückgewiesen; nach Ansicht der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer mangels Erhebung von Einwendungen in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2005 seine Parteistellung und damit auch sein Berufungsrecht verloren.

Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 25. September 2008, 2007/07/0047, diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Aus den dort näher dargestellten Gründen mache die Verhandlungsschrift vom 7. April 2005 keinen vollen Beweis, sodass ohne weiteres Ermittlungsverfahren nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden könne, der Beschwerdeführer habe keine Einwendungen erhoben.

Die belangte Behörde setzte das Berufungsverfahren fort und ersuchte die Erstbehörde mit Schreiben vom 14. November 2008 um Informationen darüber, ob der Beschwerdeführer am Ende der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2005 noch anwesend gewesen sei. Darüber hinaus sei darzulegen, ob der Beschwerdeführer diese früher verlassen und ob er eine schriftliche oder mündliche Stellungnahme bis zum Schluss der Verhandlung abgegeben habe. Es solle zweifelsfrei beurteilt werden können, ob der Beschwerdeführer eine Stellungnahme abgegeben habe.

Mit Schreiben vom gleichen Tag befragte die belangte Behörde den Beschwerdeführer dahingehend, ob er bei der Verhandlung vom 7. April 2005 anwesend gewesen sei bzw., wann er diese verlassen und zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form er Einwendungen gegenüber dem Verhandlungsleiter kundgetan habe.

Mit Schreiben vom 10. Dezember 2008 übermittelte die Erstbehörde eine Niederschrift vom 9. Dezember 2008 über die Einvernahme des Verhandlungsleiters der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2005, Hofrat Dr. O. (in weiterer Folge: Verhandlungsleiter). In dieser Niederschrift heißt es:

"Aus meiner gesicherten Erinnerung entfernte sich der Beschwerdeführer, wie ein Teil der zur Verhandlung erschienen Parteien vor Protokollierung bzw. vor Schluss der mündlichen Verhandlung.

Der Beschwerdeführer gab keine gesonderte Stellungnahme ab; jede Partei, die eine Stellungnahme zum Verfahren abgeben wollte, wurde eingeladen, diese bei den Schriftführerinnen zu artikulieren, um sie unter der laufenden Post Nr. protokollieren zu lassen.

Da mehrere Parteien die Verhandlung eben ohne Abgabe einer Stellungnahme verließen, wurde durch mich als Verhandlungsleiter die pauschale Formulierung verwendet. Diese bezieht sich auch namentlich auf den Beschwerdeführer."

Mit Fax vom 8. Jänner 2009 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab, in der er im Wesentlichen ausführte, dass er bei der Verhandlung am 7. April 2005 bis zum Ende anwesend gewesen sei. Im Veranstaltungsraum seien ca. 100 Personen gewesen; im Laufe der Verhandlung sei gesagt worden, dass Personen, die noch etwas vorzubringen hätten, nach vor kommen sollten, was der Beschwerdeführer auch getan habe. Zu seinen Einwendungen habe der Verhandlungsleiter gesagt, dass diese bereits berücksichtigt würden, womit sich der Beschwerdeführer zufrieden gegeben habe, zumal er "von der Notwendigkeit der Verschriftung dieser Zusagen des Verhandlungsleiters einerseits und von der Erhebung seiner Einwendungen andererseits" als rechtsunkundiger Laie nichts gewusst habe.

Mit einem weiteren Fax vom 6. Februar 2009 zweifelte der Beschwerdeführer die Aussagen des Verhandlungsleiters in der Niederschrift vom 9. Dezember 2008 an. Der Verhandlungsleiter werde sich nicht mit Sicherheit an das Verhalten des Beschwerdeführers bei der Verhandlung vom 7. April 2005 erinnern können, da damals sehr viele Personen anwesend gewesen seien, die Verhandlung mehr als 3 Jahre zurückliege und der Verhandlungsleiter danach wohl noch zahlreiche andere Verhandlungen geleitet habe. Er stelle gar nicht in Abrede, dass nach Vorstellung des Projektes alle Personen eingeladen worden seien, "nach vorne zu kommen, um etwas vorzubringen." Das habe ja auch der Beschwerdeführer in der von ihm erklärten Art und Weise getan und sei berechtigt der Meinung gewesen, dass es ausreiche, wenn er dieser Einladung folge. Es könne nicht erwartet werden, dass er als rechtsunkundiger Laie wisse, dass nur schriftlich zu Protokoll gebrachte Einwendungen zählten. Der Stellungnahme des Verhandlungsleiters sei auch nicht zu entnehmen, dass diesbezüglich eine detaillierte Belehrung erfolgt sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 6. Juli 2009 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig zurück und begründete dies damit, dass der damalige Verhandlungsleiter aus Sicht der Behörde glaubhaft dargetan habe, dass sich der Beschwerdeführer ohne ausdrückliche Einwendung gegen das geplante Vorhaben entfernt habe. Daher könne man davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer trotz nachweislicher Anwesenheit keinerlei Einwendungen in der mündlichen Verhandlung vorgebracht habe, die Behauptung einer Rechtsverletzung somit erst in der Berufungsschrift erfolgt sei und der Beschwerdeführer damit die Parteistellung verloren habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.

Der Beschwerdeführer rügt zunächst, dass sich die belangte Behörde einen persönlichen Eindruck vom Verhandlungsleiter hätte machen müssen, um einen aussagekräftigen Eindruck von seiner Glaubwürdigkeit gewinnen zu können. Weiters bringt er vor, die belangte Behörde habe die Verfahrensvorschriften der §§ 48 ff AVG verletzt, weil der Verhandlungsleiter augenscheinlich als Zeuge vernommen worden sei, ohne über die Zeugnisverweigerungsgründe gemäß § 49 Abs. 1 Z 1 AVG aufgeklärt worden zu sein. Wäre der Verhandlungsleiter ordnungsgemäß belehrt worden, hätte er sich möglicherweise der Aussage entschlagen, was zu einer inhaltlichen Befassung mit der Berufung des Beschwerdeführers geführt hätte. Schließlich bemängelt der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Es werde nicht erklärt, warum die Aussage des Verhandlungsleiters für glaubwürdig gehalten werde, obwohl gute Gründe bestünden, die Aussage anzuzweifeln. Auch werde nicht dargestellt, warum diese Aussage für glaubwürdiger als die Darstellung des Beschwerdeführers gehalten werde. Stattdessen seien die Aussagen des Beschwerdeführers einfach übergangen worden.

Der Beschwerdeführer beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde ergänzte ihr Ermittlungsverfahren in Bezug auf die Frage, ob der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2005 Einwendungen erhoben hat oder nicht; dazu holte sie neben Stellungnahmen des Beschwerdeführer auch eine Aussage des Verhandlungsleiters ein. Sie sah es schließlich im angefochtenen Bescheid auf Grund der Aussagen des Verhandlungsleiters in der Niederschrift vom 9. Dezember 2008 als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer keine Einwendungen erhoben habe.

Die Aussagen des Verhandlungsleiters reichen für eine solche Schlussfolgerung aber nicht aus. Auf ihrer Grundlage kann nämlich nicht - wie die belangte Behörde zutreffend in ihrem Ermittlungsauftrag an die Erstbehörde formulierte - zweifelsfrei beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer eine Stellungnahme abgegeben hat.

Der Beschwerdeführer hat den Ablauf der mündlichen Verhandlung sowie den Inhalt und die Art und Weise, wie und wem gegenüber er die von ihm angeblich vorgebrachten Einwendungen erhoben hat, in seinen Stellungnahmen vom 8. Jänner 2009 und vom 6. Februar 2009 geschildert. Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer angeblich zum Verhandlungsleiter nach vorne gegangen und Einwendungen (näher dargestellter Art) erhoben habe.

Diese Schilderung des Beschwerdeführers über die Art der Erstattung seiner Einwendung war dem Verhandlungsleiter (bei seiner Vernehmung vom 9. Dezember 2008) aber nicht bekannt, sodass er darauf auch nicht eingehen konnte. Aus der Aussage des Verhandlungsleiters, dass der Beschwerdeführer "keine gesonderte Stellungnahme" abgegeben habe, kann daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer überhaupt keine Einwendungen erhoben hat. Aus den Angaben des Verhandlungsleiters ist daher nicht mit Gewissheit abzuleiten, ob die vom Beschwerdeführer behauptete Vorsprache beim Verhandlungsleiter überhaupt nicht stattgefunden hat oder ob sie - sei es auf die vom Beschwerdeführer behauptete Art und Weise und mit dem vom Beschwerdeführer behaupteten Inhalt, sei es auf andere Art und Weise bzw. mit anderem Inhalt - zwar tatsächlich stattgefunden hat, vom Verhandlungsleiter aber nicht als Vorbringen von Einwendungen angesehen wurde. Der Hinweis des Verhandlungsleiters, jede Partei, die eine Stellungnahme zum Verfahren abgeben habe wollen, sei eingeladen worden, diese bei den Schriftführerinnen zu artikulieren, könnte darauf hindeuten, dass sich die Aussage des Verhandlungsleiters, der Beschwerdeführer habe "keine gesonderte Stellungnahme" abgegeben, (nur) auf die Nichtabgabe einer Stellungnahme bei den Schriftführerinnen bezieht. Damit fehlte aber eine Aussage dazu, ob der Beschwerdeführer nicht doch ihm, dem Verhandlungsleiter gegenüber, eine Stellungnahme erstattet hat, die als Einwendung nach § 42 AVG zu qualifizieren gewesen wäre.

Zur Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer eine Einwendung beim Verhandlungsleiter erhoben hat, war es daher unerlässlich, dass der Verhandlungsleiter als Zeuge - unter Einhaltung der im AVG vorgesehenen Vorgangsweise - konkret zu den Angaben des Beschwerdeführers über den Verlauf des Geschehens befragt wird. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es bei widersprüchlichen Zeugenaussagen zur Wahrheitsfindung erforderlich ist, in konkreter Fragestellung die jeweilige Aussage des einen Zeugen der eine gegenteilige Position einnehmenden anderen Zeugen vorzuhalten. Dabei kann gegebenenfalls auch eine von Amts wegen vorgenommene Gegenüberstellung der Zeugen zur Erforschung der Wahrheit erforderlich sein (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1991, 90/13/0005).

Da eine solche Vernehmung nicht erfolgte, wurden Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung die Behörde möglicherweise zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Es erübrigte sich daher ein Eingehen auf die weiteren Argumente in der Beschwerde.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG konnte von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 17. Februar 2011

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