VwGH 2007/21/0445

VwGH2007/21/044530.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerden 1. der F, und 2. der T, beide vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 34, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 19. September 2007, Zl. 148.916/3-III/4/07 (ad 1.) und Zl. 148/916/2-III/4/07 (ad 2.), jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beiden Beschwerdeführerinnen sind Schwestern und pakistanische Staatsangehörige. Mit Eingabe je vom 27. Dezember 2004 an die Österreichische Botschaft Islamabad beantragten sie die Erteilung von Niederlassungsbewilligungen zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich wohnhaften Vater Dr. A., einem - mittlerweile - österreichischen Staatsbürger.

Die Niederlassungsverfahren wurden in der Folge von der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen geführt. Mit je an die Beschwerdeführerinnen persönlich adressierten Erledigungen vom 4. Oktober 2006 wies die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen namens des Landeshauptmannes von Niederösterreich deren Anträge schließlich gemäß § 47 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz -NAG ab. Ein Hinweis auf einen Vertreter ist diesen Erledigungen nicht zu entnehmen, sie wurden den Beschwerdeführerinnen jeweils am 15. Jänner 2007 durch die Österreichische Botschaft Islamabad ausgefolgt.

Mit im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben je vom 29. Jänner 2007 teilte Dr. L., Rechtsanwalt in Neunkirchen, der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen unter dem Betreff "NKS 3F-05, (Vater der Beschwerdeführerinnen) Antrag auf Niederlassungsbewilligung für (Erstbeschwerdeführerin), NKS 3F- 05547" bzw. "NKS 3F-05, (Vater der Beschwerdeführerinnen) Antrag auf Niederlassungsbewilligung für (Zweitbeschwerdeführerin) NKS 3F- 05543" Folgendes mit:

"Sehr geehrter Herr L.!

a) Ich verweise auf mein nach wie vor bestehendes Vertretungsverhältnis zu der im Betreff genannten Personen und berufe mich auf die mündlich erteilte Vollmacht gemäß § 10 Abs. 1 AVG.

b) Vorerst ersuche ich Sie um Mitteilung, warum am 15.01.2007 im Wege der Österreichischen Botschaft in Islamabad der Bescheid vom 04.10.2006 auf Abweisung des Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für (jeweilige Beschwerdeführerin) direkt zugestellt wurde, obwohl aktenkundiger Weise einerseits deren Vater Dr. A. als deren Vertreter Ihnen gegenüber auftrat, andererseits ich Ihnen und Herrn D. im Rahmen eines persönlichen Gesprächs am 02.03.2006 gemeinsam mit Dr. A. mein Vollmachtsverhältnis zu dieser Person darlegte. Richtig ist, dass Sie und Herr D. Dr. A. und mir mitteilten, welche Urkunden Sie zur Bearbeitung der Anträge benötigten. Das war auch der Grund, warum ich Ihnen mit Schreiben vom 04.04.2006 und 30.05.2006 entsprechende Informationen weiterleitete, bzw. Urkunden übermittelte. Insbesondere ersuchte ich Sie um Mitteilung, ob Sie mit der Textierung des von Ihnen geforderten 'Sorgerechtsnachweises' einverstanden waren. Da keine Reaktion Ihrerseits erfolgte, wurde letztlich mit Schreiben vom 16.10.2006 diese 'Sorgerechtsnachweiserklärung' der Mutter der vier Kinder vorgelegt.

Es ist mir deshalb nicht verständlich, dass ohne weitere Verständigung der abweisende Bescheid, ohne mir jedoch Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme zu geben und ohne mein Vertretungsverhältnis zu beachten, direkt an (jeweilige Beschwerdeführerin) zugestellt wurde.

Gemäß § 9 Zustellgesetz in der Fassung der Novelle BGBl I 2004/10 sind Schriftstücke dem Zustellbevollmächtigten zuzustellen. Wird irrtümlicherweise ein Schriftstück an den Vollmachtgeber adressiert und zugestellt, ist die Zustellung rechtsunwirksam."

Unter einem wurde einerseits der Antrag auf Zustellung der "Bescheide" vom 4. Oktober 2006 an Dr. L. gestellt und andererseits erklärt, "in eventu" gegen diese "Bescheide" - die sodann näher ausgeführte - Berufung zu erheben.

Am 30. Jänner 2007 übermittelte die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen hierauf - so der Text des Begleitschreibens - "die ha. Bescheide vom 4.10.2006" an Dr. L. Dieser reagierte mit Eingaben vom 31. Jänner 2007, in denen er festhielt, "dass es sich diesbezüglich lediglich um eine Fotokopie handelt, auf der sogar das Wort 'Entwurf' vermerkt ist. Ich sehe diese Entwurfskopie natürlich nicht als ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides an". Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht werde allerdings nochmals gegen die Erledigungen vom 4. Oktober 2006 Berufung erhoben.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG ab. Das begründete die belangte Behörde im Ergebnis jeweils damit, dass die Einkünfte des Vaters der Beschwerdeführerinnen nicht ausreichten, den Unterhalt für zwei erwachsene Personen zu finanzieren.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Die Beschwerdeführerinnen bringen zutreffend vor, dass sich die belangte Behörde mit dem schon im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Mangel der Zustellung der erstinstanzlichen Erledigungen nicht auseinander gesetzt hat. Hiezu wäre sie indes verpflichtet gewesen, weil am Boden des dazu in den Schriftsätzen vom 29. Jänner und vom 31. Jänner 2007 erstatteten Vorbringens - die dort genannten Schreiben des Dr. L. erliegen nicht in den Akten - nicht ausgeschlossen werden konnte, dass Rechtsanwalt Dr. L. Zustellvollmacht für die Beschwerdeführerinnen innehatte, weshalb die erstinstanzlichen Erledigungen gegebenenfalls ihm zuzustellen gewesen wären und mangels einer solchen Zustellung - eine solche geht aus der Aktenlage nicht hervor - nicht Bescheidcharakter erlangt hätten (vgl. dazu etwa das zur auch hier maßgeblichen Rechtslage nach dem Zustellgesetz in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 ergangene hg. Erkenntnis vom 5. September 2008, Zl. 2005/12/0061).

Stellten die erstinstanzlichen Erledigungen keine Bescheide dar, so hätte die belangte Behörde die Berufungen als unzulässig zurückzuweisen gehabt. Ihre die Berufungen demgegenüber abweisenden angefochtenen Bescheide wären dann mit einer von Amts wegen wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde belastet, was in einer Konstellation wie der vorliegenden dazu führen muss, dass die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG im Hinblick auf die aufgezeigten Begründungsmängel wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben waren (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2000, Zl. 97/21/0411).

Bei diesem Ergebnis können die vom Verwaltungsgerichtshof in seinen Anträgen an den Verfassungsgerichtshof vom 2. Oktober 2008, Zl. A 2008/0041 (vormals Zl. 2008/18/0507), und vom 18. Dezember 2008, Zlen. A 2008/0052 bis 0057 (vormals Zlen. 2008/21/0365 bis 0370) geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken vorerst (noch) auf sich beruhen. Es braucht auch nicht weiter darauf eingegangen zu werden, ob die belangte Behörde in Anwendung des § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG bei Berechnung der erforderlichen Unterhaltsmittel für die beiden Beschwerdeführerinnen im Einzelnen richtig vorgegangen ist. Schon jetzt sei allerdings festgehalten, dass im Grunde der genannten Bestimmungen nicht deshalb beide Anträge abgewiesen werden dürfen, weil die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel des Vaters zwar für eine, nicht jedoch für beide Beschwerdeführerinnen gemeinsam ausreichen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. April 2009

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