VwGH 2008/22/0476

VwGH2008/22/047618.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. März 2007, Zl. 147.574/2- III/4/06, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 12. März 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom 11. Oktober 2005 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreich, § 49 Abs. 1 Fremdengesetz", gemäß § 21 Abs. 1 sowie § 11 Abs. 2 Z. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 14. März 2002 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, über den mit Bescheid vom 25. September 2002 rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Der Beschwerdeführer sei weiterhin unerlaubt im Bundesgebiet verblieben.

Mit Bescheid vom 29. April 2004 sei gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 2 Z. 7 Fremdengesetz 1997 erlassen worden, welches mit Bescheid vom 6. Dezember 2005 wiederum aufgehoben worden sei.

Während des bestehenden Aufenthaltsverbotes habe der Beschwerdeführer am 30. August 2005 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am 11. Oktober 2005 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Vertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten. Da sich der Beschwerdeführer seit dem Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 und somit auch zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen erstinstanzlichen Bescheides am 23. September 2006 nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe, stehe § 21 Abs. 1 einer Bewilligung entgegen. Seit der rechtskräftigen Beendigung seines Asylverfahrens am 25. September 2002 bis zu seiner Eheschließung am 30. August 2005 sei der Beschwerdeführer überdies nicht rechtmäßig im Inland niedergelassen gewesen. Dies stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.

Weiters stehe fest, dass der Beschwerdeführer im Zuge seines Asylverfahrens im Jahr 2002 unter Verwendung von Aliasdaten in Bezug auf sein Geburtsdatum versucht habe, seinen illegalen Aufenthalt zu legalisieren. Dabei handle es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Normen, die einerseits eine geordnete Einwanderung, andererseits eine "konventionskonforme Asylgewährung" zum Ziel hätten. Da der Beschwerdeführer somit wesentliche Elemente eines geordneten Fremdenwesens und der internationalen Schutznormen für tatsächlich verfolgte Menschen missachtet habe, sei davon auszugehen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung führe. Sein weiterer Aufenthalt widerstreite daher den öffentlichen Interessen gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG. Der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht.

Im Zuge der Berufung seien keine Dokumente bzw. Urkunden vorgelegt worden, wodurch nachgewiesen werde, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers ihr gemeinschaftsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte.

Der Antrag sowie die Berufung hätten auch keine Behauptung humanitärer Gründe enthalten. Unter Hinweis auf die §§ 72 bis 74 NAG führte die belangte Behörde weiter aus, dass im vorliegenden Fall kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei. Vielmehr sei die gewählte Vorgangsweise des Beschwerdeführers eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung des § 21 NAG auf die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers Rücksicht genommen und die Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Daher könne davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers - auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK - entbehrlich sei.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Februar 2008, B 776/07, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, dass das gegenständliche Verfahren auf Grund des Zeitpunktes der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach dem NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006 zu beurteilen ist.

Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit dem Erfordernis der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG vorbringt, der Beschwerdeführer sei nach der Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen, ist ihr mit der ständigen hg. Rechtsprechung zu erwidern, dass dem NAG weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen ist, der zufolge auf vor dessen Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalte etwa Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, 2008/22/0310, mwN).

Zu dem Vorbringen der vermeintlichen Schlechterstellung von Angehörigen nicht freizügigkeitsberechtigter Österreicher ist der Beschwerdeführer auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., zu verweisen, worin der Verfassungsgerichtshof die in § 57 NAG getroffene Differenzierung zwischen Angehörigen von Österreichern, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, und solchen, die keinen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht haben, als verfassungskonform beurteilt hat.

Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt hat. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handle, begegnet auch keinen Bedenken des Gerichtshofs.

Es kommt auch keiner der Ausnahmetatbestände des § 21 Abs. 2 NAG in Betracht (insbesondere auch jener nach Z. 1 deshalb nicht, weil der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig eingereist ist und sich zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat), sodass der Beschwerdeführer dem in der Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an sich im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten hätte müssen.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinne dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0389, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls ist zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die die fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, mwN).

Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang auf die nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderliche Abwägung hin und wendet sich u. a. gegen die Ausführung der belangten Behörde, dass im Hinblick auf die Antragsabweisung gemäß § 21 Abs. 1 NAG ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers entbehrlich sei.

Bereits im Administrativverfahren hat der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er intensive familiäre und private Bindungen im österreichischen Bundesgebiet - insbesondere zu seiner österreichischen Ehefrau - habe, die gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu berücksichtigen seien, und dass er seit 25. Oktober 2005 bei einem näher genannten Unternehmen beschäftigt sei. In der Beschwerde weist er nochmals darauf hin, dass er seit zweieinhalb Jahren mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und mit ihr ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führe, dass er unbescholten sei und sich sein gesamter Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich befinde. Seiner Ehefrau sei es unzumutbar, ein gemeinsames Familienleben in Nigeria zu führen, wo ihnen die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen sei.

Dadurch, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers nicht für weiter relevant erachtete, traf sie weder Feststellungen dazu noch zu den im Hinblick auf die nach Art. 8 EMRK vorzunehmende Interessenabwägung relevanten Umständen und unterließ im angefochtenen Bescheid eine derartige Interessenabwägung. Hätte aber eine Interessenabwägung zur Bejahung der besonderen Berücksichtigungswürdigkeit im Sinne des § 72 Abs. 1 NAG geführt, was nicht von vornherein zu verneinen ist, wäre die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen, was die Abweisung des Antrages nach § 21 Abs. 1 NAG ausschließen würde.

Im Hinblick darauf, dass der Verfahrensmangel auch in Bezug auf § 11 Abs. 3 NAG relevant ist, erübrigt sich ein Eingehen auf das Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG auf Grund des unerlaubten Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. Februar 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte