VwGH 2008/22/0908

VwGH2008/22/09083.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der I, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 17. Oktober 2008, Zl. 151.107/4- III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer irakischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin strebe die Familienzusammenführung zu ihrem in Österreich lebenden Ehemann an. Es sei daher "der Nachweis eines gesicherten und regelmäßigen Familieneinkommens auch von (i)hrem Ehegatten zu erbringen". Aus dem Verwaltungsakt gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin "mit Urkundenvorlage vom 06.12.2007" eine den Ehemann betreffende Einkommensbestätigung vom 2. November 2007 "des Zeitschriftenhandels E" mit Sitz in Wien vorgelegt habe. Weiters sei eine "Nettolohnbestätigung der Firma 'V' vorgelegt" worden. Im Ermittlungsverfahren sei festgestellt worden, dass E als Inhaber des gleichnamigen Zeitschriftenhandels bereits im April 2006 verstorben und das Unternehmen mit seinem Tode geschlossen worden sei. Es stehe somit "eindeutig fest, dass die nach dem Tode des Firmeninhabers ausgestellte Einkommensbestätigung als falsches Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zu werten" sei. Die Beschwerdeführerin habe versucht, "unter Verwendung einer falschen Einkommensbestätigung als Beweismittel im aufenthaltsrechtlichen Verfahren" einen Aufenthaltstitel erteilt zu bekommen.

Dabei handle es sich - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung - um einen schwerwiegenden Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Normen, die eine geordnete Einwanderung zum Ziel hätten. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet würde somit zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung führen. Die Täuschungshandlung zum Ausmaß des Einkommens des Ehemannes zeige, dass die Beschwerdeführerin nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten. "Diese Tatsache" stelle "- insbesondere wegen der negativen Beispielswirkung auf andere Fremde - jedenfalls eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar". Somit würde der Aufenthalt der Beschwerdeführerin dem öffentlichen Interesse nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG widerstreiten; sie erfülle die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht. Die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK habe ergeben, dass infolge ihres in Österreich niedergelassenen Ehemannes "durchaus private Interessen an einem Aufenthalt in der Republik Österreich" bestünden. Dennoch müsse den öffentlichen Interessen gegenüber ihren privaten Interessen der Vorrang eingeräumt werden, weil auf Grund der Vorlage falscher Beweismittel keine Bereitschaft zu erkennen sei, die Rechtsordnung des beabsichtigten Staates des Aufenthalts zu respektieren. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sei höher zu bewerten als die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an der Einwanderung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin bringt vor, nicht sie, sondern ihr Ehemann habe der erstinstanzlichen Behörde ohne ihr Wissen allfällige unrichtige Bestätigungen vorgelegt. In diesem Zusammenhang denkbare Täuschungshandlungen könnten nicht ihr, sondern nur ihrem Ehemann angelastet werden. Sie selbst habe die vorgelegten Dokumente "nie zu Gesicht bekommen" und könne darüber hinaus Deutsch weder schreiben noch lesen. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die belangte Behörde stützte die von ihr ausgesprochene Antragsabweisung ausschließlich auf § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG. Diese Bestimmung (samt Überschrift) in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 lautet:

"Allgemeine Voraussetzungen

für einen Aufenthaltstitel

§ 11.

...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

...

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

..."

Die belangte Behörde ging davon aus, dass bei der Beurteilung, ob der Aufenthalt der Beschwerdeführerin die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde (§ 11 Abs. 4 Z 1 NAG), bereits allein die Tatsache der im Verwaltungsverfahren hervorgekommenen gefälschten Einkommensbestätigung ihres Ehemannes ausreichend wäre.

Dieser Ansicht vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen.

Es trifft zwar zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. September 2008, 2008/21/0371). Es ist der belangten Behörde daher auch darin beizupflichten, dass die Vorlage gefälschter Urkunden durch einen Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt. Bei der Auslegung der unbestimmten Gesetzesbegriffe "sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde" in § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG ist aber eine das Gesamtverhalten eines Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2008, 2006/21/0218). Bei der nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG zu treffenden Prognoseentscheidung ist die Behörde berechtigt, alle einen antragstellenden Fremden betreffenden relevanten Umstände zu berücksichtigen, aber auch verpflichtet, diese einer auf ihn bezogenen Bewertung zu unterziehen. Die Beschwerdeführerin brachte schon im Verwaltungsverfahren vor, die fragliche Einkommensbestätigung sei nicht von ihr, sondern von ihrem Ehemann (einem in Österreich als Flüchtling anerkannten irakischen Staatsangehörigen) ohne ihr Wissen und ohne ihr Zutun vorgelegt worden und der Inhalt der Urkunden sei ihr unbekannt gewesen. Ungeachtet dessen, dass die belangte Behörde berechtigt wäre, im Verwaltungsverfahren den Umstand tatsächlich nicht gegebener Einkommensteile bei Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzung der Unterhaltsmittel zu berücksichtigen, bedarf es dennoch hier weiter gehender Feststellungen, um fallbezogen beurteilen zu können, der Aufenthalt der Beschwerdeführerin würde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit darstellen. Bei Zutreffen ihres Vorbringens, wonach sie um die Fälschungen der Einkommensbestätigungen sowie deren Vorlage im Verwaltungsverfahren nichts gewusst habe, könnte nämlich nicht davon ausgegangen werden, sie hätte ein Verhalten gesetzt, das diese Annahme rechtfertigen würde. Dass aber ein solches nicht von ihr, sondern ausschließlich von ihrem Ehemann gesetztes (Fehl)Verhalten Rückschlüsse auf mangelnde Rechtstreue der Beschwerdeführerin zulassen würde, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht nachzuvollziehen.

Soweit die belangte Behörde in ihrer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gegenschrift einen weiteren Versagungsgrund sowie Begründungselemente dahingehend nachträgt, dass im Hinblick auf das sonstige Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin auch ihre Unterhaltsmittel nicht gesichert wären, so vermag dies eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht mehr zu beseitigen. Die belangte Behörde hat bei der Antragsabweisung nicht (auch) das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel zur Versagung herangezogen. Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof ist aber die Kontrolle des angefochtenen Bescheides in der Form und mit dem Inhalt, wie er an die Parteien des Verwaltungsverfahrens ergangen ist, und nicht unter Zugrundelegung einer in wesentlichen Punkten nachgetragenen Ergänzung der Begründung oder gar eines bisher nicht herangezogenen Versagungsgrundes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2009, 2006/21/0261, mwH).

Indem die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage davon ausging, dass bereits allein die Vorlage gefälschter Unterlagen, selbst wenn dies ohne Wissen und ohne Zutun der Beschwerdeführerin erfolgte, für die Bejahung der nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG anzustellenden Prognose ausreichend wäre und demzufolge auch keine weiteren Erhebungen zum Sachverhalt tätigte (sog. sekundärer Verfahrensmangel), belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er aus diesem - vorrangig wahrzunehmenden - Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Umsatzsteuer abzielende Mehrbegehren war abzuweisen, weil solche im Pauschalsatz der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 bereits enthalten ist.

Wien, am 3. April 2009

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