VwGH 2009/22/0044

VwGH2009/22/004427.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Josef Unterweger und Mag. Doris Einwallner, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. März 2007, Zl. 147.426/3-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art6;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §45 Abs1 Z1;
VwRallg;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art6;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §45 Abs1 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde - soweit hier wesentlich - der Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Gambia, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta.-Ö, § 49 Abs. 1 FrG", gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 27. Juni 2000 unrechtmäßig von Italien kommend in Österreich eingereist. Am selben Tag habe er einen Asylantrag gestellt. Diesem Antrag sei am 26. September 2003 in zweiter Instanz "rechtskräftig negativ beschieden" worden.

Am 18. Oktober 2004 sei jenes Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien rechtskräftig geworden, mit dem der Beschwerdeführer nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 (erster Fall) SMG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die bedingt nachgesehen worden sei, verurteilt worden sei. Das dieser Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten stellte die belangte Behörde allerdings nicht fest.

Am 7. September 2005 habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - in Wien die österreichische Staatsbürgerin F geheiratet. Den hier gegenständlichen Antrag habe er am 12. September 2005 eingebracht.

Der Beschwerdeführer habe durch seinen jahrelangen unrechtmäßigen Aufenthalt die österreichischen Einwanderungsvorschriften missachtet. Dabei handle es sich um schwerwiegende Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Normen, die teilweise sogar strafrechtlich geahndet worden seien. Sohin müsse die belangte Behörde davon ausgehen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung führen werde. Der Beschwerdeführer habe durch mehrfache und massive Täuschungshandlungen versucht, die österreichische Rechtsordnung zu umgehen. Er habe gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten.

Da der Aufenthalt des Beschwerdeführers dem öffentlichen Interesse gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG widerstreite, erfülle er die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht.

Die nach § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmende Interessenabwägung habe ergeben, dass der Beschwerdeführer infolgedessen, dass er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, ein privates Interesse an einem Aufenthalt in Österreich aufweise. Jedoch müsse den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers "absolute Priorität" eingeräumt werden, weil auf Grund seines unrechtmäßigen Aufenthalts und der Verschleierung seiner wahren Identität keine Bereitschaft zu erkennen sei, die Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates zu respektieren.

Abschließend führte die belangte Behörde noch aus, der Beschwerdeführer könne aus gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen kein Aufenthaltsrecht geltend machen, weil kein Hinweis dafür vorhanden sei, dass seine Ehefrau das ihr zustehende Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels betreffenden Bescheidspruch Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Februar 2008 ablehnte und die Beschwerde über gesonderten Antrag des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

Der Beschwerdeführer bringt - erkennbar darauf abstellend, dass die belangte Behörde seinen Antrag nicht hätte abweisen dürfen, sondern ein aufenthaltsbeendigendes Verfahren hätte veranlassen müssen (§ 25 Abs. 1 NAG) - vor, er habe einen Antrag auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels gestellt, weshalb es sich im gegenständlichen Fall um einen Verlängerungs- und nicht um einen Erstantrag handle.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 NAG ist ein Erstantrag der Antrag, der nicht Verlängerungs- oder Zweckänderungsantrag (Z 11 und 12) ist. Ein Verlängerungsantrag ist nach § 2 Abs. 1 Z 11 NAG der Antrag auf Verlängerung des gleichen oder Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels (§ 24 NAG). § 2 Abs. 1 Z 12 NAG definiert den Zweckänderungsantrag als den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit anderem Zweckumfang während der Geltung eines Aufenthaltstitels (§ 26 NAG).

Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass er bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hätte. Da es dafür auch sonst keinerlei Hinweise gibt, kann der Ansicht der belangten Behörde, dass es sich im gegenständlichen Fall um einen Erstantrag (§ 2 Abs. 1 Z 13 NAG) handle, über den sie selbst zu entscheiden habe, nicht entgegengetreten werden.

Daran vermag auch nichts zu ändern, dass der Beschwerdeführer die Ehe bereits vor In-Kraft-Treten des NAG geschlossen und den hier gegenständlichen Antrag noch während der Geltung des am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 (FrG) eingebracht hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich im Zusammenhang mit § 49 FrG bereits festgehalten, dass der in § 49 FrG vorgesehenen Niederlassungsbewilligung lediglich in jenen Fällen, in denen ein direkter Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts gegeben war, deklaratorische Wirkung zukam. War dies nicht der Fall, so unterlagen auch nach der Rechtslage des FrG drittstaatszugehörige Angehörige von Österreichern der Sichtvermerkspflicht (Erfordernis eines Einreise- oder Aufenthaltstitels); der in § 49 Abs. 1 FrG vorgesehenen Niederlassungsbewilligung kam in solchen Fällen rechtsbegründender Charakter zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Juni 2007, 2007/18/0209, und dem folgend jenes vom 22. September 2009, 2008/22/0064). Da hier ein Anwendungsfall des Gemeinschaftsrechts nicht vorliegt - der Beschwerdeführer tritt den Feststellungen der belangten Behörde, seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehefrau habe das ihr zustehende Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen, nicht entgegen -, kann - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht davon gesprochen werden, der Beschwerdeführer wäre während der Geltung des FrG infolge seiner Eheschließung rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig gewesen und hätte bereits von Gesetzes wegen über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Mangels Vorhandensein eines der Verlängerung zugänglichen Aufenthaltstitels führt sohin auch das Beschwerdevorbringen zum dem Beschwerdeführer während der Geltung des FrG zustehenden Rechtsstatus nicht dazu, dass von einem Erstantrag im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 13 NAG auszugehen wäre, ohne dass hier näher darauf eingegangen werden muss, ob im Fall des Bestehens eines direkt aus dem Gemeinschaftsrecht herrührenden Aufenthaltsrechts ein nach Wegfall desselben gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Erstantrag oder Verlängerungsantrag zu qualifizieren wäre.

Der Beschwerdeführer ist allerdings mit dem weiteren Vorbringen, es sei mangels konkreter Feststellungen nicht nachvollziehbar, was dem Beschwerdeführer vorgeworfen werde, im Recht.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dann (u.a.) im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dem öffentlichen Interesse, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Bei Auslegung des soeben genannten unbestimmten Gesetzesbegriffes ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. September 2008, 2008/22/0269, mwN, und vom 25. Februar 2010, 2007/21/0153). Die damit erforderliche auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Nun hat sich aber die belangte Behörde im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers mit der Wiedergabe der Urteilsdaten anhand des Strafregisters begnügt und nicht - wie nach dem eben Gesagten erforderlich - das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten konkret festgestellt. Schon dadurch belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit (vgl. auch dazu die bereits genannten Erkenntnisse vom 17. September 2008 und vom 25. Februar 2010).

Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass der unrechtmäßige Aufenthalt für sich allein genommen nicht zum Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG führt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, 2007/21/0153, sowie jenes vom 18. März 2010, 2008/22/0635). Welche "Täuschungshandlungen" in diesem Zusammenhang die belangte Behörde vor Augen hat, legt sie - was der Beschwerdeführer ebenfalls zutreffend aufzeigt - in keiner Weise dar. Dass die Identität des Beschwerdeführers ungeklärt (mit den Worten der belangten Behörde: "verschleiert") wäre, kann anhand der vorgelegten Verwaltungsakten, in der auch eine Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers erliegt, jedenfalls nicht nachvollzogen werden. Dass es sich bei diesem Reisepass um kein echtes Dokument handelte, hat die belangte Behörde nicht festgestellt.

Schließlich ist der belangten Behörde aber auch vorzuwerfen, dass sie dem von ihr konstatierten Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG absolute Priorität beigemessen hat. Dass diese Ansicht nicht dem Gesetz entspricht, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach betont (vgl. neuerlich statt vieler das bereits mehrfach erwähnte Erkenntnis 2007/21/0153, mwN). In Verkennung dieser Rechtslage hat sich die belangte Behörde weder mit dem bereits im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers beschäftigt, seiner (in Österreich verwurzelten) Ehefrau sei nicht zumutbar, in sein Heimatland auszuwandern, und es sei die Führung des Familienlebens in seinem Heimatland nicht möglich noch mit den - bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachten - integrationsbegründenden Umständen. Sohin unterblieb aber auch eine dem Gesetz entsprechende Interessenabwägung, bei der all diese Umstände - nach entsprechenden Feststellungen - miteinzubeziehen und dem - darzustellenden - öffentlichen Interesse gegenüber zu stellen gewesen wären.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. September 2010

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