VwGH 2008/21/0292

VwGH2008/21/02925.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traungasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 19. Dezember 2007, Zl. St 312/07, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §62 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der 1972 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, kam erstmals im September 1986 nach Österreich, besuchte hier zwei Jahre die Hauptschule und absolvierte den polytechnischen Lehrgang. Am 18. September 1996 verließ er Österreich, nachdem gegen ihn am 10. September 1996 ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war.

Am 6. April 2002 reiste der Beschwerdeführer über den Flughafen Wien-Schwechat illegal wieder nach Österreich ein. Der in der Folge gestellte Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. April 2003 abgewiesen; dagegen erhob der Beschwerdeführer eine (bei Erlassung des hier bekämpften Bescheides noch nicht erledigte) Berufung.

Mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid vom 19. Dezember 2007 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 15. November 2007, mit dem gegen ihn gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein mit zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen worden war, ab.

Diese Maßnahme begründete die belangte Behörde mit der wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten (schweren) gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter (richtig: erster) Fall und 15 StGB am 13. März 2003 erfolgten rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Ried im Innkreis zu einer (unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren) bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten. Dem Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, am 12. Juli 1996 zwei Diebstähle begangen und am 14. Juli 1996 zwei Diebstahlsversuche unternommen. Er habe nämlich jeweils im Zusammenwirken mit Mittätern am 12. Juli 1996 durch Einbruch in einen Verkaufskiosk Bargeld im Gegenwert von EUR 14,53 und fünf Dosen Getränke sowie durch Einbruch in ein anderes Lokal und Aufbrechen mehrerer Spielautomaten Bargeld in der Höhe von ATS 25.000,--, Zigaretten im Wert von ATS 7.800,-- und einen Fotoapparat im Wert von ATS 3.500,-- gestohlen und am 14. Juli 1996 durch Behebung mit einer fremden Bankomatkarte Bargeld in der Höhe von ATS 1.200,-- und weiteres Bargeld sowie durch Einbruch in ein Billardcafe fremde Sachen zu stehlen versucht.

Dem Beschwerdeführer sei vom Strafgericht die Wiederholung der strafbaren Handlungen und die mehrfache Qualifikation als erschwerend angelastet worden, als mildernd seien hingegen das umfassende Geständnis, der bisher untadelige Lebenswandel und die Tatsachen, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei und dass die Taten bereits lange zurücklägen und sich der Beschwerdeführer seither wohlverhalten habe, berücksichtigt worden.

Angesichts dieser Verurteilung sei - so die weitere Begründung der belangten Behörde - der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt und die Annahme nach § 62 Abs. 1 FPG gerechtfertigt, der Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider. Die Erlassung des Rückkehrverbotes sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG auch dringend erforderlich, weil der Beschwerdeführer verschiedenen Personen fremde bewegliche Sachen mit Bereicherungsvorsatz und in der Absicht weggenommen habe, sich durch die wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse berücksichtigte die belangte Behörde den (unterbrochenen) Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich von 1986 bis 1996 und seit 2002, den Schulbesuch und intensive Kontakte zu hier lebenden nahen Verwandten (Schwester und Cousin). Die dadurch erlangte Integration werde jedoch durch die wiederholt begangenen strafbaren Handlungen, die eine mehrfache Qualifikation verwirklichten, in ihrer sozialen Komponente erheblich gemindert. Unter Abwägung aller angeführten Tatsachen würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von einem Rückkehrverbot im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer zu stellende negative Zukunftsprognose wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, weshalb das Rückkehrverbot auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei. Für eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers fänden sich weder in den Akten noch in der Berufung besondere Umstände. "Angesichts dieser Ausführungen" - so die belangte Behörde daran anschließend wörtlich - "vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die von Ihnen verwirklichten strafrechtlich relevanten Sachverhalte nunmehr ca. 11,5 Jahre zurückliegen". Abschließend legte die belangte Behörde noch näher dar, weshalb es aus ihrer Sicht der beantragten Vernehmung des Beschwerdeführers nicht bedurfte.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. März 2008, B 237/08-4, abgelehnt. Über gesonderten Antrag trat er die Beschwerde sodann mit Beschluss vom 18. April 2008 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab, der über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG (idF vor dem FrÄG 2011) kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 (u.a.) jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Nach dieser Bestimmung hat als die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Die dritte Alternative dieses Tatbestandes ist im gegenständlichen Fall ausgehend von der vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten strafgerichtlichen Verurteilung erfüllt. Die Beschwerde wendet sich allerdings gegen die darauf gegründete Ansicht der belangten Behörde, es sei die im § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Sie führt dazu ins Treffen, es liege nur eine einzige maßgebliche Verurteilung aus dem März 2003 vor, der im Jahr 1996 verübte, sohin jetzt bereits ca. 12 Jahre zurückliegende, Straftaten zugrunde lägen. Eine eingehende Bewertung dieser Straftaten hätte ergeben müssen, dass es sich im Wesentlichen um geringfügige Delikte handle, die teilweise im Versuchsstadium geblieben seien und nur einen geringen Schaden verursacht hätten. Dies habe auch in der bloß bedingten Verurteilung seinen Niederschlag gefunden, wobei mittlerweile auch die endgültige Strafnachsicht verfügt worden sei. Der Beschwerdeführer sei seit 1996 nicht mehr straffällig geworden, sodass ihm eine positive Zukunftsprognose zu erstellen gewesen wäre.

Wie im Fall eines Aufenthaltsverbotes ist auch bei der Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2009/21/0166; siehe daran anschließend beispielsweise auch das Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2010/21/0350). Dabei kommt es wie bei einem solchen Aufenthaltsverbot auf die Art und Schwere der einer gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. Bei der auf die aktuellen Verhältnisse abzustellenden Gefährdungsprognose ist demnach auch zu berücksichtigen, wie lange die Straftaten zurückliegen und ob sich der Fremde seither wohlverhalten hat (vgl. zu Letzterem der Sache nach etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0050, uva).

Dem hat die belangte Behörde - wie die Beschwerde zu Recht geltend macht - im vorliegenden Fall nicht ausreichend Rechnung getragen. Sie hat zwar erwähnt, die Mitte Juli 1996 begangenen Straftaten lägen bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt im Jänner 2008 "nunmehr ca. 11,5 Jahre" zurück, sie hat diesen Umstand jedoch im Hinblick auf die (auch vom Strafgericht als erschwerend gewertete) Wiederholung der Straftaten und deren mehrfache Qualifikation nicht für entscheidungsrelevant erachtet. Dabei lässt die belangte Behörde aber die von ihr festgestellten Tatumstände und die im angefochtenen Bescheid erwähnten, vom Strafgericht auch berücksichtigten Milderungsgründe außer Acht. Einerseits hat nämlich - auch wenn die gewerbsmäßige Begehung von Einbruchsdiebstählen keineswegs verharmlost werden soll - nur eine der in einem Zeitraum von zwei Tagen verübten Tathandlungen die Qualifikation des schweren Diebstahls erreicht und andererseits hat der Beschwerdeführer davor einen "untadeligen Lebenswandel" aufgewiesen. Die belangte Behörde traf keine Feststellungen über ein nach Verübung dieser Straftaten im Jahr 1996 vom Beschwerdeführer gesetztes neuerliches Fehlverhalten. Es ist daher, insbesondere auch in Bezug auf den Zeitraum seit der Wiedereinreise nach Österreich, von einem seither durchgängigen Wohlverhalten des Beschwerdeführers auszugehen.

Vor diesem Hintergrund kann der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der belangten Behörde, aus den Mitte 1996 begangenen Straftaten des Beschwerdeführers sei - bei Erlassung des angefochtenen Bescheides (mit Datum vom 19. Dezember 2007) im Jänner 2008 - nach wie vor aktuell abzuleiten, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet gefährdet würde, nicht teilen.

Dazu kommt im vorliegenden Fall noch, dass die dem Gerichtsurteil vom 13. März 2003 zugrundeliegenden Straftaten des Beschwerdeführers, von denen die Fremdenpolizeibehörde bereits durch die sogenannte Stellungsanzeige vom 16. Juli 1996 Kenntnis erlangt hatte, den (einzig) maßgeblichen Grund für die Erlassung des eingangs erwähnten fünfjährigen Aufenthaltsverbotes darstellten, wobei überdies ein Faktum verwertet worden ist, von dem der Beschwerdeführer später freigesprochen wurde. Damals begründete die Bezirkshauptmannschaft Gmunden die festgesetzte Dauer von fünf Jahren damit, dass davon ausgegangen werden könne, der Beschwerdeführer werde seine negative charakterliche Einstellung in diesem Zeitraum zum Besseren geändert haben. Angesichts dessen ist freilich überhaupt nicht nachvollziehbar, dass dieselbe Behörde wegen desselben Verhaltens des Beschwerdeführers, der danach nicht mehr strafrechtlich auffällig wurde, im November 2007 die Erlassung eines zehnjährigen Rückkehrverbotes für erforderlich gehalten hat.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die in den Pauschalbeträgen bereits enthaltene, in der Beschwerde allerdings zusätzlich begehrte Umsatzsteuer.

Wien, am 5. Juli 2011

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