VwGH 2007/18/0391

VwGH2007/18/03912.12.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des K O in W, geboren am 11. Mai 1976, vertreten durch Dr. Siegfried Kommar, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Teinfaltstraße 8/5. OG, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Jänner 2007, Zl. SD 1748/06, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

11997E039 EG Art39;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art31 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art35;
62008CJ0127 Metock VORAB;
AVG §1;
EURallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
11997E039 EG Art39;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art31 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art35;
62008CJ0127 Metock VORAB;
AVG §1;
EURallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 25. Jänner 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom 24. Juli 2006 auf Aufhebung des gegen ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. September 2005 für die Dauer von zehn Jahren erlassenen Aufenthaltsverbotes (gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100), abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 27. Jänner 2003 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe, über den am 17. Februar 2006 rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. März 2006 abgelehnt. Mit Rücksicht auf das rechtskräftig negativ abgeschlossene Asylverfahren halte sich der Beschwerdeführer spätestens seit April 2006 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Am 10. August 2005 habe das Landesgericht für Strafsachen Wien den Beschwerdeführer wegen des teils versuchten, teils vollendeten Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 erster Fall Suchtmittelgesetz (§ 15 StGB) zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe (ein Monat unbedingt, sechs Monate bedingt unter Setzung einer dreijährigen Probezeit) rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung lägen beachtliche Tathandlungen zugrunde; insgesamt habe der Beschwerdeführer ca. 50 Kugeln Suchtgift tatsächlich verkauft und 85 Kugeln Suchtgift zum unmittelbaren Verkauf bereitgehalten.

Als Folge dieser strafgerichtlichen Verurteilung sei gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. September 2005 ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot rechtskräftig erlassen worden.

Am 31. Mai 2006 habe der Beschwerdeführer vor dem Standesamt Wien-Favoriten die (nach dem Verwaltungsakt im 11. Wiener Gemeindebezirk wohnhafte) ungarische Staatsangehörige H.O. geheiratet. Aufgrund der (im angefochtenen Bescheid näher ausgeführten) Verfahrens- und Beweisergebnisse sei "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe" im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG auszugehen; ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK könne "für keinen Zeitpunkt der Ehe angenommen werden".

Am 24. Juli 2006 habe der Beschwerdeführer die Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes beantragt, weil er jetzt mit einer freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgerin verheiratet sei, von der er auch erhalten werde.

Der Beschwerdeführer bringe - unter anderem auch in seiner Berufung - vor, dass es sich bei dieser Ehe um keine Scheinehe handle.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 65 Abs. 1, 86 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG - im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer kein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG sei, weil er seine Ehefrau weder aus Ungarn nach Österreich begleitet habe noch ihr von dort nachgezogen sei. Um einen Freizügigkeitstatbestand zu erfüllen, hätte der Beschwerdeführer den primär Freizügigkeitsberechtigten - seine Ehefrau - in den anderen Mitgliedsstaat der EU - also nach Österreich - begleiten oder ihm dorthin nachziehen müssen. Dieses Tatbestandselement liege aber nicht vor, sodass der Beschwerdeführer kein von den österreichischen Gesetzen unabhängig wirkendes gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht, das lediglich zu dokumentieren wäre, geltend machen könne.

Der Beschwerdeführer habe durch die Eheschließung vom 31. Mai 2006 bei bestehendem Aufenthaltsverbot einen neuerlichen Aufenthaltsverbotstatbestand (nämlich jenen des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG) verwirklicht, sodass in Anbetracht des § 65 Abs. 1 FPG keine Rede davon sein könne, dass die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, weggefallen seien. Sie hätten sich vielmehr durch das nachgewiesene Eingehen einer Aufenthaltsehe noch weiter verstärkt. Darüber hinaus sei in diesem persönlichen Verhalten des Beschwerdeführers ohne weiteres eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr zu erblicken, die ein Grundinteresse der Gesellschaft - nämlich jenes am Schutz ehelicher Gemeinschaften, die bekanntlich als Keimzellen des Staates betrachtet würden - berühre (§ 87 FPG iVm § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG).

Wenn man das gravierende Fehlverhalten des Beschwerdeführers zugrunde lege, so erweise sich die Aufrechterhaltung des bestehenden Aufenthaltsverbotes nach § 66 Abs. 1 FPG als dringend geboten, habe doch der Beschwerdeführer durch das Eingehen einer reinen Aufenthaltsehe und den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet seit April 2006 die in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des staatlichen Fremdenwesens erheblich verletzt. Von daher stehe auch § 66 Abs. 2 FPG der Abweisung des gegenständlichen Antrages nicht entgegen, weil die durch den etwa vierjährigen - zum Teil allerdings unrechtmäßigen - Aufenthalt in Österreich vorhandenen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet das durch sein Fehlverhalten nachhaltig beeinträchtigte Allgemeininteresse nicht überwiegen könnten. Abgesehen von der Aufenthaltsehe seien vom Beschwerdeführer keine familiären oder beruflichen Bindungen im Bundesgebiet behauptet worden; solche seien auch nicht aktenkundig.

Gründe, die zu einer positiven Ermessensentscheidung führen hätten können, seien vom Beschwerdeführer weder vorgebracht noch amtswegig erkannt worden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist das Aufenthaltsverbot (oder das Rückkehrverbot) auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

2. Auf Grund der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.

Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG fällt unter den Begriff des "begünstigten Drittstaatsangehörigen" - soweit für den vorliegenden Fall relevant - der Ehegatte eines EWR-Bürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/18/0149, mwN).

Zwar enthält die angeführte Legaldefinition - in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten - die einschränkende Wendung "insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger (...), von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht"; der Europäische Gerichtshof hat allerdings mit Bezug auf diese Richtlinienbestimmung ausgesprochen, dass es keine Rolle spielt, ob Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, bevor oder nachdem sie Familienangehörige des Unionsbürgers wurden (Urteil vom 25. Juli 2008, Rechtssache Metock u.a., C-127/08 , Rz 91 ff; vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2008, Zl. 2007/18/0254).

3. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG liegen nach den oben (I.1.) wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides, die nicht bestritten wurden, vor:

Die Ehefrau des Beschwerdeführers, eine ungarische Staatsangehörige, ist nunmehr in Österreich ansässig; sie hat damit ihr Freizügigkeitsrecht (vgl. Art. 18 Abs. 1 EGV) in Anspruch genommen, sodass der Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 erster Fall FPG zu qualifizieren ist. Die Annahme der belangten Behörde, es handle sich bei der zwischen dem Beschwerdeführer und H.O. geschlossenen Ehe um eine Scheinehe, ist dabei in Hinblick auf die hier zu beantwortende Frage der Zuständigkeit ohne Belang (vgl. Art. 35 iVm Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG ).

Damit aber hatte gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 dritter Fall FPG der unabhängige Verwaltungssenat und nicht die belangte Behörde als Berufungsinstanz tätig zu werden, sodass der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2008).

4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Ein Ersatz der Eingabengebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG kam nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe genießt.

Wien, am 2. Dezember 2008

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