VwGH 2008/08/0187

VwGH2008/08/018719.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der D P in Wien, vertreten durch MMag. Robert Keisler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ebendorferstraße 3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Juni 2008, Zl. 2008-0566-9-000959, betreffend Berichtigung und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §36 Abs2;
AlVG 1977 §38;
NotstandshilfeV §2 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §36 Abs2;
AlVG 1977 §38;
NotstandshilfeV §2 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde die Notstandshilfe der Beschwerdeführerin für die Zeiträume vom 11. Februar, 6. März bis 5. Mai, 24. bis 31. Mai, 14. Juni bis 15. Juli, 4. bis 16. August, 5. September bis 1. Oktober, 18. bis 22. Oktober, 23. November bis 31. Dezember 2006 sowie vom 1. bis 4. Jänner, 13. bis 31. Jänner und 1. Februar bis 23. Dezember 2007 rückwirkend berichtigt und das unberechtigt Empfangene in der Höhe von EUR 5.333,73 rückgefordert.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Beschwerdeführerin der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice im März 2006, unter Vorlage des beglaubigt übersetzten Scheidungsurteils des Gemeindegerichtes N bekannt gegeben habe, dass ihre Ehe mit MP am 6. Februar 2006 rechtskräftig geschieden worden sei. In der Folge habe sie am 26. September 2006 (mit Wirksamkeit vom 17. Dezember 2006) einen Antrag auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gestellt. Im Antragsformular habe sie als Familienstand "geschieden" sowie "alleinstehend ohne Sorgepflichten" angegeben. Aufgrund der Angaben sei der Beschwerdeführerin Notstandshilfe bzw. Notstandshilfe als Pensionsvorschuss in Höhe von EUR 22,74 (2006) bzw. EUR 22,99 (2007) täglich ausbezahlt worden.

Am 12. Dezember 2007 (mit Wirkung vom 24. Dezember 2007) habe die Beschwerdeführerin erneut einen Antrag auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gestellt. Im Antragsformular habe sie als Familienstand "geschieden" angegeben; weiter habe sie als in ihrem Haushalt lebenden Angehörigen ihren ehemaligen Gatten (MP) angegeben.

Niederschriftlich vernommen habe die Beschwerdeführerin angegeben, dass sie mit MP seit der Scheidung am 6. Februar 2006 immer noch im gemeinsamen Haushalt lebe. Es treffe sie jedoch kein Verschulden, weil sie dem Arbeitsmarktservice alles bekannt gegeben habe; von Seiten des Arbeitsmarktservice sei erklärt worden, dass sie nach der Scheidung noch drei Jahre mit ihrem Gatten zusammen leben dürfe.

Entsprechend den beim Zentralen Melderegister gespeicherten Daten habe MP ebenso wie die Beschwerdeführerin seit 2003 unverändert seinen Hauptwohnsitz in der P-Gasse in W.

Laut vorgelegtem Mietvertrag sei MP seit 1. Dezember 2003, gleichzeitig mit Beginn des Dienstverhältnisses als Hausbetreuer, Hauptmieter der Wohnung. Den monatlichen Mietzins zahle MP.

Bei einer Erhebung an der Wohnanschrift sei MP angetroffen worden; es sei die Wohnsituation in Augenschein genommen und eine Niederschrift mit ihm aufgenommen worden:

Es handle sich um eine ca. 50 m2 große 2-Zimmer-Wohnung, keine Dienstwohnung. Die Beschwerdeführerin nutze mit MP das Doppelbett im Schlafzimmer. Sie leiste einen Mietbeitrag von EUR 100,-- inklusive Energiekosten. Die Kleidung der Beschwerdeführerin sei im Schlafzimmerkasten untergebracht, eine getrennte Lebensmittelbevorratung liege nicht vor, die Einkäufe würden gemeinsam erledigt werden. Die Beschwerdeführerin helfe MP bei den Hausbesorgerarbeiten und führe den Haushalt. Ein gemeinsam aufgenommener Privatkredit werde derzeit nur von MP beglichen. Ob ein Auszug der Beschwerdeführerin geplant sei bzw. welche diesbezüglichen Tätigkeiten bisher erfolgt seien, habe nicht angegeben werden können. Die Einrichtung sei Eigentum beider Personen, eine Vereinbarung über die Aufteilung des Besitzes liege trotz Scheidung vor zwei Jahren bisher nicht vor.

MP habe im Zuge der Erhebung als Zeuge vernommen im Wesentlichen angegeben, die Wohnung messe ca. 50 m2 und verfüge über ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, eine Küche und Sanitärräume. Sie schliefen gemeinsam im Schlafzimmer, die Beschwerdeführerin habe auch ihr gesamtes Hab und Gut im Kasten des Schlafzimmers untergebracht. Er zahle für die Wohnung ca. EUR 250,-- monatlich Miete, die Beschwerdeführerin leiste einen Beitrag von EUR 100,-- monatlich. Die Einkäufe (Lebensmittel, Haushaltsbedarf) würden auf gemeinsame Rechnung eingekauft, ein getrennter Einkauf finde nicht statt. Die Haushaltsangelegenheiten (kochen, putzen, Wäsche waschen) würden abwechselnd gemeinsam geregelt. Die Beschwerdeführerin helfe ihm manchmal bei den Hausbesorgerarbeiten, den gemeinsam aufgenommenen Kredit bezahle bisher er.

Die Beschwerdeführerin habe vor der belangten Behörde angegeben, MP habe ihr nach der Scheidung erlaubt, noch drei Jahre in der Wohnung zu bleiben, da sie nicht genug Geld für eine eigene Wohnung habe. Sie übernachte im Wohnzimmer, manchmal auch bei ihren Kindern. Jeder kaufe für sich ein und koche für sich. Die Freizeit würden sie getrennt verbringen, auch der Freundeskreis sei getrennt. Sie hätten vereinbart, dass sie ihrem Exgatten EUR 100,-- monatlich gebe. Ein Untermietvertrag sei nicht geschlossen worden, auch die Aufteilung der Möbel sei noch nicht besprochen worden. Eine Geschlechtsgemeinschaft bestehe nicht.

MP habe vor der belangten Behörde als Zeuge befragt angegeben, die Beschwerdeführerin nächtige manchmal bei ihm und manchmal auch bei der Tochter. Wenn die Beschwerdeführerin bei ihm übernachte, dann im Wohnzimmer. Er zahle die Miete der Wohnung; die Beschwerdeführerin gebe ihm manchmal EUR 100,--. Er sei Hauptmieter der Wohnung und auch Hausbesorger der Wohnhausanlage. Es bestehe kein Untermietvertrag. Er zahle die Betriebskosten, jeder kaufe getrennt für sich ein. Sie hätten keine getrennten Kühlschränke, er brauche nicht sehr viel. Die Einrichtung sei gemeinsam gekauft worden, über die Aufteilung sei noch nicht gesprochen worden. Den gemeinsam aufgenommenen Privatkredit zahle er zurück; finanzielle Unterstützung gebe es keine. Die Freizeit würden sie getrennt verbringen, auch der Freundeskreis sei getrennt. Manchmal würde ihm die Beschwerdeführerin bei der Hausbesorgertätigkeit helfen, wofür er bezahle. Seit der Scheidung bestehe keine Geschlechtsgemeinschaft mehr.

MP sei seit 1. Dezember 2003 als Hausbesorger tätig. Im Jahr 2006 habe er ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 782,05 und im Jahr 2007 in Höhe von EUR 846,08 erzielt.

Bei der Beschwerdeführerin lägen Gelenksbeschwerden, Depressionen, ein Zwölffingerdarmgeschwür und eine Gastritis vor.

Diese Feststellungen gründeten sich auf den Akteninhalt, die chronologisch geführten Aufzeichnungen des Arbeitsmarktservice, den Erhebungsbericht, die Daten des zentralen Melderegisters, die vorgelegten ärztlichen Befunde und die Angaben der Beschwerdeführerin.

Notstandshilfe sei nur zu gewähren, wenn der Arbeitslose der Vermittlung zur Verfügung stehe und sich in Notlage befinde. Wie die Beschwerdeführerin selbst ausführe, sei die Bestreitung der Kosten der gemeinsamen Wohnung derart gestaltet, dass diese inklusive der Betriebskosten von MP getragen würden und die Beschwerdeführerin lediglich ungefähr EUR 100,-- pro Monat beitrage. Weiter würden die Lebensmittel und die Bekleidung gemeinsam aufbewahrt. Entsprechend den im Zuge der Erhebung an der gemeinsamen Wohnadresse gemachten Aussagen des MP werde gemeinsam eingekauft; sie würden auch gemeinsam im Schlafzimmer nächtigen. Hinzu komme, dass die Beschwerdeführerin mit MP keinen Untermietvertrag geschlossen und keine Vereinbarung über die Aufteilung der Möbel getroffen habe; sie unterstütze ihn bei seiner Hausbesorgertätigkeit. MP komme auch zum größten Teil alleine für den gemeinsam aufgenommenen Privatkredit auf. Darin liege ein gemeinsames Wirtschaften, welches den Schluss zulasse, dass nicht nur eine Wohn-, sondern auch eine Lebensgemeinschaft vorliege.

Die belangte Behörde gelange aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere aufgrund des durchgeführten Lokalaugenscheins und der einander teilweise widersprechenden Zeugenaussagen zu dem Schluss, dass nicht nur eine Wohn-, sondern auch eine Lebensgemeinschaft vorliege. Es seien demnach auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Lebensgefährten zu berücksichtigen.

Ausgehend vom Nettoeinkommen des Partners, pauschalierten Werbungskosten, der Freigrenze für den Partner und einer Freigrenze für die innere Krankheit ergebe sich ein anrechenbares Einkommen von EUR 269,-- pro Monat im Jahr 2006, von EUR 262,-- pro Monat im Jänner 2007 und ab Februar 2007 von EUR 326,-- pro Monat. Der Notstandshilfeanspruch sei daher - im angefochtenen Bescheid näher dargelegt - wie im Spruch des angefochtenen Bescheides angeführt zu berichtigen gewesen.

Die Beschwerdeführerin habe mit ihrer Unterschrift bei Antragstellung bestätigend zur Kenntnis genommen, dass die Verpflichtung bestehe, den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis, jede Änderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und jede für den Fortbestand und das Ausmaß ihres Anspruches maßgebende Änderung spätestens binnen einer Woche dem Arbeitsmarktservice zu melden. Im Formular werde auch darauf hingewiesen, dass das Verschweigen maßgebender Tatsachen die Einstellung und Rückforderung der bezogenen Leistung bewirken könne.

Der Beschwerdeführerin sei die Relevanz und bestehende Meldepflicht hinsichtlich der Führung einer Lebensgemeinschaft gegenüber dem Arbeitsmarktservice bekannt gewesen. Es liege demnach eine vorwerfbare Meldepflichtverletzung vor. Die Rückforderung gründe sich darauf, dass die Beschwerdeführerin dem Arbeitsmarktservice nicht gemeldet, also verschwiegen habe, dass sie mit MP weiterhin im gemeinsamen Haushalt lebe und eine Lebensgemeinschaft führe. Der Rückforderungsbetrag ergebe sich - im angefochtenen Bescheid näher aufgeschlüsselt - insgesamt mit EUR 5.333,73.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, ist die Zuerkennung gemäß § 24 Abs. 2 AlVG zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Die genannten Bestimmungen sind auf Grund des § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Wer Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, ist gemäß § 50 Abs. 1 AlVG verpflichtet, die Aufnahme eine Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 AlVG unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle anzuzeigen. Darüber hinaus ist jede andere für das Fortbestehen und das Ausmaß des Anspruches maßgebende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen sowie jede Wohnungsänderung der regionalen Geschäftsstelle ohne Verzug, spätestens jedoch binnen einer Woche seit dem Eintritt des Ereignisses anzuzeigen.

Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe unter anderem, dass sich der Arbeitslose in einer Notlage befindet. Nach § 33 Abs. 3 AlVG liegt Notlage vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.

Gemäß § 36 Abs. 1 AlVG hat der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz nach Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Richtlinien über das Vorliegen einer Notlage iSd § 33 Abs. 3 AlVG zu erlassen.

Nach § 36 Abs. 2 AlVG sind bei der Beurteilung der Notlage die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der Arbeitslosen selbst sowie des mit der Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten oder Lebensgefährten zu berücksichtigen.

Nach § 2 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung liegt Notlage vor, wenn das Einkommen der Arbeitslosen und das seines Ehepartners (Lebensgefährten) zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse der Arbeitslosen nicht ausreicht.

Gemäß § 6 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung ist bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners (oder Lebensgefährten) der Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage wie folgt vorzugehen: Von dem Einkommen ist ein Betrag freizulassen, der zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Ehepartners (Lebensgefährten) und der allenfalls von ihm zu versorgenden Familienmitglieder bestimmt ist. Der die Freigrenze übersteigende Teil des Einkommens ist auf die Notstandshilfe anzurechnen.

2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht das Wesen einer Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber - wie auch bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. März 2011, Zl. 2007/08/0023, mwN).

Unter dem Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft ist zu verstehen, dass beide Partner einander Beistand und Dienste leisten und an den zur Bestreitung des Unterhaltes, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen lassen, etwa auch die Freizeit weitgehend gemeinsam verbringen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 16. März 2011).

Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten liegt offenkundig die Annahme zu Grunde, dass dieser wegen der Lebens-(Wohn-)Gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der auf die Beschwerdeführerin entfallenden Miete oder der Ernährung) beiträgt. Gemeinsames Wohnen allein begründet hingegen auch zwischen Personen, die gemeinsame Kinder haben, noch keine Lebensgemeinschaft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 2006, Zl. 2004/08/0263).

Für die Annahme einer Wirtschaftsgemeinschaft genügt die Mitfinanzierung der Miete. Wird die Miete zur Gänze von dem nicht die Notstandshilfe beanspruchenden Lebensgefährten getragen, bedeutet dies einen noch größeren Beitrag zur gemeinsamen Lebensführung durch diesen. Auch wenn dadurch kein "gemeinsames Wirtschaften" in dem Sinne erfolgt, dass jeder Lebensgefährte (s)einen Teil beiträgt, liegt in der Übernahme der gesamten Wohnkosten durch denjenigen Partner, der nicht die Notstandshilfe beansprucht, genau jene finanzielle Unterstützung des anderen, welche eine Lebensgemeinschaft kennzeichnet und die Anrechnung des Partnereinkommens sachlich rechtfertigt (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 2006).

3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, aus dem von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt sei lediglich gemeinsames Wohnen, aber keine Wirtschaftsgemeinschaft und daher keine Lebensgemeinschaft ableitbar. Unter den gegebenen Umständen, insbesondere des extrem knapp bemessenen Wohnraumes (50 m2) sei es schlicht unmöglich, Lebensmittel und Kleidung getrennt aufzubewahren. Der Umstand der gemeinsamen räumlichen Aufbewahrung sage darüber hinaus nichts über die wirtschaftliche Trennung der Güter aus. Die Beschwerdeführerin trage die Kosten ihrer Lebensführung ausschließlich selbst; ihre anteiligen Wohnungskosten trage sie auf Basis einer mündlichen Vereinbarung selbst; auch der Nahrungsmittel- und Bekleidungseinkauf werde von ihr selbst finanziert.

Auch sei die Rückforderung der allenfalls rechtswidrig ausbezahlten Notstandshilfe unzulässig, weil die Beschwerdeführerin den Umstand, mit MP noch in derselben Wohnung zu wohnen, weder verschwiegen noch andere unwahre Angaben getätigt habe. Sie habe bei Erstantragstellung am 26. September 2006 die Mitarbeiter der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice von den vorliegenden Wohnverhältnissen in Kenntnis gesetzt; ihr sei mitgeteilt worden, dass dies "bis drei Jahre nach der Scheidung kein Problem sei". Ein allenfalls vorliegender Rechtsirrtum in der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse als "Lebensgemeinschaft" iSd AlVG sei von der beratenden Mitarbeiterin der regionalen Geschäftsstelle herbeigeführt worden und sei demnach als solcher beachtlich.

Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe es unterlassen, die für die Ermittlung des Sachverhaltes notwendigen Sachverhaltsmerkmale festzustellen. Die Feststellungen erschöpften sich im Wesentlichen im Zitieren der Aussagen der vernommenen Personen. Die Bescheidbegründung sei mangelhaft; die Ausführungen zum Vorliegen einer Lebensgemeinschaft seien nicht nachvollzieh- oder nachprüfbar. Auch sei die Beweiswürdigung unschlüssig, da sich die belangte Behörde mit den - den Feststellungen widersprechenden - Aussagen der Beschwerdeführerin und ihres ehemaligen Gatten nicht auseinandergesetzt habe. Schließlich liege eine Verletzung des Parteiengehörs vor, weil der Beschwerdeführerin die Aussagen des MP nicht vorgehalten worden seien.

4. Entgegen der Behauptung der belangten Behörde in der Gegenschrift ist aus dem Akteninhalt (insbesondere der Niederschrift über die Vernehmung der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde) nicht ableitbar, dass der Beschwerdeführerin der Erhebungsbericht vom 16. April 2008 (samt den darin enthaltenen Angaben des MP) oder die Niederschrift über die Vernehmung des MP als Zeugen vom 7. Mai 2008 vorgehalten worden seien. Es trifft daher schon der Beschwerdeeinwand zu, die Beschwerdeführerin sei in ihrem Recht auf Parteiengehör (§ 45 Abs. 3 AVG) verletzt.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Die Begründung eines Bescheides muss demnach erkennen lassen, welchen Sachverhalt die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt, und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 § 60 AVG E 19).

Die im jeweiligen Fall erforderliche Tatsachenfeststellung kann durch die wörtliche Wiedergabe von Zeugenaussagen, die nicht erkennen lässt, welchen Sachverhalt die belangte Behörde tatsächlich als erwiesen annimmt, nicht ersetzt werden (vgl. Walter/Thienel, aaO E 78).

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat die Behörde darzulegen, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangt ist, dass gerade der festgestellte Sachverhalt vorliegt. Liegen einander widersprechende Beweisergebnisse vor, muss die Behörde begründen, weshalb sie einem der Beweismittel den Vorzug gibt (vgl. Walter/Thienel, aaO E 104 f).

Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht:

Im Rahmen der Sachverhaltsfeststellungen schildert die belangte Behörde die Angaben der Beschwerdeführerin und ihres ehemaligen Ehemanns; die belangte Behörde legt aber nicht dar, welchen dieser - wie sie im Rahmen der rechtlichen Beurteilung selbst ausführt: einander teilweise widersprechenden - Angaben sie folgt. Im Rahmen der Beweiswürdigung verweist die belangte Behörde lediglich pauschal auf die aufgenommenen Beweise, legt aber nicht dar, aus welchem Grund sie allenfalls eine Aussage der anderen vorgezogen habe. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung geht die belangte Behörde schließlich erkennbar von den anlässlich der Erhebung in der Wohnung getätigten Angaben des MP - unter weitgehender Ausblendung der damit nicht übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführerin und des MP vor der belangten Behörde - aus. Diese rechtliche Beurteilung kann sich aber nicht auf Feststellungen stützen, die auf einer schlüssigen Beweiswürdigung beruhen.

Alleine aus den Angaben der Beschwerdeführerin kann aber - entgegen den Darlegungen der belangten Behörde in der Gegenschrift - nicht abgeleitet werden, dass eine Lebensgemeinschaft bestehe:

Entsprechend diesen Angaben kaufe jeder für sich ein, sie koche nur für sich, nicht für MP. Sie würden auch nicht gemeinsam essen. Sie wasche ihre Wäsche selbst. Die Freizeit würden sie getrennt verbringen, auch der Freundeskreis sei getrennt. Geschlechtsgemeinschaft bestehe nicht.

Diesen - jedenfalls gegen eine Lebensgemeinschaft sprechenden - Umständen stehen die weiteren Angaben gegenüber, dass MP ihr erlaubt habe, ab der Scheidung noch drei Jahre in der Wohnung zu bleiben, da sie für eine eigene Wohnung nicht genug Geld habe. Sie hätten vereinbart, dass sie ihm hiefür EUR 100,-- monatlich gebe. Manchmal übernachte sie bei ihren Kindern. Wenn sie bei MP sei, übernachte sie im Wohnzimmer. So sei es für sie am Günstigsten. Die Betriebskosten zahle hauptsächlich MP, manchmal gebe sie etwas dazu. Die Möbel hätten sie gemeinsam gekauft, über die Aufteilung hätte sie noch nicht nachgedacht. Bei der Hausbesorgertätigkeit des MP helfe sie nicht mit, sie beantworte bei Bedarf nur Anfragen (wobei dies - laut Darstellung des MP - von diesem entlohnt werde).

Wie bereits oben dargelegt begründet gemeinsames Wohnen allein - auch zwischen Personen, die gemeinsame Kinder haben - noch keine Lebensgemeinschaft. Entscheidend ist hiezu, dass der Lebensgefährte zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der auf die Beschwerdeführerin entfallenden Miete oder der Ernährung) beiträgt.

Die Annahme einer derartigen finanziellen Unterstützung lässt sich aber aus den (mangels schlüssiger Beweiswürdigung nicht widerlegten) Angaben der Beschwerdeführerin nicht ableiten, da nicht erkennbar ist, dass die Beschwerdeführerin für die Einräumung dieser (bloßen) Wohnmöglichkeit unüblich niedrige (oder auch hohe) Beträge leiste (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. März 2011, Zl. 2007/08/0023).

5. Was schließlich die Rückforderung anbelangt, so begründet nicht schon die objektiv unrichtige (den unberechtigten Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe herbeiführende) Verneinung einer relevanten Frage im Antragsformular die Rückersatzverpflichtung nach § 25 Abs. 1 AlVG wegen "unwahrer Angaben" oder "Verschweigung maßgebender Tatsachen". Von jenem, der in unverschuldeter Unkenntnis vom wahren Sachverhalt unrichtige Angaben gemacht hat, kann Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) nicht zurückgefordert werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. November 2009, Zl. 2007/08/0213, mwN).

Hiezu ist zunächst darauf zu verweisen, dass sich die Fragestellung in den Antragsformularen verändert hat: Im Antrag vom 26. September 2006 lautete die Frage (Seite 2 Punkt 1): "In meinem Haushalt leben Angehörige bzw. ich habe für Angehörige zu sorgen, die nicht im gemeinsamen Haushalt mit mir leben. Angehörige sind … Lebensgefährten …" Im Antrag vom 12. Dezember 2007 wurde die Frage nunmehr klarer gefasst und in zwei Fragen aufgeteilt: "In meinem Haushalt leben Angehörige."

"Ich habe für Angehörige zu sorgen, die nicht im gemeinsamen Haushalt mit mir leben". Während im ersten Antrag die Frage insgesamt verneint wurde, wurde im zweiten Antrag die erste Frage - unter Angabe des Namens ihres geschiedenen Ehegatten - bejaht, die zweite hingegen verneint. Diese divergierenden Angaben würden es durchaus nahe legen, dass die Beschwerdeführerin hinsichtlich der zusammengefassten Frage einem Irrtum unterlegen ist. Ein derartiger Irrtum würde zwar an sich am Rückforderungsanspruch nichts ändern. Die Beschwerdeführerin hatte allerdings - wie auch von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid geschildert - bereits in einer Niederschrift vom 26. Februar 2008 angegeben, ihr sei von Seiten des Arbeitsmarktservice erklärt worden, dass sie nach der Scheidung noch drei Jahre mit ihrem Gatten zusammen leben dürfe.

Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt. Sollte dieses Vorbringen aber zutreffen, so wäre die unrichtige Angabe der Beschwerdeführerin nicht vorzuwerfen (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 18. November 2009, Zl. 2007/08/0213).

6. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 19. Oktober 2011

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