VwGH 2008/22/0455

VwGH2008/22/04556.7.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Christiane Buchleitner, Rechtsanwältin in 1190 Wien, Sieveringer Straße 122, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Juli 2007, Zl. 148.612/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 19. Oktober 2005 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "begünstigster Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am 5. April 2002 die österreichische Staatsbürgerin C. E. geheiratet habe und daraufhin mit einem von der österreichischen Botschaft in Ankara ausgestellten Visum D erstmals am 13. Mai 2002 in das Bundesgebiet eingereist sei. Die Ehe mit C. E. sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Döbling vom 9. September 2004 geschieden worden. Am 14. Oktober 2005 habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin S.S. geheiratet.

Laut eigenen Angaben lebten die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers nach wie vor in der Türkei; der Beschwerdeführer sei jedoch seit seiner Einreise im Jahr 2002 nicht mehr in seinem Heimatland gewesen. Seit 1. April 2003 liege eine durchgehende polizeiliche Meldung vor. Seinen Aufenthalt im Bundesgebiet habe er auch in seiner Stellungnahme vom 9. Juli 2007 bekräftigt.

Auf Grund der mit 1. Jänner 2006 geänderten Gesetzeslage sei im Sinn der Übergangsbestimmung des § 81 NAG auf den Sachverhalt die Bestimmung des § 21 NAG anzuwenden gewesen. Diese entspreche im Wesentlichen dem Inhalt nach dem § 14 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG. Die Antragstellung vor der Einreise sei von wesentlicher Bedeutung; eine nicht dem Gesetz entsprechende Antragstellung führe zur Abweisung des Antrages.

Die belangte Behörde habe auch keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkennen können. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, stelle keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund dar, weil sein Aufenthalt, während dessen er die Lebensgemeinschaft geschlossen habe, unrechtmäßig gewesen sei und noch immer sei. Eine Inlandsantragstellung werde daher von Amts wegen nicht zugelassen.

Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung des § 21 NAG auf die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers Rücksicht genommen und die Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Daher könne davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers - auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK - entbehrlich sei.

Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dass seine Ehefrau ihr Recht auf die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 81 Abs. 1 NAG sind Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (am 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen. Da der verfahrensgegenständliche Antrag noch vor Inkrafttreten des NAG gestellt wurde, über diesen aber bis zu jenem Zeitpunkt nicht entschieden worden war, zog die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung zutreffend die Bestimmungen des NAG heran.

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass die Erledigung des gegenständlichen Antrages im Inland abgewartet wurde. Beim gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels handelt es sich um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG. Dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer jedenfalls die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels im Ausland abwarten müssen.

Der Beschwerdeführer bringt unter Hinweis auf seine Antragstellung vom 19. Oktober 2005 - somit vor Inkrafttreten des NAG - und seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin vor, er habe "jedenfalls gemäß § 74 NAG das Recht" zur Inlandsantragstellung. Eine Abwägung seiner persönlichen Interessen an einer Niederlassung im Bundesgebiet mit den öffentlichen Interessen sei erforderlich gewesen.

Damit wendet sich der Beschwerdeführer erkennbar gegen die Ausführung der belangten Behörde, dass im Hinblick auf die Antragsabweisung gemäß § 21 Abs. 1 NAG ein weiteres Eingehen auf seine persönlichen Verhältnisse entbehrlich sei.

Gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) kann die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG (in der Stammfassung) erfüllt werden. Nach § 72 Abs. 1 NAG kann den im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses, ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287, mwN).

Bereits im Administrativverfahren hat der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er sich seit Mai 2002 durchgehend im Bundesgebiet aufhalte, bis September 2004 mit seiner ersten Ehegattin, einer österreichischen Staatsbürgerin, verheiratet gewesen sei und seit Oktober 2005 mit seiner jetzigen Ehegattin, ebenfalls einer österreichischen Staatsbürgerin, in aufrechter Ehe lebe. Aus dem Akteninhalt geht weiters hervor, dass der Beschwerdeführer seit Juni 2002 in Österreich - zunächst mit Unterbrechungen, seit Oktober 2005 jedoch durchgehend beim selben Arbeitgeber - beschäftigt ist und nunmehr auch seine Ehefrau in einem Arbeitsverhältnis steht; gemeinsam bringen sie monatlich etwa EUR 2.250,-- netto ins Verdienen und verfügen über eine ortsübliche Unterkunft.

Dadurch, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die berufliche Integration des Beschwerdeführers nicht für relevant erachtete, traf sie in dieser Hinsicht keine Feststellungen und unterließ somit im angefochtenen Bescheid eine umfassende Interessenabwägung. Hätte aber eine derartige Interessenabwägung zur Bejahung der besonderen Berücksichtigungswürdigkeit im Sinne des § 72 Abs. 1 NAG geführt, was nicht von vornherein zu verneinen ist, wäre die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen, was die Abweisung des Antrages nach § 21 Abs. 1 NAG ausschließen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2010, 2008/22/0476).

Aus diesen Erwägungen war auch der vorliegend angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den gemäß § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 6. Juli 2010

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