VwGH 2007/21/0508

VwGH2007/21/050828.2.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des T, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schillerstraße 17, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Oktober 2007, Zl. BMI-VA1800/0094-III/3/2007, betreffend Löschung erkennungsdienstlicher Daten, zu Recht erkannt:

Normen

SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §35 Abs1;
SPG 1991 §16 Abs2 Z4;
SPG 1991 §74 Abs1;
SPG 1991 §74 Abs2;
StGB §88 Abs1;
StGB §94 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §35 Abs1;
SPG 1991 §16 Abs2 Z4;
SPG 1991 §74 Abs1;
SPG 1991 §74 Abs2;
StGB §88 Abs1;
StGB §94 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde von der Polizeiinspektion Dornbirn per 30. Mai 2006 wegen des Verdachts der Begehung des Vergehens nach § 107 Abs. 1 StGB bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch zur Anzeige gebracht. Diese legte die Anzeige gemäß § 90 Abs. 1 StPO zurück, weil es sich bei den angezeigten Drohungen lediglich um nicht ernst zu nehmende Unmutsäußerungen gehandelt habe.

Im Gefolge der Anzeigeerstattung war der Beschwerdeführer erkennungsdienstlich behandelt worden. Nach Zurücklegung der Strafanzeige stellte er den Antrag, die erhobenen erkennungsdienstlichen Daten zu löschen.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg wies diesen Antrag gemäß § 74 Abs. 1 und 2 iVm §§ 65 Abs. 1 und 67 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz - SPG ab, die belangte Behörde gab der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid vom 22. Oktober 2007 keine Folge.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 74 Abs. 1 SPG sind erkennungsdienstliche Daten, die gemäß § 65 Abs. 1 SPG ermittelt wurden, auf Antrag des Betroffenen zu löschen, wenn der Verdacht, der für ihre Verarbeitung maßgeblich ist, schließlich nicht bestätigt werden konnte oder wenn die Tat nicht rechtswidrig war.

Gemäß § 74 Abs. 2 SPG ist dem Antrag jedoch nicht stattzugeben, wenn weiteres Verarbeiten deshalb erforderlich ist, weil auf Grund konkreter Umstände zu befürchten ist, der Betroffene werde gefährliche Angriffe begehen.

Im vorliegenden Fall ist die belangte Behörde unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2001, Zl. 2000/01/0233, zu Recht davon ausgegangen, dass das gegenständliche Löschungsbegehren am Boden des § 74 Abs. 1 SPG grundsätzlich berechtigt ist. Sie gelangte jedoch zu dem Ergebnis, dass konkrete Umstände im Sinn des Abs. 2 der genannten Vorschrift vorlägen, die befürchten ließen, der Beschwerdeführer werde in Zukunft gefährliche Angriffe begehen. Diese Umstände erblickte die belangte Behörde darin, dass der Beschwerdeführer am 2. Februar 2005 - weil bei ihm am 22. Jänner 2005 Suchgift gefunden worden sei - und am 1. Mai 2005 - weil er in Verdacht gestanden habe, am 29. April 2005 an einem versuchten Diebstahl aus einem abgestellten PKW beteiligt gewesen zu sein - angezeigt worden sei. Diese Anzeigen seien (die erstgenannte am 21. März 2005 gemäß § 35 Abs. 1 SMG vorläufig, die zweitgenannte gemäß § 90 StPO) zurückgelegt worden. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 18. August 2005 jedoch sei der Beschwerdeführer gemäß §§ 88 Abs. 1 und 94 Abs. 1 StGB verurteilt worden, weil er am 15. Mai 2004 mit einem PKW einen Verkehrsunfall verursacht und dabei einen Radfahrer fahrlässig leicht am Körper verletzt und weil er nach diesem Unfall seine Fahrt fortgesetzt und es unterlassen habe, dem Radfahrer die erforderliche Hilfe zu leisten. Bei der anzustellenden Prognoseentscheidung - so die belangte Behörde zusammenfassend - sei nicht nur auf diese letztgenannte Verurteilung abzustellen, sondern es sei der "gesamte aktenkundige Sachverhalt" zu berücksichtigen. Dabei zeige sich, dass der Beschwerdeführer mehrfach wegen unterschiedlicher Delikte zur Anzeige gelangt sei. "Im Rahmen der Beweiswürdigung" würden die bekannt gewordenen Sachverhalte dahingehend gewertet, dass der Beschwerdeführer einerseits bewusst gegen die Rechtsordnung verstoßen habe - Hinweise darauf, dass ihm etwa nicht bekannt gewesen sei, dass der Besitz von Suchtmitteln verboten sei, lägen nicht vor -, andererseits manifestiere insbesondere der Vorfall betreffend Imstichlassens eines Verletzten, dass der Beschwerdeführer geschützte Rechtsgüter und Personen nicht im von der Rechtsordnung erforderlichen Ausmaß achte. Vor allem die vom Beschwerdeführer gezeigte persönliche Einstellung zu den von der Rechtsordnung geschützten Gütern und die bereits erfolgte Verurteilung wegen §§ 88 Abs. 1 und 94 Abs. 1 StGB ließen befürchten, dass er gefährliche Angriffe begehen werde.

Diese Überlegung erweist sich in mehrfacher Hinsicht als verfehlt.

Soweit die belangte Behörde bloß auf die Anzeigeerstattung als solche oder auf eine Verdachtslage Bezug nahm, ist ihr zunächst zu entgegnen, dass daraus keinesfalls Schlüsse in Richtung eines künftigen Fehlverhaltens gezogen werden können (vgl. sinngemäß im gegebenen Zusammenhang etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 2001, Zl. B 617/00, Slg. Nr. 16.383). Im Übrigen hätte sich die belangte Behörde aber nicht mit der Feststellung, der Beschwerdeführer habe gegen die Rechtsordnung verstoßen (Besitz von Suchtgift) und mit der bloß rudimentären Darstellung des der Verurteilung vom 18. August 2005 zu Grunde liegenden Fehlverhaltens begnügen dürfen. Vielmehr hätte sie eine nähere Darstellung der Tathandlungen und des Geschehensablaufs vornehmen müssen, weil nur daraus - allenfalls - konkrete Umstände abgeleitet werden könnten, die die Begehung gefährlicher Angriffe seitens des Beschwerdeführers befürchten ließen (vgl. das schon eingangs genannte hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2001). Die belangte Behörde hat aber insgesamt eine nähere Auseinandersetzung mit dem strafrechtlich relevanten Vorverhalten des Beschwerdeführers unterlassen. Was den unbestrittenen Suchtgiftbesitz des Beschwerdeführers anlangt, so hat sie nämlich offenkundig nicht darauf Bedacht genommen, dass der Beschwerdeführer insoweit gar keinen gefährlichen Angriff verwirklicht haben kann. Das ergibt sich daraus, dass die Anzeige nach § 27 Abs. 1 SMG gemäß § 35 Abs. 1 SMG vorläufig zurückgelegt wurde, was nur in Betracht kam, wenn der Beschwerdeführer ("bloß") eine geringe Menge Suchtmittel zum eigenen Gebrauch erworben oder besessen hatte. Gemäß § 16 Abs. 2 Z 4 SPG liegt in einem solchen Fall aber kein gefährlicher Angriff vor.

Was die strafgerichtliche Verurteilung anlangt, so hat die belangte Behörde nicht einmal die Höhe der Strafe wiedergegeben. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 80 Tagessätzen verurteilt wurde. Aus dem im Verwaltungsakt erliegenden Urteil ergibt sich aber auch, dass das Strafgericht eine "Provokation durch Geschädigten" als mildernden Umstand erachtete, auch das hätte die belangte Behörde berücksichtigen müssen.

Nach dem Gesagten kann der bekämpfte Bescheid keinen Bestand haben. Er war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Demgemäß kam neben dem Ersatz der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG nur der Zuspruch von Schriftsatzaufwand in Höhe von EUR 991,20 in Betracht, weshalb das darüber hinausgehende Kostenmehrbegehren abzuweisen war.

Wien, am 28. Februar 2008

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