VwGH 2008/22/0612

VwGH2008/22/061218.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Niederösterreich vom 1. September 2006, Zl. Fr-2407/05, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art31 Abs3;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art35;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §85 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2;
NAG 2005 §30 Abs1;
NAG 2005 §54 Abs2 Z1;
NAG 2005 §54 Abs2 Z2;
NAG 2005 §55 Abs1;
NAG 2005 §55;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art31 Abs3;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art35;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §85 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2;
NAG 2005 §30 Abs1;
NAG 2005 §54 Abs2 Z1;
NAG 2005 §54 Abs2 Z2;
NAG 2005 §55 Abs1;
NAG 2005 §55;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 28,70 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist der Sohn des Naip L, dessen Beschwerde gegen ein befristetes Aufenthaltsverbot mit hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2008/22/0611, abgewiesen wurde.

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen 1994 geborenen Staatsangehörigen von "Serbien und Montenegro", aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie darauf, dass der Vater des Beschwerdeführers am 2. Juni 2005 mit einer österreichischen Staatsbürgerin zwar die Ehe geschlossen habe, es sich bei dieser Ehe jedoch um eine "Scheinehe" handle. Der Beschwerdeführer verfüge nicht über eine fremden- oder asylrechtliche Aufenthaltsbewilligung, weshalb sein Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG nicht rechtmäßig sei. Der Beschwerdeführer halte sich (mit seinem Vater) seit Anfang April 2005 im Bundesgebiet auf. Die Ausweisung sei zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher zulässig. Gegen seinen Vater sei ein Aufenthaltsverbot erlassen worden und dieser werde gemeinsam mit dem Beschwerdeführer das Bundesgebiet verlassen müssen. Es seien keine Umstände ersichtlich, die für eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechen würden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer ist mit seinem Vater eingereist, der eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet hat. Bei dieser Ehe handelt es sich um eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie § 60 Abs. 2 Z 9 FPG (vgl. das den Vater des Beschwerdeführers betreffende bereits zitierte hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2008/22/0611). Für den Beschwerdeführer wurde weder ein Aufenthaltstitel noch eine Dokumentation eines gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts ausgestellt.

2. Die §§ 85 Abs. 1, 86 Abs. 2 und 87 FPG lauten:

"§ 85. (1) Begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 4 Z 11) haben das Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von drei Monaten, unterliegen aber der Sichtvermerkspflicht. § 21 Abs. 8 gilt. Darüber hinaus besteht ein Aufenthaltsrecht nach Maßgabe des 4. Hauptstückes des 2. Teiles des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes. Inhaber von Daueraufenthaltskarten (§ 54 NAG) sind zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt.

§ 86. (2) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige sind dann auszuweisen, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 1 NAG das Niederlassungsrecht fehlt.

§ 87. Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z 12) unterliegen der Sichtvermerkspflicht. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86."

§ 55 Abs. 1 NAG, auf den § 86 Abs. 2 verweist, ordnet an:

"§ 55. (1) Besteht das gemäß §§ 51, 52 und 54 dokumentierte Niederlassungsrecht nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit vorliegt oder weil die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden, hat die Behörde den Antragsteller vom Nichtvorliegen der Voraussetzungen schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass die Fremdenpolizeibehörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Die Fremdenpolizeibehörde ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller zu befassen."

Im Sinn dieser Bestimmung fordert etwa § 54 Abs. 2 Z 1 NAG vom drittstaatszugehörigen Ehepartner eines EWR-Bürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nimmt, den urkundlichen Nachweis des Bestehens der Ehe bzw. § 54 Abs. 2 Z 2 leg. cit. vom drittstaatszugehörigen Kind den urkundlichen Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung.

Eine gemeinschaftsrechtliche Betrachtung zeigt, dass Art. 27 Abs. 1 der (Freizügigkeits-)RL 2004/38/EG die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit beschränkt und in Art. 35 den Mitgliedstaaten ausdrücklich die erforderlichen Maßnahmen gegen Rechtsmissbrauch oder Betrug (in Form von Scheinehen) zugestanden werden.

Es begegnet somit keinen rechtlichen Bedenken, wenn - unter Einhaltung der gemeinschaftsrechtlich geforderten Verfahrensgarantien - gegen den begünstigten Drittstaatsangehörigen, der seine Stellung durch Rechtsmissbrauch erlangt hat, mit einem Aufenthaltsverbot - vorbehaltlich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 31 Abs. 3 der RL bzw. einer Interessenabwägung nach § 66 FPG - vorgegangen wird.

3. Das Gemeinschaftsrecht hindert aber auch nicht eine (bloße) Ausweisung, die darauf gestützt werden kann, dass die Voraussetzung für den Rechtserwerb, nämlich die ordnungsgemäße und nicht rechtsmissbräuchlich begründete Angehörigeneigenschaft, nicht gegeben ist. Eine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung kann nämlich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht durch Täuschungshandlungen erlangt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, 2006/21/0334, mwH).

Dabei spielt es keine Rolle, ob als anzuwendende innerstaatliche Norm § 53 Abs. 1 und/oder § 86 Abs. 2 FPG zitiert wird, normiert doch § 86 Abs. 2 FPG in diesem Zusammenhang keinen eigenen Ausweisungstatbestand (vgl. Bichl/Schmid/Szymanski, Das neue Recht der Arbeitsmigration, § 55 NAG/K 1).

4. Ist dem Fremden - wie dem Beschwerdeführer - keine eigene Missbrauchshandlung vorzuwerfen, ist ihm die Gefährdung der öffentlichen Ordnung nicht zurechenbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0908). In diesem Sinn stellt auch Art. 27 Abs. 2 der genannten RL ausschließlich auf das persönliche Verhalten ab.

Aus dem zu Pkt. 3. Gesagten folgt jedoch, dass - gestützt auf die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes - mit einer Ausweisung auch gegen einen Fremden vorgegangen werden darf, dem nicht selbst eine Missbrauchshandlung vorgeworfen werden kann, sondern der sein Recht seinerseits bloß aus einer (wenn auch nicht von ihm angestrebten) missbräuchlich erlangten Angehörigeneigenschaft abzuleiten sucht. Diesfalls fehlt das Niederlassungsrecht nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung (erste Alternative des § 55 Abs. 1 NAG), sondern (im Sinn der zweiten Alternative der genannten Norm) schon mangels der dafür erforderlichen Voraussetzungen. Somit besteht dann aber auch kein Aufenthaltsrecht nach § 85 Abs. 1 3. Satz FPG.

5. Unstrittig hat die österreichische Ehefrau des Vaters des Beschwerdeführers ihr Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen.

§ 57 NAG ("Die Bestimmungen der §§ 51 bis 56 finden auch auf Schweizer Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, und deren Angehörige sowie auf Angehörige von Österreichern, sofern diese ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, Anwendung.") nimmt seinem Wortlaut nach in den meisten Fällen Angehörige von Österreichern - weil diese ihr Recht auf Freizügigkeit im Regelfall nicht in Anspruch genommen haben - aus dem Regime der §§ 51 bis 56 NAG - das ein gesetzlich angeordnetes Aufenthaltsrecht vorsieht - aus.

Ob der Verfassungsgerichtshof den dazu im hg. Beschluss vom 2. Oktober 2008, 2008/18/0507, aufgezeigten Bedenken in Richtung einer (unzulässigen) Schlechterstellung drittstaatszugehöriger Angehöriger von österreichischen Staatsbürgern folgt, kann jedoch für Konstellationen wie der vorliegenden dahingestellt bleiben, wäre nach dem Gesagten doch eine Ausweisung gegen den Beschwerdeführer auch unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich zulässig.

Die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer halte sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, begegnet sohin selbst mit Blick auf § 85 Abs. 1 3. Satz FPG keinen Bedenken. Dass aus sonstigen Gründen ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinn des § 31 Abs. 1 FPG vorliegen würde, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet und ist auch nicht erkennbar.

6. Letztlich ist die Beurteilung der belangten Behörde, dass die Ausweisung nach § 66 FPG dringend geboten sei, nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer befindet sich wie sein Vater erst seit kurzer Zeit in Österreich, kann sich nicht auf ein Familienleben mit seiner österreichischen Stiefmutter berufen, und es wurde über seinen Vater rechtskräftig ein Aufenthaltsverbot verhängt. Somit schlägt auch in seinem Fall das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber seinen persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich durch.

7. Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Demnach hat der Beschwerdeführer die Hälfte des Aufwandes für die (auch zum Verfahren 2008/22/0611 erfolgte) Aktenvorlage zu ersetzen.

Wien, am 18. Juni 2009

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