VwGH 2008/22/0169

VwGH2008/22/01699.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der L, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4/4/29, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 2007, Zl. 316.860/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs1 Z5;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2 Z5;
NAG 2005 §21 Abs4;
VwRallg;
NAG 2005 §11 Abs1 Z5;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2 Z5;
NAG 2005 §21 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 28. März 2007 wurde ein von der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, am 5. Oktober 2004 gestellter Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin mit einem Visum der Kategorie C, das von der deutschen Botschaft in Belgrad mit einer Gültigkeitsdauer vom 17. April 2004 bis 16. Mai 2004 ausgestellt worden sei, in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei und sich seit diesem Zeitpunkt - somit unter Überschreitung des durch Erteilung eines befristeten Sichtvermerks erlaubten Aufenthalts - ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalte.

Am 28. Juni 2004 habe die Beschwerdeführerin in Wien einen österreichischen Staatsbürger geheiratet und am 5. Oktober 2004 den gegenständlichen Antrag gestellt. Sie habe noch nie "über einen Sichtvermerk", eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung für die Republik Österreich verfügt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe (u.a.) der Bestimmungen des § 11 Abs. 1 Z. 5, Abs. 2 Z. 1 und Abs. 4 Z. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass das Verfahren über den vorliegenden Antrag vom 5. Oktober 2004 nach den Bestimmungen des am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen NAG zu Ende zu führen sei.

Der im § 11 Abs. 1 Z. 5 NAG normierte Grund für die Versagung eines Aufenthaltstitels beziehe sich "zwar auf die Überschreitung der Dauer eines erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts in Österreich"; der in jener Bestimmung geregelte Versagungsgrund müsse allerdings "umso mehr für einen erst mit Sichtvermerk genehmigten Aufenthalt gelten". Somit sei aufgrund der "Sachlage (illegaler Aufenthalt seit Ablauf des Einreisevisums)" von einem zwingenden Versagungsgrund im Sinn des § 11 Abs. 1 Z. 5 NAG auszugehen.

Selbst wenn jedoch § 11 Abs. 1 Z. 5 NAG im Fall der Beschwerdeführerin nicht anwendbar wäre, ändere dies nichts an deren illegalem Aufenthalt im Bundesgebiet seit etwa drei Jahren; dieser illegale Aufenthalt stelle einen schweren Verstoß gegen das österreichische Fremdenrecht dar. Durch dieses Verhalten zeige sich, dass die Beschwerdeführerin nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten; diese Tatsache stelle jedenfalls eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.

Die öffentliche Ordnung werde schwer beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde - ohne das betreffende Verfahren abzuwarten - unerlaubt in Österreich aufhielten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Damit widerstreite der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet dem öffentlichen Interesse gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG, weshalb diese die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht erfülle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde das Verfahren über den vorliegenden Antrag vom 5. Oktober 2004 zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Bundesgesetzes zu Ende geführt hat.

Die Beschwerde richtet sich (unter anderem) zu Recht dagegen, dass die belangte Behörde den zwingenden Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z. 5 NAG herangezogen hat.

Gemäß § 11 Abs. 1 Z. 5 NAG (in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Stammfassung) dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 4 NAG vorliegt. Nach § 21 Abs. 4 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) schafft eine Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 2 Z. 1 und Z. 4 bis 6 und § 11 Abs. 3 NAG kein über den erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht.

Wie der Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, setzt der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z. 5 NAG einerseits einen sichtvermerksfreien Aufenthalt des Antragstellers sowie andererseits die Überschreitung der Dauer des so erlaubten Aufenthalts voraus, umfasst aber - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung - nicht Fälle, in denen ein Fremder mit Sichtvermerk eingereist ist und die Dauer des durch Sichtvermerk erlaubten Aufenthaltes überschreitet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, 2008/22/0238).

Gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden unter anderem dem öffentlichen Interesse (§ 11 Abs. 2 Z. 1 NAG), wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Der unrechtmäßige Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet rechtfertigt allerdings im vorliegenden Fall für sich alleine nicht ohne Weiteres die behördliche Annahme, dass durch diesen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet würde, sodass die belangte Behörde die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG zu Unrecht verneint hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. Februar 2010, 2007/21/0153, und vom 18. März 2010, 2008/22/0635, mwN).

Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid somit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet hat, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 9. September 2010

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