VwGH 2008/22/0328

VwGH2008/22/032818.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des C, vertreten durch D. Frank Bock, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Spengergasse 1/3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Jänner 2008, Zl. 148.709/5-III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 4. Jänner 2008 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom 23. Dezember 2005 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 3. Dezember 1999 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und am 6. Dezember 1999 unter einem Alias-Namen einen Asylantrag gestellt habe, der am 20. Jänner 2000 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Am 9. Dezember 2004 habe der Beschwerdeführer (wiederum unter jenem Alias-Namen) einen weiteren Asylantrag eingebracht; der Antrag sei "als gegenstandslos eingestellt" worden. In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer unter seinem richtigen Namen am 7. September 2005 und am 20. Februar 2006 wiederum Asylanträge gestellt; auch jene Anträge seien "als gegenstandslos eingestellt" worden. Der Beschwerdeführer halte sich nunmehr unrechtmäßig im Inland auf.

Am 12. Dezember 2005 habe der Beschwerdeführer in Wien eine ukrainische Staatsangehörige geheiratet und in weiterer Folge durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter den gegenständlichen Antrag bei der Erstbehörde eingebracht.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 81 Abs. 1, 21 Abs. 1, 72 Abs. 1 und 74 NAG - im Wesentlichen aus, dass der gegenständliche Antrag nach In-Kraft-Treten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes mit 1. Jänner 2006 (§ 82 Abs. 1 NAG) nunmehr als Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gewertet worden sei. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte der Beschwerdeführer den Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen, weil er keine der in § 21 Abs. 2 NAG für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen erfülle. § 21 Abs. 1 NAG stehe somit einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen.

Als besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG habe der Beschwerdeführer in der Berufung angegeben, dass seine Ehefrau schwer krank sei und er die gesamte Hausarbeit übernehmen müsse; er kümmere sich auch um den Betrieb seiner Ehefrau, fahre diese zum Arzt und hole sie dort auch wieder ab.

Selbst unter Berücksichtigung dieses Umstandes und in Hinblick darauf, dass die Einreise des Beschwerdeführers illegal erfolgt und er allein wegen seines Asylantrages vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen sei, habe die belangte Behörde keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG erkennen können. Eine Inlandsantragstellung werde daher auch nicht gemäß § 74 NAG von Amts wegen zugelassen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 81 Abs. 1 NAG sind Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes (am 1. Jänner 2006; § 82 Abs. 1 NAG) anhängig sind, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handelt und dass keiner der eine Antragstellung im Inland ermöglichenden Tatbestände des § 21 Abs. 2 NAG vorliegt.

Das Recht, die Entscheidung über den gegenständlichen Antrag im Inland abwarten zu dürfen, kommt daher im vorliegenden Fall - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - nur gemäß § 74 NAG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 Abs. 1 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. November 2008, 2008/22/0044, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2008, G 246/07 u.a.).

In Hinblick auf humanitäre Gründe in diesem Sinn bringt die Beschwerde unter anderem vor, dass der Beschwerdeführer selbst an Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und an einer Hepatomegalie (einer krankhaften Vergrößerung der Leber) leide; ein nicht ausreichend behandelter Diabetes mellitus könne innerhalb kurzer Zeit zu schweren Sekundärschäden führen und letztlich auch den Tod des Patienten zur Folge haben. In Nigeria gebe es keinerlei soziale Krankenversicherung; medizinische Betreuung und die Pflege in Krankenhäusern sei von den Patienten selbst zu bezahlen. Die Krankheit des Beschwerdeführers könne in Ländern wie Nigeria letale Folgen haben. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei ebenfalls sehr schwer krank und müsse bereits jetzt immer wieder stationär behandelt werden. Die beiden Ehepartner bedürften der gegenseitigen Unterstützung.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Bereits im Verwaltungsverfahren hatte die Ehefrau des Beschwerdeführers in einem Schreiben vom 16. November 2006 angegeben, der Beschwerdeführer leide an Diabetes mellitus und Hepatomegalie, seine Eltern seien an Diabetes gestorben; in Afrika gebe es "keine Möglichkeiten, diese Krankheit zu beherrschen", weshalb der Beschwerdeführer keine Chance habe, dort zu überleben. Im Verwaltungsverfahren vorgelegte Urkunden bestätigen die angeführten Erkrankungen des Beschwerdeführers.

In einem Ersuchen an die belangte Behörde um Zulassung der Inlandsantragstellung gemäß § 74 iVm § 75 NAG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) vom 11. Jänner 2007 führte die Erstbehörde aus, dass der Beschwerdeführer, um seiner Erkrankung an Diabetes mellitus "Herr zu werden", eine regelmäßige Medikamenteneinnahme benötige; das bedeute für ihn, dass aufgrund von Versorgungsschwierigkeiten bei der Medikamentenbeschaffung im Heimatland "bei einer notwendigen gesetzeskonformen Antragstellung aus dem Ausland" und der damit verbundenen Ausreise eine absolute Gefährdung für sein Leben gegeben sei.

Ungeachtet all dessen hat sich aber die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, der daraus entstandenen familiären Situation auch in Hinblick auf die in der Berufung vorgebrachte Krankheit seiner Ehefrau und mit der Frage des allenfalls möglichen Zugangs zu notwendigen medizinischen Behandlungen auch im Herkunftsland des Beschwerdeführers (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. August 2008, 2008/22/0164, 0165) überhaupt nicht auseinandergesetzt, sodass der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt - nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens in diese Richtung (§§ 37, 39 Abs. 2, 56 iVm § 66 Abs. 1 AVG) - zu ergänzen sein wird.

Da die belangte Behörde bei der gebotenen Befassung mit den angeführten Umständen und unter Zugrundelegung entsprechender Feststellungen zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2000, wobei allerdings das über den Pauschalbetrag des § 1 Z. 1 lit. a der angeführten Verordnung hinausgehende Mehrbegehren für den Schriftsatzaufwand abzuweisen war.

Wien, am 18. Juni 2009

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