VwGH 2009/16/0112

VwGH2009/16/01125.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Bayer LL.M., über die Beschwerde des Dipl.- Ing. G Z in Graz, vertreten durch die Möstl & Pfeiffer Steuerberatungs GmbH in 8010 Graz, Villefortgasse 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 1. Februar 2006, GZ. RV/0458-G/05, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum vom 1. November 2002 bis zum 30. September 2004, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §2 Abs1 litb;
StudFG 1992 §17 Abs2 Z2;
FamLAG 1967 §2 Abs1 litb;
StudFG 1992 §17 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.286,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am 20. August 1982 geborene Tochter des Beschwerdeführers studierte ab dem Wintersemester 2000/2001 an der Akademie für den physiotherapeutischen Dienst am Landeskrankenhaus Graz. Mit Erklärung vom 31. Oktober 2002 trat sie aus der Akademie aus und brach dieses Studium ab. Ab 30. Oktober 2002 war sie an der Karl-Franzens-Universität Graz im Bakkalaureatsstudium Betriebswirtschaft gemeldet.

Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 forderte das Finanzamt vom Beschwerdeführer für dessen Tochter bezogene Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum November 2002 bis September 2004 im Gesamtbetrag von 5.254,70 EUR zurück. Die Tochter des Beschwerdeführers habe ihr Studium an der Akademie für den physiotherapeutischen Dienst mit 31. Oktober 2002, somit nach dem dritten inskribierten Semester abgebrochen und an die Karl-Franzens-Universität zur Studienrichtung Bakkalaureat Betriebswirtschaft gewechselt. Deshalb stünden dem Beschwerdeführer Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den in Rede stehenden Zeitraum nicht zu.

Dagegen berief der Beschwerdeführer mit der Begründung, der Abbruch des Studiums seiner Tochter an der Akademie für den physiotherapeutischen Dienst sei aus "rein gesundheitlichen Gründen" erfolgt. Er führte eine "Chronologie des Krankheitsverlaufes" an:

"Ende August 2001 traten bei meiner Tochter permanente Kopfschmerzen mit erhöhter Temperatur auf. Darauf erfolgte der Besuch beim Hausarzt. Diagnose des Arztes: Verdacht auf Hirnhautentzündung, (weiterer Verdacht des Arztes Gehirntumor)

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 2 Abs. 1 FLAG in der für den Beschwerdefall maßgebenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 23/1999 lautet auszugsweise:

"§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

...

b) für volljährige Kinder, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein

Semester zugerechnet werden. ... Bei einem Studienwechsel gelten

die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. ..."

Der mit "Studienwechsel" überschriebene § 17 StudFG idF des BG BGBl. I Nr. 76/2000 lautet auszugsweise:

"§ 17. (1) Ein günstiger Studienerfolg liegt nicht vor, wenn der Studierende

  1. 1. das Studium öfter als zweimal gewechselt hat oder
  2. 2. das Studium nach dem jeweils dritten inskribierten Semester (nach dem zweitenAusbildungsjahr) gewechselt hat oder

    3. nach einem Studienwechsel aus dem vorhergehenden Studium keinen günstigen Studienerfolg nachgewiesen hat, bis zum Nachweis eines günstigen Studienerfolges aus dem neuen Studium.

(2) Nicht als Studienwechsel im Sinne des Abs. 1 gelten:

1. Studienwechsel, bei welchen die gesamten Vorstudienzeiten für die Anspruchsdauer des nunmehr betriebenen Studiums berücksichtigt werden, weil sie dem nunmehr betriebenen Studium auf Grund der besuchten Lehrveranstaltungen und absolvierten Prüfungen nach Inhalt und Umfang der Anforderungen gleichwertig sind,

2. Studienwechsel, die durch ein unabwendbares Ereignis ohne Verschulden des Studierenden zwingend herbeigeführt wurden,

3. Studienwechsel, die unmittelbar nach Absolvierung der Reifeprüfung einer höheren Schule erfolgen, wenn ...

4. die Aufnahme eines Doktoratsstudiums gemäß § 15 Abs. 3.

(3) ...

(4) Ein Studienwechsel im Sinne des Abs. 1 Z 2 ist nicht mehr zu beachten, wenn der Studierende in dem nunmehr gewählten Studium so viele Semester wie in den vor dem Studienwechsel betriebenen Studien zurückgelegt hat."

Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Einem Steuerpflichtigen, dem auf Grund des FLAG Familienbeihilfe gewährt wird, steht gemäß § 33 Abs. 4 Z 3 lit. a EStG 1988 in der für den Beschwerdefall maßgebenden Fassung des Euro-Steuerumstellungsgesetzes - EuroStUG 2001, BGBl. I Nr. 59/2001, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 50,90 EUR für jedes Kind zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen ist nach dieser Bestimmung § 26 FLAG anzuwenden.

Die belangte Behörde sah im vorliegenden Studienwechsel der Tochter des Beschwerdeführers vom Studium an der Akademie für den physiotherapeutischen Dienst am Landeskrankenhaus Graz zum Bakkalaureatsstudium der Betriebswirtschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz einen für die Gewährung des Familienbeihilfenanspruchs schädlichen Studienwechsel, weil er nach dem zweiten Ausbildungsjahr erfolgt sei (§ 17 Abs. 1 Z 2 StudFG).

Demgegenüber ist das Vorbringen des Beschwerdeführers dahin gerichtet, der in Rede stehende Studienwechsel gelte nicht als Studienwechsel im Sinne des § 17 Abs. 1 StudFG, weil er durch ein unabwendbares Ereignis ohne Verschulden des Studierenden zwingend herbeigeführt worden sei (§ 17 Abs. 2 Z 2 leg. cit.).

Eine Erkrankung kann ein unabwendbares Ereignis darstellen, welches ohne Verschulden des Studierenden einen Studienwechsel zwingend herbeiführen kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 2. September 1998, 97/12/0371, und vom 27. Februar 2006, 2005/10/0071).

Strittig ist im Beschwerdefall, ob der verwirklichte Sachverhalt das Tatbestandsmerkmal des § 17 Abs. 2 Z 2 StudFG erfüllt und der Studienwechsel durch die Krankheit der Tochter des Beschwerdeführers zwingend herbeigeführt wurde.

Der Beschwerdeführer hat dazu in der Berufung den Krankheitsverlauf seiner Tochter aus seiner Sicht dargestellt und im Vorlageantrag ausdrücklich ins Treffen geführt, seine Tochter sei "krankheitsbedingt sogar zur Wahl einer anderen Ausbildung gezwungen" worden. Dazu hat er im weiteren Verwaltungsverfahren neben einer Bestätigung der entschuldigten Fehlstunden seiner Tochter und der Krankenstandsbestätigungen den erwähnten Arztbrief eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 19. September 2001 sowie eine "ärztliche Bestätigung" einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 11. August 2005 vorgelegt.

Die belangte Behörde erachtet als "Nachweis für eine krankheitsbedingte vollständige Studienbehinderung" eine "schlüssige ärztliche Bestätigung" für notwendig. Diese "Voraussetzung" treffe im Beschwerdefall nicht zu und werde auch vom Direktor der Akademie für den physiotherapeutischen Dienst nicht bestätigt. Dieser habe in einem Telephonat (zu ergänzen: mit dem Referenten der belangten Behörde) vom 11. Jänner 2006 vielmehr angegeben, dass die Anzahl der Fehlstunden (der Tochter des Beschwerdeführers) nicht ausreichten, um eine Wiederholung der Klasse zu rechtfertigen.

Soweit sich die belangte Behörde auf "Durchführungsrichtlinien zum Familienlastenausgleichsgesetz 1967" stützt, ist festzuhalten, dass Erlässe eines Bundesministers, wie die erwähnten "Durchführungsrichtlinien" keine die belangte Behörde oder den Verwaltungsgerichtshof bindende Rechtsquellen darstellen.

Mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Unterlagen und dem vom Beschwerdeführer geschilderten Krankheitsverlauf seiner Tochter setzte sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in keiner Weise auseinander. Aus der Anzahl von Fehlstunden allein abgeleitete Ausführungen über eine Wiederholbarkeit eines Ausbildungsjahres ersetzen nicht - allenfalls unter Inanspruchnahme der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers zu treffende - Feststellungen über Art und Schwere der Krankheit und dadurch hervorgerufene Beeinträchtigungen, auf Grund derer die Tochter des Beschwerdeführers allenfalls zu einem Studienwechsel gezwungen gewesen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am 5. November 2009

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