Normen
AsylG 1997 §10 Abs5;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §10 Abs5;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Die hinsichtlich ihres Spruchpunktes 1. angefochtenen Bescheide werden in diesem Umfang hinsichtlich der erst- und der zweitbeschwerdeführenden Partei wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich der dritt- bis sechstbeschwerdeführenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 6.638,40, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin; sie sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer. Alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reisten - mit Ausnahme des in Österreich geborenen Sechstbeschwerdeführers - im Juli 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragten am 4. Juli 2005 (zweit- bis fünftbeschwerdeführende Parteien), 16. Juli 2005 (Erstbeschwerdeführer) bzw. 29. August 2005 (Sechstbeschwerdeführer) Asyl.
Zu den Fluchtgründen gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt an, sie hätten bis August 2004 in Grosny gewohnt. Der Erstbeschwerdeführer habe Anfang 2000 28 bewaffneten Widerstandskämpfern geholfen, sei deswegen von Nachbarn verraten worden und habe daraufhin seinen Vornamen geändert. Er sei einvernommen worden, es gebe aber "nichts Offizielles". Im August 2004 seien russisch sprechende, maskierte Männer in schwarzer Uniform in die Wohnung gekommen, hätten ihn "nach Namen gefragt" sowie Geld gewollt und USD 10.000,-
sowie den Goldschmuck erhalten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei dabei mit einem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen worden. Der Erstbeschwerdeführer sei von den unbekannten Männern mitgenommen, in einem dunklen Raum befragt, gefoltert und misshandelt worden, wodurch er auch einen Fußbruch erlitten habe, und am zweiten Tag auf einer Mülldeponie ausgesetzt worden. Ihm sei aufgetragen worden, beim nächsten Mal noch mehr zu bezahlen, weil sonst die Familie umgebracht werde. Nach einem Kurzaufenthalt in Inguschetien seien die beschwerdeführenden Parteien im November 2004 ausgereist. Die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer bezogen sich auf die Fluchtgründe ihrer Eltern.
In den am 22. Juli 2005 beim Bundesasylamt eingelangten ärztlichen Stellungnahmen von Dr. Gerlinde Mairinger verneinte diese sowohl beim Erstbeschwerdeführer als auch bei der Zweitbeschwerdeführerin eine krankheitswertige psychische Störung, die sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit daran hindere, ihre Interessen im Verfahren wahrzunehmen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheiden jeweils vom 22. November 2005 die Asylanträge der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Russland" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus.
Über die dagegen von den beschwerdeführenden Parteien erhobenen Berufungen führte die belangte Behörde eine Berufungsverhandlung durch. Die Zweitbeschwerdeführerin legte in dieser Verhandlung eine ärztliche Bestätigung von Dr. Gerald Ressi vom 25. Oktober 2006 vor, wonach ihr eine ausgeprägte posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert wurde. Nach dem ebenfalls vorgelegten ärztlichen Attest von Dr. Norbert Wind vom 19. Oktober 2006 leide sie an ständig wiederkehrenden Kopfschmerzen. Ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vorbringen gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin an, der Erstbeschwerdeführer sei Anfang 2001 anlässlich einer Säuberungsaktion für drei Tage festgehalten und dabei geschlagen worden. Beim Vorfall im August 2004 sei er von den Männern auch nach Widerstandskämpfern und zur Besorgung von Waffen befragt worden.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.). Gleichzeitig stellte sie fest, dass gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Russland" nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.), und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen (Spruchpunkt 3.).
Begründend führte die belangte Behörde - ohne auf eine allfällige psychische Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin einzugehen - im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien sei nicht glaubwürdig. Die genannten Parteien hätten sich eine "oberflächliche Rahmengeschichte zurechtgelegt". Im Einzelnen führte die belangte Behörde Widersprüche in deren Aussagen zum Überfall Anfang August 2004 hinsichtlich des Öffnens der Türe und zur Übergabe bzw. Wegnahme der USD 10.000,- und des Schmuckes an. Da sie "hinsichtlich der zentral ins Treffen geführten Bedrohungssituation offensichtlich eine Lügengeschichte erzählen" würden, seien auch die übrigen Teile ihres Vorbringens unglaubwürdig.
Ausgehend davon sei den beschwerdeführenden Parteien kein Asyl zu gewähren, zumal auch vor dem Hintergrund der übernommenen (Länder-)Feststellungen in den erstinstanzlichen Bescheiden eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen zu verneinen sei. Ein Refoulement der beschwerdeführenden Parteien sei jedoch - aus näher dargelegten Gründen - unzulässig.
Nur gegen die Abweisung ihrer Asylanträge richten sich die vorliegenden, wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Sämtliche Beschwerden beziehen sich auf das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und rügen die Mangelhaftigkeit der von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang vorgenommenen Beweiswürdigung. Damit sind sie im Ergebnis im Recht.
Vorauszuschicken ist, dass weder die behauptete Verfolgung des Erstbeschwerdeführers im Hinblick auf seine frühere Unterstützung von Widerstandskämpfern noch die aufgrund der geforderten und gezahlten Beträge existenzbedrohende Verfolgung der tschetschenischen Beschwerdeführer durch "russisch sprechende Uniformierte" von vornherein ungeeignet wäre, eine asylrelevante Gefährdung des Erstbeschwerdeführers wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung bzw. der beschwerdeführenden Parteien aus ethnischen Gründen glaubhaft zu machen.
Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen, ohne dass es dem Gerichtshof zukäme, die vorgenommene Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 2009, Zlen. 2007/19/0827 bis 0829, vom 28. Mai 2009, Zlen. 2007/19/1248 bis 1252, jeweils mwN, und zuletzt vom 2. September 2010, Zl. 2008/19/0403).
Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen erweisen sich der erst- und der zweitangefochtene Bescheid als mangelhaft begründet und die Beweiswürdigung als nicht schlüssig.
Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, dass Divergenzen in den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zum Vorfall im August 2004 bestehen. Jedoch blieben die von der Zweitbeschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung vorgelegten ärztlichen Bestätigungen unerwähnt, wonach sie - offenbar abweichend von der im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten ärztlichen Stellungnahme von Dr. Mairinger - an ständig wiederkehrenden Kopfschmerzen und einer ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung leide. Die belangte Behörde hat diesen aktuellen Beweisergebnissen keine Beachtung geschenkt und in ihren beweiswürdigenden Erwägungen den möglichen Einfluss der allfälligen Traumatisierung der Zweitbeschwerdeführerin auf ihr Aussageverhalten nicht berücksichtigt (vgl. zur Relevanz psychischer Probleme für das Aussageverhalten im Allgemeinen etwa die hg. Erkenntnisse vom 28. Juni 2005, Zl. 2005/01/0080, vom 16. April 2009, Zl. 2007/19/1193, und die bereits zitierten hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 2009, Zlen. 2007/19/0827 bis 0829, sowie vom 28. Mai 2009, Zlen. 2007/19/1248 bis 1252). Damit kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die konstatierten Unstimmigkeiten im Aussageverhalten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auf die allfällige psychische Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin zurückzuführen sind.
Aufgrund dieser Ermittlungsmängel zum Vorbringen der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien, dem die Relevanz auch nicht abgesprochen werden kann, waren die erst- und zweitangefochtenen Bescheide in ihrem jeweiligen Spruchpunkt 1. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 10 Abs. 5 AsylG auch auf die Verfahren der Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer durch. Die sie betreffenden Bescheide der belangten Behörde waren daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 7. Oktober 2010
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