Normen
AHG 1949 §1;
AVG §42 Abs1;
AVG §8;
BauG Vlbg 2001 §25 Abs1;
BauG Vlbg 2001 §7 Abs1 lita;
BauRallg;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §33 Abs1;
VwRallg;
AHG 1949 §1;
AVG §42 Abs1;
AVG §8;
BauG Vlbg 2001 §25 Abs1;
BauG Vlbg 2001 §7 Abs1 lita;
BauRallg;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §33 Abs1;
VwRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 4. August 2006 wurde dem Beschwerdeführer die baubehördliche Bewilligung (samt der hiezu erforderlichen Abstandsnachsicht) für die Errichtung eines Geräteschuppens, einer Sitzplatzüberdachung sowie eines Flugdaches auf einem bestimmten Grundstück erteilt.
Mit Eingabe vom 5. Dezember 2006 brachte der Beschwerdeführer ein weiteres Baugesuch ein. Geplant war eine glasüberdachte Terrasse, ein geschlossener Geräteschuppen im Erdgeschoß und ein zusätzliches Zimmer und ein Arbeitsraum im Obergeschoß. Die Baupläne weisen eine formularhafte Rubrik mit der Überschrift "Abstandsnachsicht" auf, im Text dazu heißt es (als Bauherrn scheinen der Beschwerdeführer und seine Ehefrau auf), "Wir würden gerne in nächster Zeit auf unserem ebenerdigen Anbau, der bereits genehmigt ist, noch einen 1. Stock errichten und möchten euch bzw. eure eventuellen Rechtsnachfolger hiermit um die Abstandsnachsicht auf 'Null' (= Grundstücksgrenze) zu euren Grundstücken bitten". Über diesem Text sind verschiedene Nachbarn (darunter auch der Erstmitbeteiligte) aufgelistet (samt Hausnummer), weiters ist Raum für allfällige Unterschriften vorgesehen, solche Unterschriften gibt es aber nicht. Allerdings war dieser Baueingabe ein formularhaftes Schreiben vom 15. September 2006 angeschlossen, ebenfalls überschrieben mit "Abstandsnachsicht" und inhaltlich mit
dem selben Text "Wir würden gerne ... zu euren Grundstücken
bitten", das von verschiedenen Personen unterschrieben ist, darunter auch unbestritten vom Erstmitbeteiligten.
Diese Baueingabe ist mit dem Stempel "ungültig" versehen und wurde nach der Aktenlage nicht weiter verfolgt.
Vielmehr brachte der Beschwerdeführer eine neuerliche Baueingabe mit einem modifizierten Vorhaben ein, datiert mit 27. Jänner bzw. 1. Februar 2007. Auf den Plänen (datiert mit 27. Jänner 2007) ist eine Rubrik vorgesehen, überschrieben mit "Abstandsnachsichtserklärung", in welcher es heißt: "Ich erkläre mich damit einverstanden, die dem Objekt entsprechend notwendigen abstandsnachsichten für die Errichtung des auf diesem Plan dargestellten Anbau zu erteilen". Aufgelistet sind verschiedene Nachbarn, wobei keiner auf den Plänen unterschrieben hat. Vorgelegt wurde abermals die formularhafte Beilage vom 15. September 2006. In der Folge brachte der Beschwerdeführer weitere Zustimmungserklärungen bei.
Schließlich erteilte der Bürgermeister (ohne Durchführung einer Bauverhandlung) mit Bescheid vom 16. August 2007 die Baubewilligung für die angestrebte Errichtung des Um- und Zubaues beim bestehenden Wohnhaus (samt der dazu erforderlichen Abstandsnachsicht). Dieser Bescheid wurde (zunächst) nur dem Beschwerdeführer zugestellt. In einer Amtsbestätigung vom 14. September 2007 wurde bestätigt, dass der Baubewilligungsbescheid in Rechtskraft erwachsen sei.
In der Folge erklärte der Erstmitbeteiligte sinngemäß, er habe die Abstandsnachsicht zum nun bewilligten Vorhaben so nicht erteilt, er habe die Pläne nicht gesehen und nur hinsichtlich des Obergeschoßes auf dem bewilligten Geräteschuppen zugestimmt. Er wiederholte dies in einer Eingabe vom 13. November 2007 mit näheren Ausführungen und brachte darin vor, seine Einverständniserklärung habe sich nur auf einen Plan vom 31. Mai 2006 bezogen; der Errichtung des Baukörpers, wie er sich gegenwärtig darstelle, stimme er nicht zu, weil er vom ursprünglichen Bauplan wesentlich abweiche. Er sei von dieser Abweichung nicht in Kenntnis gesetzt worden.
Der Bürgermeister stellte hierauf verschiedenen Personen, unter anderem dem Erstmitbeteiligten, die Baubewilligungsbescheide vom 4. August 2006 und 16. August 2007 förmlich zu. In den Akten ist festgehalten, dass der Erstmitbeteiligte weiterhin bekräftigt habe, seine Zustimmung habe sich nicht auf das mit Bescheid vom 16. August 2007 bewilligte Vorhaben bezogen.
Die Baubehörde zweiter Instanz (Berufungskommission der Gemeinde) behandelte diese ablehnenden Stellungnahmen des Erstmitbeteiligten als Berufung, und gab sodann mit Berufungsbescheid vom 5. Februar 2008 der Berufung Folge und behob den erstinstanzlichen Bewilligungsbescheid vom 16. August 2007 ersatzlos.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Vorstellung, die mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt; darin verwies sie auch darauf, dass zwischenzeitig nach Einigung mit dem Erstmitbeteiligten mit Bescheid des Bürgermeisters vom 11. Juli 2008 die Baubewilligung für dieses Vorhaben rechtskräftig erteilt worden sei (wobei es in den Akten heißt, das Vorhaben unterscheide sich nur hinsichtlich des Terrassengeländers).
Dies wurde dem Beschwerdeführer mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 2008 mit dem Beifügen vorgehalten, der Verwaltungsgerichtshof gehe daher davon aus, dass die Beschwerde gegenstandslos geworden sei (sogenannte "überholende Gegenstandslosigkeit").
Der Beschwerdeführer äußerte sich mit Schriftsatz vom 17. September 2008 ablehnend: Er habe nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse an der Verfolgung der Sache. Um die nach dem Beschwerdestandpunkt bereits vorhandene Zustimmung des Erstmitbeteiligten zu erlangen, habe er diesem eine beträchtliche Abstandszahlung leisten müssen. Er habe auf Grund des zunächst rechtskräftig erscheinenden Bescheides bereits mit den Baumaßnahmen begonnen gehabt, als die Baubehörde plötzlich erklärt habe, der Bescheid sei doch nicht rechtskräftig und es werde das Bauverfahren fortgesetzt, was in der Abweisung des Bauantrages gemündet habe. Er habe die "begonnene Baustelle" aber nicht "unterbrechen" können, bis über seinen Rechtsstandpunkt entschieden sein würde, weil dies erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch nehme. Es habe die Gefahr bestanden, dass die bereits gesetzten Baumaßnahmen durch eine länger dauernde Bauunterbrechung Schaden nähmen. Zudem sei die Benützbarkeit seines Objektes durch die begonnenen Baumaßnahmen beeinträchtigt gewesen. Er habe seiner Schadensminderungspflicht entsprochen, indem er dem Nachbarn den von diesem für die Zustimmung geforderten Geldbetrag gezahlt habe, um die Baumaßnahmen so rasch wie möglich zu Ende zu führen. Er habe (daher) nach wie vor ein rechtliches Interesse an der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, weil diese Entscheidung für Amtshaftungsansprüche präjudiziell sei.
Dem ist Folgendes zu entgegen:
Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde. Bei einer Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG ist unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs. 1 und § 56 erster Satz VwGG nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides - im Besonderen durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den Verfassungsgerichtshof - eingetreten ist (vgl. den Beschluss eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.092/A).
§ 33 Abs. 1 VwGG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluss vom 9. April 1980 darlegte, z.B. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat.
Diese Voraussetzung ist - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - im vorliegenden Beschwerdefall gegeben, weil ein Interesse an einer grundsätzlichen Klärung der Rechtssache, so aus wirtschaftlichen Gründen, etwa auch um Schadenersatz im Wege der Amtshaftung geltend zu machen, kein rechtliches Interesse darstellt, welches zur Beschwerdefortführung im Bescheidbeschwerdeverfahren legitimiert (vgl. dazu beispielsweise die hg. Beschlüsse vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/06/0199, oder auch vom 22. Oktober 2007, Zl. 2006/17/0106, je mwN.).
Die Beschwerde war daher wegen Wegfall des rechtlichen Interesses der Beschwerdeführerin an einer Sachentscheidung gemäß § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
Mangels einer formellen Klaglosstellung liegt die Voraussetzung für einen Kostenzuspruch gemäß § 56 VwGG nicht vor. Vielmehr kommt § 58 Abs. 2 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997 zur Anwendung, wonach der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu berücksichtigen ist.
Im Beschwerdefall ist das Vorarlberger Baugesetz, LGBl. Nr. 52/2001 (BauG), in der Fassung LGBl. Nr. 44/2007 anzuwenden.
Die §§ 5 und 6 BauG enthalten Abstandsvorschriften (§ 8 normiert einen Immissionsschutz). § 7 BauG lautet auszugsweise:
"§ 7
Abstandsnachsicht
(1) Die Behörde kann Ausnahmen von den Vorschriften des § 5 Abs. 1 bis 6 sowie des § 6 Abs. 1 bis 3 zulassen (Abstandsnachsicht), wenn die Interessen der Sicherheit, der Gesundheit sowie des Schutzes des Orts- und Landschaftsbildes nicht beeinträchtigt werden und überdies
a) der betroffene Nachbar zustimmt; die Zustimmung ist ab ihrem Einlangen bei der Behörde unwiderruflich; oder
b) ohne Abstandsnachsicht eine zweckmäßige Bebauung, z. B. wegen der besonderen Lage oder Form des Baugrundstückes, nicht möglich wäre; oder
c) ..."
Gemäß § 24 Abs. 3 lit. b BauG sind dem Bauantrag die zur Beurteilung des Bauvorhabens erforderlichen Pläne, Berechnungen und Beschreibungen anzuschließen.
Die §§ 25 und 26 BauG lauten auszugsweise:
"§ 25
Ermittlungsverfahren
(1) Nachbarn, die dem Bauvorhaben zustimmen, sind ab Zustimmung nicht mehr Parteien des Verfahrens. Die Zustimmung hat durch schriftliche Erklärung auf den Plänen (§ 24 Abs. 3 lit. b) zu erfolgen. Die Zustimmung ist ab ihrem Einlangen bei der Behörde unwiderruflich.
(2) ... "
"§ 26
Nachbarrechte, Übereinkommen
(1) Der Nachbar hat im Verfahren über den Bauantrag das Recht, durch Einwendungen die Einhaltung der folgenden Vorschriften geltend zu machen:
a) § 4 Abs. 3, soweit mit Auswirkungen auf sein Grundstück zu rechnen ist;
- b) §§5 bis 7, soweit sie dem Schutz des Nachbarn dienen;
- c) §8, soweit mit Immissionen auf seinem Grundstück zu rechnen ist."
Die Zustimmung zu einer Abstandsnachsicht im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. a BauG hat zu einem konkreten Projekt zu erfolgen; eine bloß "grundsätzliche Zustimmung" entspräche nicht diesen Voraussetzungen. Nachträgliche Änderungen des Vorhabens sind von der zuvor erteilten Zustimmung nicht erfasst (vgl. zur Zustimmung eines Miteigentümers die hg. Erkenntnisse vom 5. Dezember 2000, Zl. 99/06/0162, und vom 14. September 1995, Zl. 95/06/0013).
Weiters ist darauf zu verweisen, dass eine Zustimmung zur Abstandsnachsicht gemäß § 7 Abs. 1 lit. a BauG "weniger" ist als eine Zustimmung zum Vorhaben im Sinne des § 25 Abs. 1 BauG. Letztere bewirkt den Verlust der Parteistellung im Bauverfahren, erstere aber nicht, zumal ja ein Nachbar, der im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. a BauG einer Abstandsnachsicht zugestimmt hat, andere Einwendungen gegen das Vorhaben erheben kann. Liegt daher nur eine Zustimmung im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. a BauG vor, bedarf es der Einbeziehung eines solcherart Zustimmenden in das weitere Verfahren (weil er ja durch eine Zustimmung in diesem Sinne die Parteistellung nicht verloren hat), und, sofern keine Bauverhandlung durchgeführt wurde (daher auch ein Verlust der Parteistellung im Sinne des § 42 AVG nicht eintreten konnte), der Zustellung des Baubewilligungsbescheides.
Das hat die Baubehörde erster Instanz zunächst offenbar verkannt (der Unterschied zwischen beiden Arten von Zustimmungserklärungen war dem Planverfasser möglicherweise auch nicht klar, weil er auf dem Plan eine Zustimmungserklärung - nur - zur Abstandsnachsicht vorbereitet hatte und nicht eine Zustimmungserklärung zum Vorhaben insgesamt).
Da sich, wie gesagt, die Zustimmung zu einer Abstandsnachsicht auf ein konkretes Vorhaben zu beziehen hat, konnte die Baubehörde erster Instanz aufgrund der Zustimmungserklärung vom 15. September 2006 (für sich allein) nicht davon ausgehen, damit werde einer Abstandsnachsicht für das Vorhaben gemäß den Plänen vom 27. Jänner 2007 zugestimmt; dies wäre vielmehr aufklärungsbedürftig gewesen. Dies unterblieb aber; eine unmissverständliche Zustimmung zu der für dieses konkrete Vorhaben erforderlichen Abstandsnachsicht gegenüber der Behörde (arg.: "Einlangen" in § 7 Abs. 1 lit. a BauG) erfolgte aber nicht, vielmehr erklärte der Erstmitbeteiligte, diesem Vorhaben nicht zugestimmt zu haben. Damit lag die gemäß § 7 Abs. 1 lit. a BauG erforderliche Zustimmung auch des Erstmitbeteiligten in diesem Bauverfahren den Baubehörden nicht vor. Aus welchen Gründen sie nicht vorlag, ist nach dieser Gesetzesstelle nicht von Bedeutung.
Zwar verweist der Beschwerdeführer zutreffend darauf, dass gemäß § 7 Abs. 1 BauG eine Abstandsnachsicht auch ohne Zustimmung der betroffenen Nachbarn erteilt werden kann; hier kommt aber (sachverhaltsmäßig) nur der Fall der lit. b in Betracht, wonach ohne Abstandsnachsicht eine zweckmäßige Bebauung nicht möglich wäre. Diese Voraussetzungen zeigt der Beschwerdeführer aber nicht auf. Damit war das Vorhaben nicht genehmigungsfähig.
Der Beschwerdeführer wurde daher (jedenfalls im Ergebnis) durch die von der Berufungsbehörde ausgesprochene ersatzlose Behebung der erteilten Baubewilligung (was im Beschwerdefall inhaltlich einer Abweisung des Baugesuches gleichkommt) in seinem geltend gemachten Anspruch auf Erteilung der Baubewilligung nicht verletzt.
Bei diesem Ergebnis wäre die Beschwerde abzuweisen gewesen, womit der Beschwerdeführer (hier) dem Rechtsträger der belangten Behörde die Kosten des Verfahrens gemäß den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003 (im Rahmen des Kostenbegehrens) zu ersetzen hat.
Wien, am 22. Oktober 2008
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