Normen
32003R0343 Dublin-II;
AsylG 2005 §18;
AsylG 2005 §5 Abs3;
EMRK Art3;
32003R0343 Dublin-II;
AsylG 2005 §18;
AsylG 2005 §5 Abs3;
EMRK Art3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Sommer 2005 über die türkischgriechische Grenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein und hielt sich vor seiner Weiterreise nach Österreich mehrere Jahre in Griechenland auf, wo er auch um Asyl ansuchte. Im August 2007 gelangte er in das Bundesgebiet und beantragte internationalen Schutz.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Für seine Prüfung erklärte sie gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung Griechenland für zuständig und sie wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 dorthin aus. Demzufolge sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe vor seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Griechenland um Asyl angesucht. Griechenland habe seiner Wiederaufnahme auch zugestimmt. Demnach sei gemäß Art. 13 Dublin-Verordnung von der Zuständigkeit Griechenlands zur Prüfung des Asylantrages auszugehen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die österreichischen Behörden lägen nicht vor. Wenn der Beschwerdeführer geltend mache, die erste Instanz habe keine Einzelfallprüfung vorgenommen, ob er in Griechenland tatsächlich sicher wäre, sei festzustellen, dass sich die erstinstanzliche Behörde ausführlich mit der griechischen Rechtslage und - praxis auseinandergesetzt habe. Im Übrigen hätten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union kraft Gemeinschaftsrechts nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin-Verordnung erfolgt sei. Eine derartige Überprüfung sei durch die Organe der Europäischen Union erfolgt und bestehe insofern eine Bindung an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Zum Berufungsvorbringen, der Beschwerdeführer sei in Griechenland nicht ausreichend versorgt, von Sicherheitskräften misshandelt bzw. von Privatpersonen bedroht worden, verweise die belangte Behörde auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid. Ferner sei festzustellen, dass es sich bei etwaigen Misshandlungen durch Sicherheitskräfte um Gewaltexzesse einzelner Organe handle, die in jedem Land möglich seien. Der Beschwerdeführer habe diese jedoch in keinem Zeitpunkt des Verfahrens glaubhaft machen können und stattdessen lediglich nicht nachvollziehbare Behauptungen vorgebracht.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde als "völlig unbegründet abzuweisen".
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde macht geltend, die belangte Behörde schließe eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung des Beschwerdeführers bei Überstellung nach Griechenland generell aus, ohne gegenteilige Aussagen des Beschwerdeführers zu berücksichtigen und ohne diesbezüglich ausreichende Recherchen angestellt zu haben. Solche hätten "schockierende Ergebnisse" im Zusammenhang mit der Abschiebung von Flüchtlingen nach Griechenland hervorgebracht. Regelmäßig komme es gegenüber Flüchtlingen zu menschenrechtsverletzenden Übergriffen durch die griechischen Behörden. Auch die belangte Behörde habe in ähnlich gelagerten Fällen festgestellt, dass das einschlägige Gemeinschaftsrecht in Griechenland nicht umgesetzt sei und auf eine Verletzung von Art. 3 EMRK bei Überstellung dorthin erkannt.
2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde - zumindest im Ergebnis - eine unrichtige rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides auf.
2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 (in der im vorliegenden Fall noch maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 100/2005) ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.
Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist gemäß § 5 Abs. 3 AsylG 2005 davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
2.2. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die griechischen Asylbehörden nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin-Verordnung das Asylverfahren des Beschwerdeführers führen müssten. Zu klären bleibt lediglich, ob Österreich auf Grund einer dem Beschwerdeführer bei Überstellung nach Griechenland drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch hätte machen müssen.
2.3. Eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte könnte einem Asylwerber dadurch drohen, dass er bei Überstellung nach Griechenland trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt wäre (Kettenabschiebung; vgl. etwa Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 25. April 2006, Zl. 2006/19/0673, mwN), dass er dort (schutzlos) körperlichen Misshandlungen insbesondere durch Sicherheitskräfte ausgesetzt wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006, Zl. 2005/01/0317) oder dass ihm Unterkunft und Versorgung nicht (rechtzeitig) zur Verfügung gestellt würde und er deshalb keine Lebensgrundlage vorfindet (vgl. dazu allgemein etwa das hg. Erkenntnis vom 6. November 2009, Zl. 2008/19/0174, und im Besonderen zur Lage in Griechenland jüngst das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2010, U 694/10).
3. Die belangte Behörde hielt der Behauptung des Beschwerdeführer, in Griechenland einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein, zunächst entgegen, aufgrund des Gemeinschaftsrechts (nun: Unionsrechtes) keine Überprüfung der Sicherheitslage in Griechenland vornehmen zu müssen und zu dürfen. Dem ist nur insoweit zuzustimmen, als § 5 Abs. 3 AsylG 2005 eine Beweisregel enthält, die es - im Hinblick auf die vom Rat der Europäischen Union vorgenommene normative Vergewisserung - grundsätzlich nicht notwendig macht, die Sicherheit des Asylwerbers vor "Verfolgung" in dem nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat (insbesondere gemeint im Sinne der Achtung der Grundsätze des Non-Refoulements durch diesen Staat) von Amts wegen in Zweifel zu ziehen. Die damit aufgestellte Sicherheitsvermutung ist jedoch widerlegt, wenn besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in diesem Mitgliedstaat sprechen.
Bei Vorliegen "offenkundiger Gründe" ist eine Mitwirkung des Asylwerbers zur Widerlegung der im § 5 Abs. 3 AsylG 2005 implizit aufgestellten Vermutung nicht erforderlich. Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu ist es erforderlich, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist.
Hat der Asylwerber die oben angesprochenen besonderen Gründe glaubhaft gemacht, ist die dem § 5 Abs. 3 AsylG 2005 immanente Vermutung der im zuständigen Mitgliedstaat gegebenen Sicherheit vor Verfolgung widerlegt. In diesem Fall sind die Asylbehörden gehalten, allenfalls erforderliche weitere Erhebungen (auch) von Amts wegen durchzuführen, um die Prognose, der Asylwerber werde bei einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat der realen Gefahr ("real risk") einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein, erstellen zu können. Diese Ermittlungspflicht ergibt sich aus § 18 AsylG 2005, die insoweit von § 5 Abs. 3 AsylG 2005 unberührt bleibt (vgl. dazu grundlegend das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2007, Zl. 2006/01/0949, mwN; ihm folgend etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 2009, Zl. 2006/20/0237, vom 12. Dezember 2007, Zl. 2006/19/1022, und vom 21. Juni 2010, Zl. 2008/19/0163).
4. Die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich im Wesentlichen in einem Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid.
In diesem wurde zum Vorbringen des Beschwerdeführers, in Griechenland nicht ausreichend versorgt worden zu sein, festgehalten, dass sich aus den Länderfeststellungen Gegenteiliges ergebe. Seine Behauptung, Sicherheitskräfte hätten ihn misshandelt, sei "äußerst vage" gewesen. Soweit er befürchte, im Falle der Rücküberstellung nach Griechenland kein Asyl zu erhalten, weil er dort bereits einen negativen Bescheid über einen Asylantrag erhalten habe, sei anzumerken, dass die österreichischen Behörden keine hypothetischen Überlegungen über den möglichen Ausgang eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen hätten. Im Übrigen sei das vom Beschwerdeführer angestrengte Asylverfahren in Griechenland noch nicht abgeschlossen. Zu seinem weiteren Vorbringen, Griechenland auch deshalb verlassen zu haben, weil sich dort Feinde seines Vaters aufhielten (die den Beschwerdeführer mit dem Umbringen bedroht hätten) sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch diesbezüglich ungenaue Angaben gemacht habe. Er habe weder den Namen der Verfolger noch das genaue Datum, zu dem die Drohung ausgestoßen worden sein soll, angeben können.
Dem trat der Beschwerdeführer in seiner Berufung entgegen. Zu seiner Einreise nach Griechenland und seinen dortigen Erlebnissen führte er wörtlich aus (Schreibfehler im Original):
"Mit Hilfe eines Schleppers gelangte ich mit einem Schlauchboot nach Mytilini, ohne von der griechischen Küstenwache erwischt zu werden. Ich wollte am Schalter ein Ticket für die Fähre nach Athen kaufen. Ich wurde nach meinem Pass gefragt und als ich keinen vorweisen konnte (ich war 16 Jahre und hatte immer noch keine Dokumente) wurde mir das Ticket verweigert. Da ich nicht wusste wohin, ging ich zur Polizei, sagte, dass ich aus Afghanistan sei und Asyl brauche. Die Polizisten lachten mich aus und sagten, ich solle verschwinden. Ich habe dann in einem Park auf einem Karton geschlafen. Am nächsten Tag bin ich zur Tourismuspolizei gegangen und gesagt, dass ich nirgends wohin könne. Die Polizisten haben ein Polizeiauto gerufen und mich auf die Polizeistation gebracht. Dort geschah aber nichts. Ich verbrachte die Nacht dort, am nächsten Tag wurde ich wieder freigelassen. Die Polizei befahl mir zu verschwinden. Wieder versuchte ich ein Ticket für die Fähre zu bekommen, wieder hat es nicht funktioniert. Ich bin wieder zurück auf die Polizeistation. Als die Polizisten mich gesehen haben, sind sie mit den Schlagstöcken auf mich zugekommen, ich bin weggelaufen. Ich bin wieder zum Ticketschalter. Diesmal war eine Frau dort, die nur nach meinem Namen gefragt und mir dann ein Ticket nach Athen verkauft hat. In Athen bin ich in der früh angekommen. Landsleute, die ebenfalls aus Mytilini nach Athen fuhren sagten mir, ich solle zum 'Alexanderplatz' gehen, dort wären viele Afghanen, es gebe dort auch Zelte. Dort war aber niemand und ich kannte auch niemanden in Athen. Ca. 1 1/2 Monate habe ich in dem Park geschlafen. Dann haben mir Landsleute, die ich inzwischen kennen gelernt hatte, gesagt, wenn ich hier bleiben wolle, müsse ich zur Polizei gehen und dort einen Antrag stellen. Ich bin zu diesem Polizeizentrum gegangen. Dort warten täglich 100 und mehr Menschen, aber niemand kümmert sich um die Flüchtlinge. Ich wollte einen Asylantrag stellen, wurde aber immer wieder von den Polizisten vertrieben. Ich versuchte es viele Male. Zuletzt wurde ein Polizist handgreiflich, er versuchte mich wegzustoßen und als ich mich wehrte, prügelte er mich mit seinem Schlagstock, dass ich kaum mehr gehen konnte. Dann gaben mir Landsleute die Adresse einer iranischen Frau, die mir bei meiner Suche nach Asyl behilflich sein könnte. Ich habe von ihr ein Formular bekommen. Sie schickte mich zur Organisation GCR. Dort gaben sie mir ein Formular von der Organisation, damit sollte ich zur Polizei gehen. Dort wurde ich nach meinen Personalien befragt und habe dann ein Formular bekommen, nach dem ich entweder das Land hätte verlassen oder etwas für mein Asylansuchen tun müssen. Befragung hat es keine gegeben. Mit diesem Papier bin ich zur Organisation GCR zurück, die hat mich dann mit diesem Papier nach Kreta in diese Einrichtung für Minderjährige, namens 'Waisenhaus' nach Anogia geschickt. Dort ist ein Dolmetscher gekommen, der für die Polizei nach meinen Fluchtgründen fragen sollte. Der Dolmetscher ist dann mit mir zur Polizei gegangen und dort musste ich meine Fluchtgründe auf persisch aufschreiben und unterschreiben. Der Polizist hat gesagt, dass das ein Asylantrag sei und das alles nach Athen geschickt werde, ich müsse warten bis der Bescheid komme. Es wurden mir auch Fingerabdrücke abgenommen, dafür musste ich zwei oder drei Tage später nach Rethimnon fahren. Nach ca. 10- 20 Tagen ist per Post die rote Karte gekommen. Nach ungefähr einem Jahr ist mit der Post der negative Bescheid gekommen. Das war nur ein kleines Papier auf dem als Grund für die Abweisung unter anderem angegeben war, dass ich nicht ängstlich genug ausgesehen hätte. Aber es hat überhaupt keine Befragung gegeben, derjenige, der entschieden hatte, hatte mich überhaupt nie gesehen. Wie konnte er dann meinen Gesichtsausdruck beurteilen und den als Abweisungsgrund anführen?
Der Dolmetscher übersetzte mir den Bescheid und informierte mich von der Möglichkeit einer Berufung. Diese Berufung ist dann von der Sekretärin des GCR gemacht worden, ich musste nur unterschreiben.
Mit meiner Volljährigkeit musste ich die Einrichtung für Minderjährige verlassen. Ich ging nach Athen, weil ich hoffte, dort eher Lebensmöglichkeiten finden zu können, während ich auf meinen Bescheid warten musste. Die rote Karte musste nach sechs Monate immer wieder verlängert werden. Im 'Waisenhaus' ist das von der Leitung gemacht worden. In Athen musste ich mich selbst darum kümmern. In dem Polizeizentrum wo man um die Verlängerung ansuchen musste, waren immer sehr viele Menschen, die auch auf ihre Verlängerung warteten. Wenn man die Frist versäumte, gab es Probleme. Die Polizeibeamten dort waren sehr unfreundlich, sie beschimpften und verspotteten mich, wenn ich mich beschweren wollte, bekam ich Prügel. Ich begann die Polizei mehr zu fürchten, als dass ich mir von ihr Hilfe erwartete.
Ich bekam Unterkunft in dem Haus eines Afghanen, der wieder nur an seine Landsleute vermietete. Dieses Haus ist nicht irgendein Hotel sondern bekannt als Treffpunkt afghanischer Flüchtlinge. Daher war es dann auch für M. A. S., den Bruder des von meinem Ziehvater - wie ich glaubte - nur verletzten Sohn des Onkels (möglich,( mich in diesem Haus auszuforschen. Er behauptete, sein Bruder sei von meinem Ziehvater getötet worden und da dieser nicht auffindbar war, müsse ich an seiner Stelle dafür bezahlen. Es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der ich wegzulaufen versuchte, aber von dem 'Cousins' festgehalten und mit dem Tod bedroht wurde. Landsleute kamen mir zur Hilfe und ich konnte weglaufen. Ich hatte Angst, denn ich kenne das bei uns immer noch herrschende Gesetz der Blutrache und war überzeugt, dass M. S. seine Drohung wahrmachen würde. Nach meinen Erfahrungen mit der griechischen Polizei hatte ich aber auch vor ihr zu große Angst und außerdem auch keine Hoffnung auf Hilfe. Ich hatte auch nichts womit ich meine Bedrohung hätte nachweisen können.
Ich konnte bei verschiedenen Freunden sofort untertauchen, die mich auch über den jeweiligen Aufenthalt meines 'Cousins' informierten, bis ich jemanden gefunden hatte, der mich außer Landes in Sicherheit brachte.
...
Ich kann weder nach Griechenland zurück - nach der ohne eingehende Befragung erfolgten negativen Entscheidung hätte ich keine Chance auf eine faire Erledigung meines Asylverfahrens. Ich habe Angst, dass ich, wie ich von vielen meiner asylsuchenden Landsleute erfahren bzw. es auch selbst gesehen habe in Haft genommen und in eines dieser berüchtigten Abschiebelager kommen werde.
Ebenso wenig kann ich aber auch zurück nach Afghanistan, da eine solche Blutrachedrohung bei uns sehr ernst zu nehmen ist."
Im Folgenden zitierte der Beschwerdeführer in seiner Berufung Berichte von Amnesty International, "OMTC", "Pro Asyl Deutschland" und des "Europaparlaments" aus dem Jahr 2007 zum Beleg der menschenrechtswidrigen Behandlung von Asylwerbern in Griechenland.
Bei dieser Sachlage greift die Begründung der belangten Behörde, das Bundesasylamt habe sich ausführlich mit der griechischen Rechtslage und - praxis auseinandergesetzt, während der Beschwerdeführer lediglich "nicht nachvollziehbare Behauptungen" (über seine Behandlung in Griechenland) vorgebracht habe, zu kurz.
Der Beschwerdeführer hat jedenfalls in seiner Berufung ein ausführliches und detailliertes Vorbringen erstattet, das in einem aufzuklärenden Spannungsverhältnis zu den erstinstanzlichen Länderfeststellungen über die griechische Asylrechtslage und - praxis steht. Dass dieses Vorbringen wegen Verstoßes gegen das Neuerungsverbot unbeachtlich sei (§ 40 AsylG 2005), wurde von der belangten Behörde nicht dargelegt. Ausgehend davon lässt sich aber die Einschätzung der erstinstanzlichen Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Erlebnissen in Griechenland sei zu vage gewesen, nicht mehr aufrecht erhalten. Dementsprechend hätte sich die belangte Behörde auch nicht mit einem Verweis auf die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung begnügen dürfen, sondern sie hätte selbständig beurteilen müssen, ob das (detaillierte und substantiierte) Vorbringen des Beschwerdeführers glaubhaft ist. Erst auf dieser Grundlage wäre - unter Berücksichtigung der Berichtslage über die Verhältnisse in Griechenland - zu beurteilen gewesen, ob besondere Gründe vorliegen, die die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegen.
Derartige Überlegungen hat die belangte Behörde auch ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, wonach an der Sicherheit eines Mitgliedstaats der EU generell nicht zu zweifeln sei, nicht angestellt.
Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 19. November 2010
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)