Normen
AsylG 1997 §24b Abs1 idF 2003/I/101;
AVG §52;
AsylG 1997 §24b Abs1 idF 2003/I/101;
AVG §52;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste im Oktober 2004 aus Weißrussland kommend in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein und beantragte am 14. Oktober 2004 in Polen Asyl. Im Folgenden gelangte er am 20. August 2005 nach Österreich und brachte am 21. August 2005 einen (weiteren) Asylantrag ein.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. Oktober 2005 wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 "idgF" (AsylG) als unzulässig zurück, stellte fest, dass für die Prüfung des Asylantrages Polen zuständig sei, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde führt aus, der Beschwerdeführer habe im Rahmen der ärztlichen Untersuchung am 9. September 2005 angegeben, geschlagen und mit Strom gefoltert worden zu sein. Dennoch sei kein Befund über das Vorliegen von möglichen Folterspuren erstattet und auch die Angaben zu ihrer Entstehung nicht ausdrücklich festgehalten worden. Der gesamte Ablauf der ärztlichen Untersuchung im Zulassungsverfahren sei mangels Dokumentation nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer leide unter chronischen Nierenbeschwerden, die auf eine frühere Misshandlung (Schläge in der Nierengegend) zurückzuführen seien. Die belangte Behörde habe sich im Ergebnis mit dem Vorbringen hinsichtlich der behaupteten Traumatisierung des Beschwerdeführers nicht hinreichend auseinandergesetzt.
Damit zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
1. Gemäß § 24b Abs. 1 AsylG (in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) ist das Asylverfahren zuzulassen, wenn sich in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen ergeben, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte.
1.1. Zum Zwecke der Zulassung des Verfahrens ist daher nicht festzustellen, ob der Asylwerber traumatisiert ist oder gefoltert wurde. Entscheidend ist nur, ob medizinisch belegbare Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass dies der Fall sein könnte (vgl. dazu vor allem die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0919, und vom 30. August 2007, Zl. 2006/19/0532, mwN).
1.2. Auch der Kausalzusammenhang zwischen den fluchtauslösenden Ereignissen und einer Traumatisierung muss nur möglich sein. Lässt sich nicht ausschließen, dass medizinisch belegbare Tatsachen - etwa Symptome - auf eine Traumatisierung durch fluchtauslösende Ereignisse hindeuten, ist das Verfahren bereits zuzulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0675).
1.3. Die bloße Behauptung einer Traumatisierung oder Folter reicht - wie der Gesetzeswortlaut erkennen lässt - für die Zulassung des Verfahrens allerdings nicht aus; es bedarf dafür vielmehr der Feststellung von Tatsachen, die für eine Traumatisierung oder Folter sprechen könnten, und die sich medizinisch belegen lassen (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2006/19/0919).
1.4. Zur Feststellung von Tatsachen im obgenannten Sinn haben die Asylbehörden bei entsprechendem Vorbringen des Asylwerbers oder bei vorliegenden Anhaltspunkten für eine mögliche Traumatisierung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2007, Zlen. 2006/19/0433 bis 0436) in Ermanglung eigenen Fachwissens eine fachkundige Beurteilung einzuholen (zur erforderlichen Fachkunde vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0442). Dabei kommt einem ärztlichen Bericht über das Ergebnis der Untersuchung des Asylwerbers im Zulassungsverfahren zwar nicht die Qualität eines Gutachtens zu, eine Begutachtung ist aber auch nicht jedenfalls erforderlich (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2006/19/0919).
1.5. Werden die Voraussetzungen für die Zulassung des Verfahrens nach § 24b Abs. 1 AsylG von der belangten Behörde verneint, so muss ein solches Ergebnis - wenn die belangte Behörde keine weiteren Ermittlungen vornimmt - auf einer Beurteilung beruhen, die sich auf ein mangelfreies erstinstanzlichen Verfahren stützen kann.
1.6. Hält der Asylwerber einem fachkundigen Bericht neues oder substantiiert bestreitendes (allenfalls mit der Vorlage entsprechender Belege verbundenes) Vorbringen entgegen, so sind auch diese (neuen) Fakten einer fachkundigen Beurteilung zu unterziehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2007, Zl. 2006/19/0018; zur Beachtlichkeit von Neuerungen im Berufungsverfahren im Zusammenhang mit einer behaupteten Traumatisierung unter dem Blickwinkel des § 32 Abs. 1 AsylG einerseits sowie der Wendung "in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren" in § 24b Abs. 1 AsylG andererseits vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0675; zur unzutreffenden Rechtsauffassung, das Verfahren vor der belangten Behörde über die Berufung sei kein Teil des Zulassungsverfahrens vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007 Zlen. 2006/19/0163 bis 0166). Dazu gehört etwa auch, dass nachvollziehbar dargelegt wird, warum allfällige Eigenangaben des Asylwerbers nicht als Symptome einer möglichen Traumatisierung anzusehen sind (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0011).
2. Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt den Beschwerdeführer am 9. September 2005 durch eine Ärztin für psychotherapeutische Medizin untersuchen lassen. Der darüber erstellte Bericht - zu dem dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage kein Parteiengehör gewährt wurde - enthielt Angaben des Beschwerdeführers über seine Anhaltungen durch den "FSB" im Herkunftsstaat, die dabei erlittenen Misshandlungen (Schläge und Folterungen mit Strom) und über seine "subjektiven Beschwerden" (ua. wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer Nierenprobleme habe, er schlecht schlafen könne, nervös sei, früher Albträume gehabt habe, jetzt aber weniger träume und seine Konzentration nachgelassen habe, was er am Lesen merke). Weiters wurde im genannten Bericht in Bezug auf den Beschwerdeführer ua. festgehalten, "keine Intrusionen oder spezif. Albträume explorierbar", "kein Hyperarousal". Unter der Überschrift "Vorliegen von möglichen Folterspuren und Angaben zu ihrer Entstehung:" erfolgten keine Angaben und als "Schlussfolgerung" - durch Ankreuzen eines dafür vorgesehenen Kästchens im Formular - verneinte die Ärztin die Frage nach einer "krankheitswerten psychischen Störung".
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, dass im Rahmen der psychiatrischen Untersuchung nicht auf sein Vorbringen eingegangen worden sei. Wie seiner Einvernahme zu entnehmen sei, habe es zahlreiche Erlebnisse in Tschetschenien gegeben, die ihn schwer traumatisiert hätten. Er sei in beiden Tschetschenienkriegen als Kämpfer tätig gewesen, sei mehrfach, etwa mit Stromschlägen, gefoltert worden und leide noch immer unter den damaligen Erlebnissen; er träume schlecht, sei sehr nervös und leicht erregbar. Wie die behandelnde Ärztin zu dem Ergebnis habe kommen können, dass er nicht traumatisiert sei, sei nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer beantragte daher, eine neuerliche psychologische Untersuchung durchzuführen.
Die belangte Behörde hat diesem Vorbringen nur im Rahmen der Beurteilung der Risiken, denen der Beschwerdeführer durch die Aufenthaltsbeendigung durch Österreich unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK ausgesetzt sein könnte, Bedeutung zugemessen und sich in diesem Zusammenhang auf die Feststellung beschränkt, dass der Beschwerdeführer nach dem Ergebnis der Untersuchung durch eine Ärztin im Zulassungsverfahren nicht traumatisiert sei. Zu den Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG wurden hingegen keine weiteren Feststellungen getroffen.
3. Damit hat die belangte Behörde zunächst in rechtlicher Hinsicht verkannt, dass es nach Punkt 1.1. der Erwägungen dieses Erkenntnisses nicht darauf ankommt, ob der Beschwerdeführer traumatisiert ist (oder gefoltert wurde), sondern ob medizinisch belegbare Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass dies der Fall sein könnte.
Zur Beurteilung der letztgenannten Frage reichen die bisherigen Ermittlungsergebnisse aber nicht aus, weil der den Feststellungen der Asylbehörden zugrunde liegende ärztliche Bericht vom 9. September 2005 etwa zu der auf Grund der den Asylbehörden vorliegenden Anhaltspunkte (Schläge in der Nierengegend sowie Nierenbeschwerden) im vorliegenden Fall auch maßgeblichen Frage, ob der Beschwerdeführer Opfer von Folter sein könnte, schon mangels Angaben zum Vorliegen von möglichen Folterspuren, unzureichend ist. Auch fehlt eine Beurteilung, warum die im Rahmen der Anamnese angegebenen Nierenbeschwerden nicht Folge einer erlittenen Folter sein könnten.
Die Berufung trat zudem unter Hinweis auf die vom Beschwerdeführer bei der ärztlichen Untersuchung vorgebrachten Symptome (schlechte Träume, Nervosität), welche für eine Traumatisierung des Beschwerdeführers sprechen würden, der ärztlichen Einschätzung vom 9. September 2005 substantiiert entgegen. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde unter dem Aspekt des § 24b Abs. 1 AsylG nicht inhaltlich auseinander gesetzt (vgl. dazu Punkt 1.6. der Erwägungen dieses Erkenntnisses).
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus den genannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 11. November 2008
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