VwGH 2008/08/0070

VwGH2008/08/007019.1.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des T R in Wien, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 20. Februar 2008, Zl. 2007-0566-9-001836, betreffend Versagung des Arbeitslosengeldes gemäß § 11 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §11 idF 2004/I/077;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AlVG 1977 §11 idF 2004/I/077;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien H vom 15. November 2007 wurde der Beschwerdeführer vom Bezug von Arbeitslosengeld für den 28. September 2007 gemäß § 11 AlVG ausgeschlossen, Nachsicht wurde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, das Dienstverhältnis bei C sei durch fristlose Entlassung beendet worden; berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, das Dienstverhältnis sei am 30. Juli 2007 (vom Dienstgeber) durch ordentliche Kündigung zum 15. September 2007 für beendet erklärt worden. Er habe am 30. August 2007 am Vormittag eine Gerichtsverhandlung wahrgenommen, gegen 13 Uhr habe er sich wieder in der Arbeitsstelle (Rechtsanwaltskanzlei) eingefunden und habe die dringendsten Arbeiten erledigt. Als gegen 15 Uhr akute Übelkeit aufgetreten sei und er nicht mehr konzentriert arbeiten habe könne, habe er sich ordnungsgemäß im Sekretariat abgemeldet. Nach Aufsuchen einer Apotheke und Einnahme der nötigen Medikation habe er sich unverzüglich zur Bettruhe begeben. Um 18 Uhr sei er vom Dienstgeber angerufen worden, der ihm mitgeteilt habe, dass er fristlos entlassen sei und noch am selben Tag abgemeldet werde. Er habe diese offensichtlich rechtswidrige Entlassung nicht ernst genommen und in der Folge seinen vereinbarten Resturlaub verbraucht. Als er am 5. September 2007 seine Arbeit wieder aufnehmen habe wollen, sei er vom Dienstgeber aufgefordert worden, die Kanzlei unverzüglich zu verlassen, da das Dienstverhältnis durch Entlassung beendet worden sei. Das Arbeitsverhältnis sei daher keinesfalls aus Verschulden des Beschwerdeführers oder von diesem freiwillig gelöst worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und gewährte keine Nachsicht. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei vom 1. März bis 31. August 2007 in der Rechtsanwaltskanzlei C beschäftigt gewesen. Das Dienstverhältnis habe durch fristlose Entlassung geendet. Die Kanzlei habe dazu mitgeteilt, der Beschwerdeführer sei ohne Entschuldigung seinem Arbeitsplatz fern geblieben, nachdem er zuvor bereits zweimal verwarnt worden sei. Der Beschwerdeführer habe vor der Behörde erster Instanz im Wesentlichen angegeben, er habe sich am 30. August 2007 ordnungsgemäß nach einem Gerichtstermin am Nachmittag krank gemeldet; er habe keine rechtlichen Schritte eingeleitet. Im Zuge des Berufungsverfahrens sei die vom Beschwerdeführer beantragte Zeugin befragt worden, welche angegeben habe, dass der Beschwerdeführer am 30. August 2007 nach einem Gerichtstermin in die Kanzlei gekommen sei, sich wegen eines Arzttermins abgemeldet habe, wieder gekommen sei, sodann mit der Begründung, etwas erledigen zu müssen, die Kanzlei wieder verlassen habe und nach Rückkehr gesagt habe, ihm sei schlecht, er würde wieder nach Hause gehen. C habe an diesem Tag Besprechungen gehabt; der Beschwerdeführer hätte nur warten müssen, bis eine Besprechung beendet sei. Wenn C anwesend sei, sei es üblich, mit ihm Abwesenheiten zu besprechen. Eine ärztliche Bestätigung über die Erkrankung am 30. August 2007 habe nicht vorgelegt werden können.

Die Kanzlei habe dem Arbeitsmarktservice das Kündigungsschreiben inklusive Weisung und Verwarnung vom 30. Juli 2007 sowie eine Telefonnotiz vom 30. August 2007 zur Verfügung gestellt. Aus dieser gehe hervor, dass der Beschwerdeführer am 30. August 2007 statt um 9 Uhr erst um

9.25 Uhr in die Kanzlei gekommen sei. Der Beschwerdeführer sei bereits wegen Arbeitsverweigerung verwarnt worden und habe sich ohne Rücksprache einen Nachmittag frei genommen. Die Verwarnung sei damit begründet worden, dass der Beschwerdeführer am 27. Juli 2007 seine Dienstpflichten nicht erfüllt und entgegen der Weisung von C die Arbeit verweigert habe, indem er eine eigene Sache bearbeitet habe. Weiters habe der Beschwerdeführer den Arbeitsplatz unentschuldigt verlassen. In der Weisung seien die Arbeitszeiten festgelegt worden.

Der Beschwerdeführer habe in einer Stellungnahme hiezu ausgeführt, der Gerichtstermin am 30. August 2007 hätte vereinbarungsgemäß direkt von zu Hause wahrgenommen werden sollen. Er habe sich am 30. August 2007, nachdem ihm schlecht geworden sei, bei der Sekretärin abgemeldet und sich in der Apotheke beraten lassen. Da ohnehin Urlaub vereinbart gewesen sei, habe er sich entschieden, den Krankheitsverlauf abzuwarten. Er habe keinen Entlassungstatbestand gesetzt.

Die belangte Behörde sei zur Ansicht gekommen, dass das Dienstverhältnis durch das Verschulden des Beschwerdeführers beendet worden sei. Es werde den Angaben und schriftlichen Ausführungen der Kanzlei C Glauben bezüglich der Angaben zum Verhalten des Beschwerdeführers (Nichterfüllung der Dienstpflichten, unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz) geschenkt. Es sei für die Berufungsbehörde nachvollziehbar, dass ein solches Verhalten zum Anlass für die Beendigung eines Dienstverhältnisses genommen werde. Das Verhalten des Beschwerdeführers, trotz Verwarnung und per Weisung festgelegter Dienstzeiten zu spät zu kommen und ohne Rücksprache mit C die Kanzlei zu verlassen, sei nicht verständlich.

Das Dienstverhältnis habe am 31. August 2007 geendet. Die Sperrfrist von vier Wochen sei daher für die Zeit vom 1. bis 28. September 2007 gegeben. Da der Beschwerdeführer den Antrag auf Arbeitslosengeld erst am 28. September 2007 gestellt habe, sei nur über den 28. September 2007 abzusprechen. Berücksichtigungswürdige Nachsichtsgründe seien vom Beschwerdeführer nicht genannt worden und seien für die belangte Behörde nicht ersichtlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 11 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet:

"§ 11. Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB bei freiwilliger Beendigung eines Dienstverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Aufnahme einer anderen Beschäftigung, nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Die Beschwerde rügt unter anderem die Beweiswürdigung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung eines Bescheides erkennen lassen, welchen Sachverhalt die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 § 60 AVG E 19).

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2010, Zl. 2007/08/0256, mwN).

Wenn die Behörde den Ausführungen der Partei keinen Glauben schenkt, hat sie die Gründe dieser Beweiswürdigung im Bescheid auszuführen (vgl. Walter/Thienel, aaO E 107).

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid erschöpft sich in den Ausführungen, es sei den Angaben und schriftlichen Ausführungen der Kanzlei C Glauben geschenkt worden und es sei nachvollziehbar, dass ein solches Verhalten zum Anlass für die Beendigung eines Dienstverhältnisses genommen werde. Das Verhalten des Beschwerdeführers, trotz Verwarnung und per Weisung festgelegter Dienstzeiten zu spät zu kommen bzw. ohne Rücksprache mit C die Kanzlei zu verlassen, sei nicht verständlich.

Diese Ausführungen genügen den oben dargelegten Anforderungen an eine schlüssige Beweiswürdigung nicht. Insbesondere kann den beweiswürdigenden Erwägungen keine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers entnommen werden, der Gerichtstermin am Vormittag des 30. August 2007 hätte vereinbarungsgemäß direkt von zu Hause aus wahrgenommen werden sollen (was im Widerspruch zu dem von der belangten Behörde angenommenen Zuspätkommen des Beschwerdeführers (offenbar gemeint am 30. August 2007: trotz Verwarnung und per Weisung festgelegter Dienstzeiten) steht); auch wurde nicht auf die Darlegungen des Beschwerdeführers eingegangen, er habe sich am Nachmittag des 30. August 2007 aus gesundheitlichen Gründen, die ein Abwarten eines unbestimmten Endes des Besprechungstermins von C nicht zugelassen hätten, bei der Mitarbeiterin von C abgemeldet.

Schließlich ist - auch wenn die belangte Behörde hiebei auf eine Arbeitsbescheinigung verweist (welche aber laut Akteninhalt handschriftliche Korrekturen aufweist, die im angefochtenen Bescheid nicht erörtert werden) - nicht ersichtlich, aus welchem Grund die belangte Behörde zur Ansicht gelangt, das Dienstverhältnis habe am 31. August 2007 geendet: Sowohl nach den Angaben des Beschwerdeführers als auch nach der der belangten Behörde vorliegenden Telefonnotiz von C erfolgte die Entlassung mündlich (telefonisch) am Abend des 30. August 2007. Ausgehend von diesen - übereinstimmenden - Beweisergebnissen wäre somit das Dienstverhältnis am 30. August 2007 aufgelöst worden, die Sperrfrist nach § 11 AlVG hätte damit bereits vor dem 28. September 2007 geendet.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der - in der Beschwerde beantragten - Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 19. Jänner 2011

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