VwGH 2009/21/0050

VwGH2009/21/005022.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Hans Gradischnig, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Moritschstraße 5/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 16. Jänner 2009, Zl. KUVS-1754/6/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
StGB §31;
StGB §40;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ARB1/80;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
StGB §31;
StGB §40;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 1. Jänner 1955 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, ist im Jahr 1989 in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Ihm kommt unstrittig "die Rechtsstellung nach Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei" (im Folgenden kurz: ARB) zu.

Im vorliegenden Verfahren betreffend die - auf die Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen und deshalb verhängte Strafen gestützte - Erlassung eines befristeten Aufenthaltesverbotes befindet sich der Beschwerdeführer mittlerweile im dritten Rechtsgang vor dem Verwaltungsgerichtshof. Zur Vorgeschichte wird daher auf die hg. Erkenntnisse vom 6. Dezember 2005, Zl. 2005/21/0171, und vom 18. September 2008, Zl. 2007/21/0214, verwiesen. Im letztgenannten Erkenntnis erachtete der Verwaltungsgerichtshof nähere Feststellungen über die Tatzeiten und die dem Beschwerdeführer angelasteten deliktischen Verhaltensweisen, eine Prüfung des festgestellten Sachverhaltes nach der Bestimmung des § 86 Abs. 1 fünfter Satz des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG und schließlich widerspruchs- und mängelfreie Feststellungen zum Maß der familiären und sozialen Integration des Beschwerdeführers in Österreich für erforderlich.

Mit dem nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid vom 16. Jänner 2009 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer "gemäß §§ 60 Abs. 1, 61, 66 und 86 Abs. 1 iVm § 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG" ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 86 Abs. 3 FPG erteilte sie ihm von Amts wegen einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

Begründend stützte sich die belangte Behörde auf folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen und die ihnen zu Grunde liegenden Tathandlungen:

1.) durch das Amtsgericht Rosenheim (Deutschland) vom 10. Mai 2000 wegen drei rechtlich zusammentreffender Fälle des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen, begangen am 18. Februar 2000, zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen.

2.) durch das Landesgericht Innsbruck vom 8. Mai 2001 wegen versuchten Verbrechens nach den §§ 15 StGB und 28 Abs. 2 SMG, teils versuchten, teils vollendeten Vergehens der Schlepperei nach den §§ 104 Abs. 1, 105 Abs. 2 FrG und § 15 StGB, Vergehens der Weitergabe nachgemachten oder gefälschten Geldes nach § 233 Abs. 1 Z. 1 StGB, Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs. 1 und 2 sowie 224 StGB in Form der Beitragstäterschaft nach § 12 StGB und Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten.

Der Beschwerdeführer habe in der Nacht zum 4. Oktober 2000 in Graz im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter den bestehenden Vorschriften zuwider ca. 85 g qualitativ hochwertiges Kokain (reine Kokainbase 45 g) durch Verkauf an einen als Scheinkäufer auftretenden verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres in Verkehr zu setzen versucht.

In vier näher beschriebenen Fällen habe er (im März und April 2000) die rechtswidrige Einreise türkischer Staatsangehöriger nach Österreich gewerbsmäßig gefördert bzw. zu fördern versucht, indem er ihnen gefälschte Reisedokumente gegen Zahlung von jeweils "mehreren Tausend DM" überließ.

Weiters habe er eine insgesamt nicht mehr feststellbare Anzahl an gefälschten 100.000 Lire-Scheinen mit dem Vorsatz übernommen, dass das nachgemachte Geld als echt und unverfälscht ausgegeben werde.

Im März und April 2000 habe er in vier Fällen den vorhin erwähnten türkischen Staatsangehörigen verfälschte Reisedokumente zum Gebrauch weitergegeben. Einer anderen Person, die am 26. November 1999 einen gefälschten niederländischen Reisepass an einem Gemeindeamt zur amtlichen Anmeldung vorgelegt hatte, habe der Beschwerdeführer "diesen Reisepass verkauft".

Schließlich habe der Beschwerdeführer (wie oben erwähnt) den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift, nämlich nicht exakt feststellbare Mengen qualitativ hochwertiges Kokain, erworben und besessen sowie einem als Scheinkäufer auftretenden verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres "bei zwei Übergaben überlassen".

3.) durch das Bezirksgericht St. Veit an der Glan vom 28. März 2007 wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen. Der Beschwerdeführer habe am 14. November 2006 in Liebenfels Verantwortlichen eines Bauunternehmens 10 l Dieselkraftstoff gestohlen.

Rechtlich bejahte die belangte Behörde das Vorliegen der - inhaltlich dargestellten - Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG. Der Beschwerdeführer sei nämlich "in mehrfacher Hinsicht straffällig geworden". Die Summe der begangenen Straftaten zeige, dass er offensichtlich nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Weiters handle es sich bei seinen Straftaten um besonders schwerwiegende Delikte, "die unmittelbar gesellschaftliche Interessen berühren". Die Schlepperei unterlaufe eine im Staatsinteresse stehende geordnete Einwanderung von Fremden. Verstöße gegen das SMG seien deshalb als besonders schwerwiegend zu beurteilen, weil durch das Inverkehrbringen von Suchtgift auch andere Personen der Gefahr ausgesetzt werden, durch den Suchtgiftkonsum abhängig zu werden. Die Straftaten dokumentierten somit eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

Der Beschwerdeführer sei nicht nur "in den Jahren 1998 bis 2000" straffällig geworden, sondern habe auch im Jahr 2006 das Vergehen des Diebstahls begangen. Dadurch lasse sich seine fortgesetzte Neigung zur Begehung von Straftaten erkennen. Keinesfalls könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Vergehen der Jahre 1998 bis 2000 um "einmalige Rechtsbrüche" gehandelt habe. Das sich über Jahre erstreckende Fehlverhalten lasse vielmehr auf eine Charaktereigenschaft schließen, die auch in Zukunft die Begehung weiterer strafbarer Handlungen vermuten lasse. Es sei anzunehmen, dass der Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe oder Sicherheit der Republik Österreich nachhaltig und maßgeblich gefährden werde.

Unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG stellte die belangte Behörde fest, der seit 1989 in Österreich lebende Beschwerdeführer arbeite seit rund zwei Jahren in Wien als Baggerfahrer. Er sei mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet. Aus der Ehe stammten fünf Kinder, wobei vier dieser Kinder in der Türkei geboren worden seien. Die Familie sei 1991 ebenfalls nach Österreich nachgekommen. Die Gattin lebe in Villach, wo sie sozial verwurzelt sei. Der 12-jährige Sohn des Beschwerdeführers besuche aktuell in Wien die vierte Klasse Volksschule, er spreche sehr gut deutsch. Die Gattin des Beschwerdeführers komme monatlich ca. einmal für drei bis vier Tage nach Wien.

Dagegen lebten die Verwandten des Beschwerdeführers, mit denen er ständigen telefonischen Kontakt halte, in der Türkei und reisten nicht nach Österreich.

Eine ausgeprägte soziale Integration des Beschwerdeführers sei nicht gegeben. Trotz der langen Aufenthaltsdauer sei er der deutschen Sprache nicht so weit mächtig gewesen, dass seine Einvernahme vor der belangten Behörde ohne Beiziehung einer Dolmetscherin hätte durchgeführt werden können. Zu seinen sozialen Kontakten befragt habe er angegeben, dass er in Österreich seine Familie habe, dass jedoch keine Verwandten in Österreich lebten. Er kenne andere "Türken", wobei es sich um Bekannte und nicht um Freunde handle. Auch die Ehefrau des Beschwerdeführers habe nur unter Beiziehung einer Dolmetscherin einvernommen werden können. Sie habe ausgesagt, dass sie "in Österreich keine Freunde und bisher auch keine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe". Anzumerken sei dabei, dass in Österreich keine Verwandten des Beschwerdeführers lebten und sich zwei Töchter des Beschwerdeführers "ebenfalls nicht in Österreich" aufhielten.

Der aus dem Aufenthaltsverbot resultierende Eingriff in das Privatleben sei gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung zulässig.

Die ausgesprochene Befristung für einen Zeitraum von zehn Jahren sei erforderlich, damit das Wohlverhalten des Beschwerdeführers beobachtet werden könne, um sicherzustellen, dass er nicht neuerlich strafrechtliche Delikte begehe, und um zu gewährleisten, dass er keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Österreich mehr hervorrufen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten, im zweiten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis vom 8. September 2008, Zl. 2007/21/0214, näher dargelegt hat, kommt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den dem ARB unterliegenden Beschwerdeführer gemäß § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG nur in Betracht, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Abgesehen von der unter Anlegung dieses Maßstabes nicht nennenswert ins Gewicht fallenden Verurteilung zu einer Geldstrafe (wegen Diebstahls von 10 l Dieselkraftstoff im November 2006) sind somit zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehende und daher als Einheit zu wertende Straftaten des Beschwerdeführers zu beurteilen, die nach den unbeanstandeten Feststellungen der belangten Behörde im Oktober des Jahres 2000 geendet haben. Wenn auch deren Schwere und Vielschichtigkeit nicht übersehen wird, fällt doch das spätere Verhalten des in Wien gemeinsam mit seinem Sohn lebenden und kontinuierlich unselbständig berufstätigen Beschwerdeführers entscheidend ins Gewicht. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang keine Feststellungen getroffen, welche die Schlussfolgerung zuließen, er hätte sich seit dem Oktober 2000 - mit der bezeichneten geringfügigen Ausnahme - nicht wohlverhalten. Im Hinblick auf diese nachhaltige Besserung seit der erstmaligen Verspürung des Haftübels teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, aus dem festgestellten Verhalten und Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers sei - bei Erlassung des angefochtenen Bescheides im Jänner 2009 - nach wie vor aktuell abzuleiten, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Dazu kommt, dass die Feststellungen zur privaten und familiären Situation des Beschwerdeführers in Österreich - entgegen der im zweiten Rechtsgang überbundenen Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes - neuerlich (und zwar ähnlich wie im zweiten Rechtsgang) mit dem oben dargestellten Inhalt, also widersprüchlich getroffen wurden (vgl. dazu weiters etwa das hg. Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2007/18/0743). Auch dies belastet den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. Dezember 2009

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